Erstellt am: 22. 10. 2009 - 15:42 Uhr
Journal '09: 22.10.
Wenn ein großer Player, etwa der Mobilfunkindustrie, zu einer galaesken Veranstaltung mit Keynote-Speeches, anschließender Diskussion, Preisverleihung für Non-Profit-Organisationen und Sandra-Meischberger-Moderation zum Thema "Social Networks" lädt, kann man zweierlei tun: hingehen um sich am exklusiven Bar/Buffet-Angebot zu vergehen, für die Inhalte aber nur Desinteresse und Ignoranz aufbringen (so wie geschätzte 75% der Gäste); oder diese Zusammenkunft der wichtigsten Partner, Mitspieler, Big Biz-Szene-Leute dazu nützen, um einmal nachzuschauen, wo denn der Mainstream dieser avanciert/technologisch doch halbwegs weit vorn befindlichen Geschäftsbranche steht; bewusstseinstechnisch.
Denn daran wie hoch oder tief der CEO der Mobilcom Austria das Level der Vorträge ansetzt, kann man klar erkennen, für wie weit er/der Führungsstab diesen Stand halten.
Weil man in diesen Kreisen immer nur ein ganz winzigkleines Alzerl an Risiko nimmt, um sowas wie den branchenimmanenten 'Mut nach vorne' zu beweisen, ist das Niveau einer solchen Veranstaltung ein recht deppensicherer Gradmesser für das Niveau der Mobilfunkerei in Österreich.
Nicht mich fragen, warum ich eine Einladung in der Post hatte: ich weiß es schlicht und ergreifend nicht, ich habe keine Kontakte zur Telekom, bin bei einem anderen Anbieter, ich habe also keine Ahnung, wie das kam. Ich kannte dort dann auch gezählte 5 Leute.
So gesehen war die Teilnahme am mobile.futuretalk 09 in der alten Ankerbot-Fabrik eine mehr als interessante Abendgestaltung.
Mich hat vor allem ein Name hingelockt: Chris Hughes, einer der Facebook-Gründer und einer der Konstrukteure der Obama-Online-Wahlcampagne, war einer der Keynote-Speaker. Hughes ist 25, ein Wunderwuzzi aus dem Harvard-Bilderbuch, smart, schlau mit Schlieri-Frisur und dem Lächeln des jungen Tom Cruise.
Der Wunderwuzzi aus dem Harvard-Bilderbuch
Hughes ist ein Teaser und Verführer: er zeigt dem anwesenden Saal-Publikum seine persönliche Facebook-Seite (ein Hoax, ich habe alle 56 Seiten an Chris Hughes in Facebook durchgeklickt, die dort vorgeführte gibt's gar nicht) und erklärt, hochamerikanisch, mit einfachen aber wirkungsvollen Vokabeln sowohl Gemeinnutz als auch Geschäftsmodell seines Schaffens.
Das ist deswegen erfrischend, weil es diese Tonalität hierzulande (womöglich in ganz Europa) kaum gibt. Wenn jemand wie Hughes betont, wie wichtig die Basis-Nähe (sowohl von Facebook als auch der Obama-Campaign) ist/war, wenn er mehrmals rausstreicht, dass "listening, telling unfiltered stories, empowering people" das erste Prinzip wäre, dann mag das nur Mittel zum Zweck (Business) sein: richtig ist es allemal.
Die negative Seite dieser gänzlich anderen Einstellung läßt sich gerade im für Europa komplett unverständlichen wilden Streit um die Gesundheits-Reform erkennen. Obamas Health-Care-Programm wird von vielen aus rein prinzipiellen Gründen (keine Einmischung der Regierung in scheinbar Privates) abgelehnt.
Die europäische Kontrollsucht (die sich im strikten Gegensatz zum amerikanischen Libertarismus sorgt dann eben dafür, dass das (von Leuten wie Hughes mit diversen Tools befüllte) Netz nicht als mehr oder weniger selbstverwaltetes Partizipations-Netz funktioniert, und ruft ständig nach Eingriff.
