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Martin Blumenau

Geschichten aus dem wirklichen Leben.

27. 7. 2009 - 18:03

Journal '09: 27.7.

Das gelbe Haus der Träume. Wie ein Linz 09-Kunstprojekt das Leben der drumherumlebenden Menschen ändert.

bellevue, von hinten

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Hier der Link zu einer wunderbaren Fotostrecke die dieses ungelaublich gut begeh- und bewohnbare Spanplatten-Kunstwerk von allen Seiten zeigt und in allen Farben (okay, eigentlich nur in gelb...) schillern lässt.

Das ist die Bellevue-Homepage. Sie ist sehr gelb und zeigt was war und was noch kommen wird.

bellevue-cup-organisator alois gstöttner bei der arbeit.

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Alois bei der Arbeit

Das erwähnte Fußball-Turnier wurde im Übrigen von Null Acht, dem Magazin für Rasenpflege betreut. Und zwar wirklich großartig. Ist kein Wunder, Alois Gstöttner und seine Mitstreiter bringen ja auch immer wieder ein gscheites Fußball-Magazin zustande.

Jede Menge Auffahrunfälle werde es geben, wenn die Lenker, die von der Autobahn abfahren und nach Linz reinkommen von dem abgelenkt werden, was da ein paar spinnerte Archtiekten-Künstler hingebaut haben auf die Unterführung, die sogenannte "Autobahnüberplattung", die die Wohnanlagen Bindermichl und Spallerhof untertunnelt.

das Haus Bellevue, das Entree

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Ein Wahnsinn sowas zuzulassen. Meinte das zuständige Linzer Amt vorher. Und komischerweise stand das dann auch genauso in den Linzer Lokalmedien. Na sowas!
Unfälle gab es bisher genau einen: und zwar im Tunnel drin, im Stau. Nicht weil das gelbe Haus die Hälse der Kraftfahrer verrenkt, als wäre es die Lorelei am Rheinfelsen.
Aber mit dieser Gegenwehr haben die Initiatioren des gelben Hauses, des Projekts Bellevue gerechnet.
Und noch etwas hatte Michael Rieper, einer der drei Haupt-Initiatoren schon im Mai, als wir uns kurz getroffen haben um ein bisschen zu besprechen, was da am letzten Sonntag passieren sollte, orakelt: "Wir werden dort weniger als Künstler oder Archtitekten gefragt sein, sondern als Sozialarbeiter."

blick auf den platz vor dem haus

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Wobei: Rieper und die anderen (Veronika Orso und Peter Fattinger) mussten nicht wirklich Kaffesud-Lesen - sie haben ihre Erfahrungen beim Projekt Add On - 20 Höhenmeter gemacht, als sie auf dem Wiener Wallensteinplatz ein xstöckiges, gewitzt verwinkeltes und öffentlich begehbares Ding hingestellt haben, in dem sich im Sommer 05 nicht nur Touristen und jugendliche Slacker, sondern auch und vor allem die Bewohner der umliegenden Gegend tummelten und vergnügten - was die üblichen Anrainer-Proteste nach sich zog.

Die hielten sich auf dem überdachten Autobahn-Zubringer in Grenzen, dafür gilt die Gegend als "schwierig". Es handelt sich nämlich um die für die Stahlwerkarbeiter noch unter den Nazis hochgezogenen Siedlungen Bindermichl und Spallerhof (damals noch unter anderen Namen), die zwar kein Ghetto sind, aber doch so sehr außerhalb liegen, dass sie selbst der Linzer kaum kennt. Die repräsentative Umfrage unter dem Linzer Siegerteam des sonntäglichen Bellevue-Cup (einem Mix-Turnier aus Kleinfeldfußball auf der Wiese direkt vorm Haus und Minigolf, auf dem Platz gleich ums Eck) ergab, dass erst einer von vier an sich Eingeborenen schon einmal hier war.

Fußball-Action

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Und genauso wie der Turm am Wallensteinplatz zu Wien (metaphorisch) damit stand und fiel, wie er von den Anrainern angenommen werden würde, ist das auch beim Haus Bellevue der Fall.

