Erstellt am: 5. 11. 2009 - 20:17 Uhr
Journal '09: 5.11.
Beachte dazu auch "Wir sind gläsern. Privatheit war gestern. So ist das halt in der Kommunikations-Gesellschaft. Wie wär's jetzt mit Mund abputzen und kreativ damit umgehen anstatt weiter nur overprotective sein?" und Technik macht die Welt nicht heile von Felix Knoke
Unlängst schreibt mich Andre Igler, mir aus Urzeiten bekannter Kollege an, dass er mich verlinkt hätte. Mit zwei Beiträgen übers Bewusstsein zum Thema Schöne Neue Digitale Welt in Österreich hat er einen längeren Blog zum Thema Warum das mit den Daten so kompliziert ist.
Igler ist nicht nur Motor-Journalist und Buchautor (sein jüngster Krimi ist in Phoenix, der neuen politischen Zeitschrift von Ex-Standard-Chefredakteur Gerfried Sperl, abgedruckt), sondern seit Jahren schon unermüdlicher Sich-Einlasser in Digitalen Welten. Das ist insofern wichtig, weil das allzu wenige seiner Altersgruppe und noch weniger mit seiner spielerischen Sprachfreude unternehmen.
Der Kollege Igler hat mir, dem relativen Laien, im übrigen die Magna/Opel-Problematik hier in aller subjektiven Offenheit erklärt - mit dem Ergebnis, dass ich mich jetzt über das Scheitern des Deals gar nicht mehr wundern muss.
Also bin ich ein wenig eingetaucht in die Iglersche Erklärungswelt der Zusammenhänge von Daten und Sicherheit und über ihn (nicht zum ersten Mal) auf eine wichtige Analyse der deutschen gestoßen.
Igler schreibt: Die fordern ja nicht nur das freie Filesharing, obwohl sich da die Medien darauf aufhängen, sondern zuerst und vor allem die Umkehrung des Prinzips "gläserner Mensch" zum Konzept "gläserner Staat".
Das ist eine wichtige Feststellung. Denn die Piraten sind zwar eine "Ein-Themen-Partei", aber der Komplex der digitalen Revolution durchsetzt nun einmal fast alle Lebensbereiche.
Piraten weltweit
Geschichte aus dem BundestagsWahlkampf der deutsche Piratenpartei - ältere Dame lässt sich am Info-Stand die Anliegen erklären und sagt dann: "Find ich ja gut. Aber das, was Sie da in Somalia machen, gefällt mir gar nicht!"
Die Landkarte der weltweit organisierten Piraten zeigt das recht deutlich: Nord-, West-, Mittel- und große Teile von Süd- und Ost-Europa, Russland, USA, Kanada, Brasilien, Argentinien, Südafrika, Australien, Neuseeland sind aktiv.
Nur China und im arabischen Raum (politisch noch unmöglich) sowie Japan/Korea und Indien fehlen da noch an wichtigen Playern für eine weltweite Bewegung. Das sieht jetzt schon fast so gut aus wie nach 30 Jahren grünbewegter Politik (auch da fehlen Indien, China und die Arabische Liga), die letzte Ein-Themen-Bewegung, die sich weltweit durchgesetzt hat.
Die Piraten sind also wohl nicht aufzuhalten. Zwar werden ihre Agenden irgendwann vom politischen Mainstream aufgesogen werden und sie dann obsolet machen, wie es die Grünen in großen Bereichen heute bereits wieder sind (überall dort, wo Umwelt-Politik sich als sinnhaft erwiesen hat und halbwegs akzeptiert und auch umgesetzt wird; Österreich gibt da ein okayes Beispiel ab).
Zitat Andre Igler: "Es herrscht absolut Null Bewusstsein (geschweige denn detaillierte Kenntnis) in der gesamten politischen Klasse darüber, was die Digitalisierung aller unserer Daten tatsächlich für unsere Gesellschaft in der näheren und weiteren Zukunft bringen wird und bringen könnte, und welche politischen Aktionen daraus resultieren sollten."
Allein die Tatsache, dass nicht nur eine eher schlecht informierte Öffentlichkeit, sondern auch eine aktuell noch mehr als ignorante politische Kaste, die auch von den wenigen Antreibern aus dem Wirtschaftsbereich, die die Bedeutung dieser Revolution bereits überrissen haben, nicht zu einer Beschäftigung bewegt werden kann, keine rechte Ahnung haben, welche Grundanliegen die Piraten vertreten, sollte schrillstmöglichen Alarm auslösen, meint Igler.