Prototypisch dafür sei noch einmal an diese Insider-Geschichte über die gräßlich misslungene, an Obama orientierte Web-Campaign der deutschen SPD erinnert.
Da fehlt es also noch deutlich an Bewusstsein.
Das auch durch Hughes kleinen Vortrag nicht erhöht werden konnte. Auch weil er, wohl in Absprache mit dem Besteller und Veranstalter nur das Basis-Paket am Start hatte. Eine fluffige, aber dann doch recht oberflächliche Präsentation der Bedeutung von Social Networks, wie ich sie in den letzten zwei Jahren bereits Dutzende Male gehört habe.
Und, guess what: absolut jeder dieser Vortragenden (ja, das waren verblüffenderweise immer nur Männer) hatte seine eigene Social-Community-Site recht weit vorne im Powerpoint-Vortrag.
Auftritt der Baroness
Woher der Wind weht, zeigte dann die zweite Rednerin des Abends, die eloquente und überaus kompetent wirkende britische Professorin Susan Greenfield, allgemein anerkannte Expertin der Physiologie des Gehirns, Starautorin und Baroness ins House of Lords berufen.
Greenbergs Thema war der Einfluss, den "die neuen Medien" auf die Entwicklung der Gehirne Heranwachsender haben kann/wird. Mit "Social Networks" hat das eigentlich nix zu tun, Greenfield gehört eher zu denen, die Computerspiele für schädlich halten und hat ihren Standard-Vortrag (der im Kern merklich aus den 90ern stammt, bzw zumindest in den beigebrachten Bildern dort lebt) natürlich nicht themengerecht adaptiert.
Warum auch.
Sie war eher dazu da, die allgemeine Befindlichkeit der anwesenden Generation (Business-Leute 40 aufwärts, allesamt bestenfalls auf Xing, aber mit großen Berührungsängsten zu Twitter oder gar Facebook) zu bestätigen. Denn sonst hätte der Auftraggeber wohl auf einer konkreteren Behandlung bestanden.
Und so kam es zu einer kuriosen Situation, zu Beginn des Abends erzählte Gastgeber Hannes Ametsreiter (der Nachfolger des medienquicken Boris Nemsic) von einer neuen und umfangreichen Studie , die bestätigt, dass Viel-Netzwerker im digitalen Bereich auch ein funktionierendes Netzwerk im echten Leben haben - eine Annahme, die bislang immer wieder (nur auf Dünkel, nicht auf Empirie oder gar Wissenschaft gestützt) ins Treffen geführt wurde, im absurden Abwehrkampf, den einige Analog-Köpfe gegen die neue Welt glauben führen zu müssen. Und kurze Zeit später klopfte Frau Greenfield das alte Klischee ungerührt (und ungestützt, denn ihre Hirnforschung kann derlei nicht belegen) herunter.
Das kichernde Fachpublikum
Im Q&A mit beiden Gästen kam es dann gar zur peinlichen Situation, dass Greenfield das Totschlag-Argument der Facebook-Freunde aus der Mottenkiste holte. 130 hat der Durchschnittsuser, sie (die Nicht-Unserin) käme nur auf 10.
Dass ein Facebook-Freund kein IRL-Freund, sondern Bekannschaften, also Acquaintances sind, hat sich mittlerweile ins letzte globale Dorf herumgesprochen.
Hier, in der Ankerbrot-Halle, kichert aber ein Fachpublikum drüber.
Und noch ein drittes Klischee, das die Professorin verwendete, ohne dabei rot zu werden: die olle MI6-Geschichte. Warum das so saudumm ist, steht eh hier in einem eigenen Journal. Dass damit echt noch Leute hausieren gehen, ist durchaus vielsagend.
Noch schlimmer wird es dann, als Greenfield Hughes in seinem einzigen halbwegs wehrhaften Beitrag beim Q&A (der Rest war nichtsagend, auch eine Folge der mangelnden Herausforderung innerhalb eines Mainstream-Rahmens) mit einem Insider-Gag anrennen ließ.
