Erstellt am: 7. 2. 2010 - 20:03 Uhr
Die Einsamkeit des Kurzstreckenfliegers
"Denken Sie an was Schönes. Denken Sie an George Clooney." waren die Worte, die die Krankenschwester vor der Narkose an I. richtete. Jetzt hat also auch die Medizin George Clooney für sich entdeckt, er scheint eine logische Wahl für beruhigende prä-Narkose-Gedanken, dennoch: die wahre Größe von Clooney kann sich entfalten, wenn er die Nonchalance, die ungebremste Charmeoffensive und das augenzwinkernde everybody's darling-tum beiseite schieben kann und seinen Rollen ein wenig Verzweiflung anhaftet, wenn sich eine vielleicht noch nicht ganz eindeutig auszumachende Verstörung in deren Leben breit macht, wenn ihn die Dysfunktionalität am Schlawittl hat. Das bewies er in "Michael Clayton" und mit ähnlich müden Augen begegnet einem Clooney auch in Jason Reitmans "Up in the Air".
Paramount Pictures
Ein Kokon aus Nichts
Als Ryan Bingham fliegt er durch die USA, hamstert Bonusmeilen und hat einen carbon footprint, der Thom Yorke des Nächtens nicht schlafen lässt. Bingham ist - wie Aaron Eckhardt in Reitmans "Thank You for Smoking" - ein Protagonist mit einer beruflichen Agenda, die nicht gerade mit Sympathiepunkten gesegnet ist: Er wird von Firmen engagiert, um Angestellte zu entlassen, ein Hiob mit Foldern und Stehsätzen, eingesetzt von Firmenchefs, die für die Konfrontation mit den Entlassenen zu feige sind. Career transition counselor heißt das dann und dann tut es auch gleich weniger weh. Euphemismen als Watteschutzpolster vor der Wirklichkeit werden in "Up in the Air" häufig eingesetzt. All die Rhetorik schützt natürlich nur, wenn man dran glaubt, als Bonusmeilen-Guru hält Bingham Vorträge, deren Kern aus einer Leben = Rucksack-Metapher besteht. Imagine, waking up with nothing tomorrow, deklamiert er. Denn nothing ist sein Kokon; die selbsterwählte Isolation und die vertraute Anonymität und Gleichheit von Hotels und Flughäfen.
Die Maschine mit dem Bingham
Ryan Bingham ist gut in seinem Job. Und liebt das, was seine Arbeit mit sich bringt: Jeder Mensch hat sein Päckchen zu tragen, Bingham zieht einen Trolley, perfektionistisch gepackt. Am Flughafen ist er in Sachen Effizienz der geschniegelte Chef am Platz, smooth und eilig tänzelt er von Schalter zu Sicherheits-Check, zückt eine von vielen Plastik-Karten, die sein Leben (und seine Aufenthaltszonen) definieren und bleckt die Zähne zu einem Lächeln für die Damen hinterm Schalter. Er hat die Abläufe perfektioniert, der Nicht-Stillstand ist sein Lebensstil, kein Wunder, dass bei all der Bewegung Familienbande einreißen. Seine Schwester nennt ihn isolated, "Nein" entgegnet er, er sei surrounded und schnurrt weiter durch die überfüllte Abflughalle. Reitman ist ein dezenter Meister im Konstruieren von Gegensatzpaaren ohne eine Wertung abzugeben, Ein Hauch von Frank-Capra, ohne dass dessen Ideale vom kleinen Mann und der schier alles möglich machenden Macht der Gemeinschaft in Erfüllung gehen, weht durch "Up in the Air".
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Kurzfristige Bodenhaftung
Jede Figur, die derart überzeugt und gegen den Strom ihre Weltanschauung vor sich hin trägt, begegnet irgendwann Figuren, in denen sie sich gespiegelt oder invertiert sieht und die das so geherzte Konzept zumindest jäh erschüttern. (Nicht alles läuft so erfolgreich wie im Fall von Scrooge und den drei Geistern). Im diesem Falle sind es Frauen, die am theoretischen Gerüst von Bingham und wie er die Welt sieht, rütteln. Alex (Vera Farmiga) begegnet er in der Hotelbar, man plaudert über Leihauto-Firmen, zeigt einander die Plastikkarten-Sammlung und landet im Bett. Oder besser: Daneben. Natalie (Anna Kendrick) ist 23, im Hosenazug auf die Welt gekommen und hat einige Ideen für die Firma; Ehrgeiz und Professionalität hat sie sich hinter die perlenbesteckten Ohren geschrieben, mit Bingham geht sie auf Entlassungs-Tour, um das Handwerk zu lernen.