Es wäre natürlich auch die Schuld der Nerds, die sich halt schwertun, komplexe Verhalte verständlich zu vermitteln. Das Hauptproblem ist aber die Ignoranz der Gegenwarts-Mächtigen, sich mit den Konsequenzen aktuellen Handelns auseinanderzusetzen.
Die allesdurchdringende Vernetzung
Das kann man allgemein formulieren, wie im Piratenprogramm: "Im Zuge der Digitalen Revolution aller Lebensbereiche, durch eine allesdurchdringende Vernetzung der Gegenstände des Alltages, einer Allgegenwärtigkeit rechnergestützter Informationsverarbeitung und einer Entwicklung hin zur Verwertbarkeit von Informationen im Web durch Computer, wird die Würde und die Freiheit des Menschen in erhöhtem Maße gefährdet."
Erinnert an alte Agentenfilme oder Krimis, wo Unterschriften mit Zaubertinte geleistet werden und dann verschwinden. Oder an das alte Faxpapier, bei dem nach nur wenigen Monaten dasselbe geschah.
Man kann es aber auch auf das Private und Verständliche runterbrechen, wie Andre Igler das tut: "Daten, z.B. .jpg mit den Familienfotos, müssen nicht nur per se gesichert sein, ich muss auch noch das entsprechende Programm dazu mitsichern, denn wer weiß schon, wie lange der .jpg-Standard backward compatible bleibt, also ab wann man alte .jpg-Bilder nicht mehr so ohne Weiteres mit jedem Reader wird öffnen können. Und auch gleich noch das Betriebssystem, unter dem der Reader läuft. Und auch die Hardware, weil wer weiß, wie lange klassische 16-bit-Software noch auf gängigen Umgebungen laufen wird."
Dieses scheinbare Pimperl-Problem (das aber letztlich für jede der aktuell verwendeten Technologien gilt) wird genauso wenig als wichtig erachtet wie eine sinnhafte Beschäftigung mit der Erstellung von Regelwerken. Die Piraten warnen, dass zunehmend die Möglichkeit schwindet, einen solchen "Prozess mit demokratisch gewonnenen Regeln auf der Ebene eines einzelnen Staates zu gestalten."
Tempo und Problembewusstsein
Das alle überfordernde Tempo der Entwicklungen überfordert den Einzelnen, die (durch überforderte alte Medien schlecht informierte) Öffentlichkeit und selbstverständlich auch die gesetzgebende Ebene, der es genauso an Verständnis mangelt.
Igler verweist auf ein (typischerweise nicht im Web verlinktes) On-Paper-Interview mit dem ersten deutschen Piratenvorsitzenden Christoph Leng in der Zeit.
Leng meint, dass es zuallererst nötig wäre, dass der Einzelne "ein reales Problembewusstsein dafür, was für Daten über ihn oder sie genau wo gespeichert sind, und unter welchen Umständen sie vernetzt werden können, haben soll. Und dafür sollen auch die gesetzlichen Rahmenbedingungen geschaffen werden."
Eine solche Erkenntnis ist z.B. die, dass digitale Daten nicht nur überall, sondern auch flüchtig sind. Und was Vernetzung und umfassender Zugriff tatsächlich bedeuten. Das bedingt aber auch die Abkehr von der angstvollen Verbarrikadierung hinter der Überwachungsfurcht. Der Einzelne, der längst "gläserne Mensch" wird das, dessen er sich (in Zukunft ganz automatisch) unterzieht, auch vom Staat und den Cooperations verlangen müssen: Durchsichtigkeit.
Durchsichtigkeit, beidseitig
Beides ist unendlich schwer zu bewerkstelligen, erfordert ein Rebooting des bisher als widerständisch und richtig punzierten Verweigerungsdenkens.
Denn um derlei Unfug geht es den Piraten nicht: diese Nerds wissen um ihre und unsere Durchsichtigkeit. Sie wollen, dass damit umgegangen wird, sinnhaft und nicht nach analogen Alt-Kriterien, die ihre Halbwertszeit schon längst überschritten haben. Es geht um "digitale Basisdemokratie" und nur die Nerds können die entwickeln, weil (noch) nur die Nerds verstehen, was gerade passiert, während die allermeisten anderen, vor allem die Alt-Analogen, tendenziell nur Bahnhof verstehen.
Aktuell sind es aber diese Bahnhöfler, die die politischen und juristischen Rahmenbedingungen setzen. Und der Druck der Nerds, die Kraft der Piraten, reicht aktuell eben nur für zwei Prozent - nicht genug, um die Bahnsteigdurchsage auch so laut und leicht nachvollziehbar zu gestalten, dass sie Wirkung zeitigt.