Erstellt am: 22. 8. 2009 - 11:56 Uhr
Angst
- "Wer alt genug zum Einbrechen ist, ist auch alt genug zum Sterben."
(Krone-Kolumnist Michael Jeannée)
Dass der 14-jährige Kremser Florian P. mit Freunden einen Supermarkt knackte und im Zuge einer denkbar missglückten Amtshandlung zweier vom stillen Alarm gerufener PolizistInnen erschossen wurde, ist noch gar nicht lange her, sondern ziemlich genau zwei Wochen. In der Zwischenzeit ebbte die - wie auch immer geartete - allgemeine Erregung ebenso ab, wie sich der Fokus des medialen Tagesgeschehens wieder anderen Dingen zuwandte. Und das nicht mit Unrecht, denn bei aller gegebenen Tragik boten knapp 10 Tage im Mittelpunkt des öffentlichen Interesses Raum genug, Umstände wie Ungereimtheiten anzuprangern, oder aber auch ein im Kern menschenverachtendes Bild von Sinn und Zweck eines Rechtstaats und der darin agierenden Exekutive unter nicht geringem Beifall der Bevölkerung zu kommunizieren. (siehe nebenstehnde Wortmeldungen)
- "Recht und Unrecht muss man unterscheiden können. Einbrechen gehen ist Unrecht. Ich kann mir das Ganze sowieso nicht erklären. Soweit meine Kenntnisse sind, pflegen Supermärkte ihre Kassen in der Nacht nämlich leer zu halten."
(Innenministerin Maria Fekter im Kurier).
Denn tatsächlich ist es, neben dem eigentlichen Anlassfall, die - für mich jungen Naivling - in der Art völlig unerwartete, von weiten Teilen des offiziellen Österreichs zur Schau gestellte und einer Mehrheit der BürgerInnen getragene Unerbittlichkeit, die mich zutiefst beunruhigt.
Oskar Winkler
- "Einbruch ist kein Kavaliersdelikt. Der Täter bleibt der Täter und wird nicht zum Opfer."
(Reinhard Zimmermann, Vorsitzender der FCG-Polizeigewerkschaft NÖ)
Die Gnade der Polizei
Es ist ein wenig müßig, dies extra zu erwähnen: selbstverständlich ist die Polizei unabdingbar und im Grunde ihres Wesens ebenso wichtig, wie gut. Trotzdem hätte ich nach einem derartigen Vorfall fest mit dem in der Bevölkerung breit verankerten Konsens gerechnet, dass, wenn ein jugendlicher Kaufhaus-Einbrecher durch die Hand der Exekutive einen Rückenschuss erleidet und in Folge dessen stirbt, etwas fundamental falsch gelaufen ist. Nämlich nicht vordergründig bezüglich der traurigen, jedoch hinlänglich bekannten, Tatsache, dass auch 14-jährige kriminelles Potential besitzen und Menschen sich - ganz allgemein - bei Not oder Gelegenheit bisweilen fremden Eigentums bedienen.
Diese Umstände sind nicht nur altbekannt, sie sind gewissermaßen widerwillig einkalkulierte Teile unseres Alltags, um derer Herr zu werden es ja auch Strafgesetzbücher und eine mit dem Gewaltmonopol bedachte Exekutive gibt. Dass sich nun ebenjene in einer vorhersehbaren und keineswegs außergewöhnlichen Amtshandlung zu solch drastischen Mitteln genötigt sieht, hätte doch Abseits aller gut/böse Täter/Opfer Debatten jegliche Alarmglocken aktivieren und zumindest Anstoß einer ernsthaften politischen Diskussion über Struktur, Ausstattung, Personalstand, Dienstzeiten, Ausbildung sowie allgemeinen Zustand der heimischen Polizei führen müssen! Hätte müssen!
- "Ich sehe ein Signal weit über Österreich hinaus, das besagt wer in Niederösterreich etwas anstellt, der muss eben auch mit dem Schlimmsten rechnen."
(Erwin Pröll zu diesem Fall im Jahr 2008)
Stattdessen wurde jede Form aufkeimender Kritik augenblicklich als eine skrupellose Hetzjagd gegen die Integrität der Polizei im Allgemeinen interpretiert und auf das Heftigste erwidert. Diese Unmöglichkeit der differenzierten Behandlung eines Sachverhalts, der eben nicht mit eindeutigen Tätern und Opfern aufwarten kann, schmerzt natürlich. Viel beängstigender aber ist der sich durch eine Vielzahl der zur Ehrenrettung unserer Exekutive ausgeschickten Botschaften ziehende rote Faden: Einbruch ist Unrecht, Täter bleibt Täter, wer so etwas tut, müsse mit dem Schlimmsten rechnen!
- "Dieser junge Mann hat sich bedaurlich für eine kriminelle Karriere entschieden darum dürfen andere nicht deswegen geprügelt werden."