Wie sich Bingham, Alex und Natalie ineinander spiegeln, sich wiedererkennen und Mankos und Makel entdecken und wie dezent und leise das Reitman inszeniert gehört zu den vielen Stärken des ungewöhnlichen Films.
Und dann sind da noch Ryan Binghams Schwestern: In wohl einem der schönsten Momente des Films trifft der up in the air-Mann ganz down to earth auf seine Familie in der Provinz. Wo die Pullover ein wenig zu sehr an Bill Cosby erinnern, der Lippenstift einen Tick zu rosa ist und es keinen eigenen Schalter für den Vielflieger im Hotel gibt.
Es gibt kurzfristige Bodenhaftung für den sich so losgelöst Geglaubten. Melanie Lynskey ist wahrhaft großartig als Binghams Schwester, gerade noch hat sie mir in "Away we go" mit ihrem Nicht-Striptease zu "Oh! Sweet Nuthin'" die Tränen in die Augen getrieben, da strahlt und weint sie in "Up in the Air" und reißt gemeinsam mit Clooney und Amy Morton (als zweite Schwester) eine wahre Schlucht der Verzweiflung aus, wenn die drei Geschwister im Schnee stehen und einem die gerissenen Familienbande erbarmungslos ins Gesicht klatschen.
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Neben Lynskey und den oscarnominierten Farmiga und Kendrick tauchen in Nebenrollen großartige Schauspieler auf: Zack Galifianakis und J.K Simmons trumpfen darstellerisch in ihren Entlassungsgesprächen mit Clooney auf und Sam Elliott biegt in einem Moment, der eigentlich der größte in Binghams Leben sein sollte, um die Ecke.
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Kein Film zur Krise
Reitman seiltanzt äußerst elegant zwischen Genre-Zuschreibungen, zwar haben sich die meisten Schubladeure für Comedy entschieden, doch, wenn ich an mein Gefühl in Herzgegend und Magengrube denke, als der Abspann läuft, dann möchte ich widersprechen. Auch ist "Up in the Air" nicht der Film zur Krise, er greift sie zwar wahrhaft geschickt auf, indem Reitman einige Menschen, die gerade ihren Job verloren hatten, in dem Film zeigt; sie hatten die Anweisung zu sagen, was sie bei ihrer Entlassung gerne gesagt hätten. Das und die dokumentarische Art, wie diese kurzen Momente in Szene gesetzt wurden, rücken den Film immer wieder in Bezug zur Krise, ohne in ein "Geht's der Wirtschaft schlecht, geht's uns allen schlecht"-Lament zu verfallen und ohne einen deus-ex-machina Humanismus aus der Schublade zu zaubern, der das Land der unbegrenzten Möglichkeiten wieder zu einem solchen macht. "Up in the Air" ist ein Film über konstruierte Lebenswelten, über Einsamkeit und Bindungen, in dem immer wieder eine hässliche Fratze des Kapitalismus auftaucht.
Mit geschliffenen Dialogen und einer ungewöhnlichen Unvorhersehbarkeit umschifft "Up in the Air" mindestens dreimal Abzweigungen in Richtung Konventionalität und Streicheleinheit fürs harmoniebedürftige Publikum. Er lässt George Clooney - aller Cary Grant Vergleiche zum Trotz - zu einer James Stewart-Figur werden, zu einem zeitweise struggling little man, nur das mit dem Katharsis-Timing ist heute etwas komplizierter als zu Stewarts Zeiten.
Jason Reitman betont immer wieder, dass es eigentlich Zufall war, dass "Up in the Air" schließlich so glaubhaft einen Moment tatsächlicher Geschehnisse einfing (er selbst kaufte die Rechte für das Buch bereits 2002) und so profitiert Reitman ein wenig von der Krise, genauso wie seine Figur von Binghams Boss, ein fantastisch schleimig-kriecherischer Jason Bateman, der meint: "It's one of the worst times on record for America. This is our moment." Oscartechnisch hat "Up in the Air" gegen die Cameron'sche Blue Man Group wohl keine Chance, aber er bleibt "Königin der Herzen".