Hughes hatte einem der arg reaktionären, indirekten Anwürfe der Baroness ein gutes Beispiel entgegengestellt. Greenfield hatte die virtuelle Kommunikation als verarmend angeprangert, weil nur bei der realen Interaktion zwischen Menschen Körpersprache, Tonalität, Subtext etc nicht verlorengehen würde. Hughes antwortete nicht, dass die virtuelle Kommunikation die real-life-Dinge (siehe Ametsreiters Studie) ja nicht ersetzt, sondern ergänzt, er brachte das Beispiel des Telefons - auch da wurde bei seiner Einführung von einer ähnlichen Verarmung der Konversation, des Geistes etc geredet. Historisch gesehen hat sich das Gegenteil bewahrheitet: eine (abgesehen von den Eliten) sprachlosen Gesellschaft kam raus aus einer Ära der dumpf-ritualisierten Kommunikation; ähnlich wird das auch jetzt sein.
In jedem Fall antwortete Greenfield: naja, sich auf eine andere auch nicht supere Technologie auszureden, das ist unzulässig.
Der Status Quo: low
Wieder Gekicher im Saal: hihi, sie hat nicht nur den neuen Scheiß, sondern auch das Telefon (die Lebensgrundlage des anwesenden Business) verarscht, hihi!
Greenfields Punkt zeigt aber genau, wo es in ihrer Denke, in ihrem Ansatz hakt. Genausowenig wie man neue Technologien oder neue Medien per se in Abwehrhaltung empfangen sollte, empfiehlt es sich in anderen Disziplinen (auch in der Hirnforschung) davon auszugehen, dass der Status Quo das einzig Wahre ist und beschützt gehört.
Das ist nämlich Susan Greenfields sublime Grundthese. Auf der sie dann ihre Ergebnisse aufreiht. Dass durch die veränderte Stimulation des prefrontal Cortex folgendes passieren würde: reduzierte Empathie, verstärktes Fühlen auf Kosten von Cognition, eine Abnahme des Verständnisses für Metaphern oder abstrakte Konzepte.
Weil 10jährige Kids nämlich neben 900 durchschnittlichen Schulstunden (ich hab die Einheit vergessen, aber egal, es geht ja nur um die Realition) 1250 Stunden mit der Familie und dann 1900 Screen-Stunden hat (davon 50% TV, der Rest fällt auf PC und Console).
Das hat alles nix mit Social Communities zu tun, die ja als Basis für Text/Content-Produktion gilt, sondern ist in ihren Augen die Schuld der Entrücktheit durch Gaming (wie auch Partying oder Drugging), ein anderes Klischee, studientechnisch nicht bestätigt, aber hier durch Hirnforschung scheinbelegt.
Klischee-Gedresche
Was das dann auf einer Veranstaltung zum Thema Social Networks verloren hat?
Nichts.
Das merkt man auch im Medienbereich, etwa anhand der unlustigen Groteske, in der sich der Falter-CR, auch so ein Greenfieldianer, zunehmend verheddert.
Außerdem, weil das alles auch mit der Angst der Aufgabe von Herrschafts-Wissen zu tun hat: Robert Rotifers stunning 2. Teil der Reihe "Kulturelle Mißverständnisse" am Besipiel der englischen Presse.
Und das sagt jetzt viel, wenn nicht alles, über den Status Quo des Bewusstseins in der Mobilbranche aus: elterliche Sorge und Bewahrertum overrult kommunikationsbewußtes Denken, Klischee-Dresche besiegt tatsächliche Beschäftigung.
Irgendwie beruhigt mich das.
Ich hatte nach der klug gestalteten Einladung, durch die interessanten Vorankündigungen und auch wegen des an sich sensiblen und unprotzigen Ablauf des Abends kurz das Gefühl dass zumindest ein Teil-Bereich internationalen Mitdenk-Standard hat.
Wenn diese, kurzfristig aufgepoppte Erwartung sich dann allerdings erfüllt hätte, es hätte mich dann doch zu sehr schockiert.
So bleibt wenigstens alles im überschaubaren Rahmen.