- "Ich kann und will nicht glauben, dass erfahrene und gut ausgebildete Polizisten grundlos in völliger Dunkelheit auf Kinder schießen."
- "Auch ein Vierzehnjähriger muss wissen, was Recht und Unrecht ist und dass Unrecht zur Strafe führt. Dass diese "Strafe in diesem Fall tödlich endete ist besonders tragisch. Auf keinen Fall aber alleinige "Schuld" der Exekutivbeamten."
(Lesermeinungen aus den Oberösterreichen Nachrichten)
Hier wird schamlos kommuniziert, dass man als Kleinkrimineller in diesen Landen geradezu erwarten müsste, bei einer etwaigen Zusammenkunft mit der Polizei über den Haufen geschossen zu werden. Die an sich vorgesehene Festnahme mit nachfolgender Bearbeitung durch Staatsanwaltschaft und Justiz als Akt der Gnade, quasi. Diese Sichtweise ist nicht nur eine übelste Absage an den Rechtsstaat, sie entspricht ferner in keinster Weise der Realität, der tatsächlichen Arbeitsweise der Exekutive und offenbart eine erschreckende Gleichgültigkeit, ob der Schusswaffengebrauch im konkreten Fall nun gerechtfertigt war, oder nicht.
Oskar Winkler
Die Angst der SeniorInnen
Wie auf diesen Seiten schon mehrfach zu erfahren war, belebt derzeit ein im Rahmen des Kulturhauptstadt-Jahres an der Grenze von Autobahn und Lebensraum errichtetes, großes, offenes, gelbes Haus den Linzer Stadtteil Bindermichl mitsamt Umgebung. Das Bellevue bemüht sich neben den obligatorischen Konzerten, Auflegereien und Kunstprojekten auch redlich, die lokale Diskussionskultur zu fördern und lud am Dienstag vergangener Woche zum ungezwungen Plausch. Thema: Nachbarschaftshilfe.
- Mit der Hatz auf Polizisten müsse Schluss sein. Der Bürger muss sich auch in Zukunft auf die Ordnungshüter des Staates verlassen können.
(LH Erwin Pröll in der Krone)
Nachdem man sich in der Debatte eine Zeit lang rund um den Konsens, dass nachbarschaftliche Unterstützung und regelmäßiges "Zsammsitzen" richtig, gut und zu fördern sind, gegenseitig bauchpinselte, kam die Diskussion schließlich auf den Themenkomplex Sicherheit. Und unverzüglich erwachte beträchtliches Leben in dem von PensionistInnen überraschend dominierten Publikum, welche - in der Runde der Diskutanten angführt vom Obmann des Bindermichler Pensionistenverbandes - vehement begannen, ihre Angst du deklarieren. Es sei gefährlich, in dieser Gegend Nachts auf die Straße zu gehen, alleine fühlten sie sich - im Gegensatz zu früher - grundsätzlich nicht mehr sicher. Gefahr drohte jedoch nicht, darauf wurde im auch von Jugendlichen stark frequentierten Haus Bellevue Wert gelegt, vorrangig von der missratenen Jugend, denn die Verbrecher kämen "von überall her".
Als einziger Ausweg aus diesem lähmenden Zustand der Furcht sah die versammelte Seniorenschaft nun ein verstärktes Aufkommen der Exekutive. Nicht nur nach mehr PolizistInnen und Patrouille wurde verlangt, man hatte sogar schon im Verbund mit benachbarten Bezirken für eine zusätzliche Polizeistation demonstriert. Ein Wunsch, dem die Republik bis heute keine besondere Aufmerksamkeit zu schenken scheint.
Josef Scheiring
- "Aber es hat keine Unschuldigen getroffen, die zufällig zur falschen Zeit am falschen Ort waren, die Jugendlichen waren zwei Einbrecher, die bereits zuvor mehrfach straffällig geworden waren."
Meine Angst
Manche haben nach den Vorfällen von Krems geschrieben, sie wollten sich nicht ausmalen was man sich hätte anhören müssen, wäre nicht ein 14-jähriger Österreicher sondern ein erwachsener Rumäne gestorben. Ich glaube, es hätte nicht mehr viel Unterschied gegeben. Die Furcht vor dem Unbill des Anderen unterscheidet schon nicht mehr zwischen "wir" und "die".
Verbindet man diesen - nicht nur am Bindermichl vernehmbaren - kompromisslosen Ruf nach der starken Hand des Staates mit nebenstehenden Rechtfertigungen und Absolutionen wird klar, dass eine Mehrheit der Bevölkerung die Angst vor Unrecht, Diebstahl, Gewalt, dem Fremden und dem Nächsten zu sehr verinnerlicht hat, um mit der Idee einer fehlerbehafteten Exekutive noch wirklich leben zu können. Die Polizei kann nicht versagt haben, denn hätte sie es, die letzte Bastion von Recht und Ordnung wäre zusammengebrochen.