Als wir gestern Sonntag dort aufgetaucht sind, auf dem Dach dieser eigenen kleinen Welt, war schnell klar, dass das funktioniert. Auf der zum Spielfeld umorgansierten Wiese spielten 10 Team (Locals, Linzer, aber auch aus der Umgebung und sogar aus Wien angereiste Freundeskreise), und drumherum und im mit allen wichtigen Unsinnigkeiten ausgestatteten Haus mischten sich die lokalen Pensionisten, die lokalen Kids, die lokalen Streuner und die lokalen Aufeinensprungvorbeischauer mit den extra Angereisten von außerhalb.

Blick hinter dem Fußball-Tor

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Linz09

Teil von Linz09

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Und die Betreiber, die für die Dokumentation oder die Küche, die Werkstatt oder die täglichen Veranstaltungen Zuständigen, oder die Artists in Residence hatten bereits ihre Verbrüderungs-Szenarios hinter sich.

Zum Beispiel Lorenz Seidler, als Esel bekannter Kunst-Kommunikator (mir fällt kein besseres Wort ein, er ist ein Näherbringer, ein Volksbildner im besten Sinn, aber wer mag so ein verstaubtes Attribut schon...): mittendrin in der Vermittlung zwischen dem Anführer der losen Bande der 11, 12jährigen Buben, die das Haus für sich okkuüiert haben, und dort nicht nur jeden Tag abhängen, sondern auch bei jeder Aktion mittun und sich im besten Sinn einbringen und seiner besorgten "Er muss aber eigentlich um sechse wieder daheim sein!"-Mutter.

Blick aus dem Haus Bellevue

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Oder Bernadette Krejs, an diesem Wochenende sowas wie die Chefin vom Dienst, die längst auch die freiwilligen Helfer mit Beschäftigungen eindeckt und auf bereitwillige Kräfte wie den Herrn Schildkröte genannten Pensionsten zurückgreifen kann, der Neu-Ankömmlingen gerne die nur auf den ersten Blick ungewohnten Zusammenhänge erklärt - aus seiner Erfahrungssicht der ersten vier Wochen halt.

Das nächste Highlight, das mich hinlocken könnte, ist die Das berühmte Freiluft-Klo des Bellevue

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Fix ist, dass jeden Tag und jeden Abend was passiert. Am Montag was mit Kunst und ein Film. Dienstag die Talkshow vom Esel, am Mittwoch was mit Musik, am Donnerstag was mit Kochen und Essen und Freitag/Samstag auch größere Gschichten. Sonntag wird oft so stadtteilmäßiges verhandelt - gestern wurde gespielt (Fußball und Minigolf). Ja und Sonntag-Abend wird Tatort geschaut; nicht der der aktuell in ORF/ARD wiederholt wird (sorry Krassnitzer), sondern gleich die ganz alten Kammellen. Gestern z.B. einer mit Manfred Krug, wo der, ganz kottanesk, nicht nur den Fall löst, sondern auch zwei Lieder singt.

Und auch da sitzen dann ein paar Kultur-Touristen neben ein paar Locals und ein paar Zufalls-Gästen und lachen an denselben Stellen - welche Überraschung.

Keine Angst, die Sozialromantik hat uns nicht überwältigt: die Probleme bleiben dieselben wie vorher. Einzelne Pensionisten schimpfen auch weiterhin über die "Negerin", die sich beim Anstellen um die Grillwürstel vorgedrängt hat. Ein Projekt wie dieses offene, multifunktionale Haus kann nur Anstoß geben.

Wenn dann allerdings die Spallehof-Kinder die Bernadette angstvoll fragen, was sie denn machen sollen, wenn das Bellevue-Haus dann wieder weg ist, in zwei Monaten, dann rührt das nicht nur an, sondern zeigt auch, dass es geht.
Das überall was gehen würde.
Dass das funktional gut Gelungene (wie dieses Musterbeispiel temporärer Architektur) automatisch Beschäftigung mit dem eigenen Sozialwesen nach sich zieht.
Und so Teil einer Lösung sein kann.