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Michael Schmid

produziert Texte und Radiobeiträge für Connected, Homebase & Im Sumpf

17. 2. 2009 - 10:43

Was nichts kostet, ist nichts wert

Pop nach der Digitalisierung: Die Krise der alten Pop-Ökonomien ist gerade dabei, MusikerInnen die wirtschaftliche Existenzgrundlage zu rauben. Wie schaut die tonträgerfreie Zukunft aus?

Tobi Müller veranstaltete gemeinsam mit Christoph Gurk den Kongress Dancing With Myself Mitte Jänner in Berlin.

Bei der Listening Party zum neuen Animal Collective Album in New York gab es Drinks und Sandwiches. Tobi Müller erzählt eine kleine Geschichte, die er auf irgendeinem Blog gelesen hat. Bei solchen Parties wird einer ausgewählten Klientel - zum Großteil MusikjournalistInnen - eine hochgeheime, äußerst kostbare CD vorgespielt. Noch weit vor der Veröffentlichung soll sich das Fachpublikum so seine Meinung über das bis dahin noch ungehörte Stück Musik bilden. Die CD wird eingelegt. Play. Doch zwei Nerds springen auf und singen das komplette Album mit. Ton für Ton, Wort für Wort. Sie hatten es längst runtergeladen.

Musik ist allgemein verfügbar geworden. Und gratis. Zumindest könnte man das Gefühl bekommen. Die CD ist als Medium in der Krise, Musik wandert statt dessen ins Internet, aber bezahlte Downloads bringen nur einen Teil der Rückgänge von CD-Verkäufen wieder rein. Wie lässt sich Musik überhaupt noch finanzieren, wenn der Tonträgermarkt weitgehend entfällt? Geht es der Plattenindustrie bald wie der gegen die Wand gefahrenen Autoindustrie oder den Banken? Jetzt, wo es möglich ist, sich entlegenste Sounds im Netz zu besorgen, scheint es immer weniger HörerInnen zu geben, die dafür bezahlen wollen. "Weil mittlerweile die reale Gefahr besteht, dass bestimmte Stile und Idiome der Popkultur – zumindest vom Marktgeschehen - verschwinden, und Musiker kaum noch von ihrer Tätigkeit leben können, muss über Alternativen zur Finanzierung von Musik gesprochen werden", fordert Christoph Gurk.

Was nichts kostet, ist nichts wert

Wenn von alternativen Finanzierungsmodellen die Rede ist, dann kann das Beispiel von Radioheads Coup mit dem Namen In Rainbows nicht weit sein. Pay-what-you-want scheint zu funktionieren. Zumindest für Bands, die schon vor der "digitalen Revolution" starke Marken mit einer demensprechender Fanbase waren. Die Konten einer jungen Indie-Formation aus Österreich würden auf diesem Weg aber wohl kaum aus den Nähten platzen. "Und so revolutionär, wie man den Umstand einschätzte, dass man die Platte gratis aus dem Internet laden konnte, war er dann doch nicht", meint dazu Tobias Rapp von der TAZ. Die meisten HörerInnen griffen nämlich erst wieder über illegale Tauschbörsen auf das Album zu. Viel interessanter ist, dass "In Rainbows" unproportional viele Vinylplatten verkauft hat. 61500 Stück am amerikanischen Markt, und das in einer Zeit, in der sich kaum mehr Plattenspieler in den Haushalten befinden.

Vinyl, die Rettung?

Regal mit Unmengen von Vinyl-Schallplatten

jem (http://www.flickr.com/jemstone)

Vinyl ist also wieder zurück. Der Anteil der CD hat zu Gunsten einer sozialen, fast schon auratischen Aufladung von Schallplatten und der Zunahme von farbigen Special Editions verloren. Die Leute kaufen die Platten nicht mehr, um sie anzuhören, sondern um sie zu haben. Blöd, dass gerade jetzt, wo es in allen großen Medienmärkten wieder kleine Schallplattenabteilungen gibt, die DJs nicht mehr mitspielen. Genau die Kultur nämlich, die dieses Format seit je her brauchte und am Leben erhalten hat, ist gerade dabei, es wieder verschwinden zu lassen. Statt dem dicken Plattenkoffer reichen den DJs seit einigen Jahren ein Laptop und die entsprechenden Programme, um ihr Handwerk ordentlich ausüben zu können.

Don't Sweat the Technology

Es ist aber nicht nur ein technologischer Wandel, den die Figur der/des DJs in den letzen Jahren durchlaufen hat. Auch der Beruf DJ hat sich in den vergangenen zehn Jahren drastisch verändert. Aus dem Plattenaufleger von früher ist ein Musiker mit eigenem Songvokabluar geworden. Remixe gehen mit digitalen Technologien bei weitem schneller als früher, das aufwendige Kratzen von Vinyl fällt genauso weg wie teure Dubplates, das Orchester spielt am Notebook und teure Studios - samt MusikerInnen - sind obsolet geworden.

Der Unterschied zwischen Produzent und DJ ebnet sich also ein und das Geschäftsmodell des Künstlers verändert sich grundlegend hin zum 360° Allrounder. "Mittlerweile", so Rapp, "übernehmen die Künstler den Job der Plattenfirmen gleich selbst und eröffnen ein Artist-Label. Musikproduktion, Liveauftritte, Booking, Vermarktung und oft auch Organisation von Parties, etc. - alles aus einer Hand."

Das Geld mit dem Gig

Die entscheidende Entwicklung ist für ihn aber die massive Machtverschiebung zu Gunsten der Clubs. Dort spielt die Musik zur Zeit. Und dort muss der DJ als Allroundvermarkter gerade sein, um ökonomisch existieren zu können. Auffallend dabei ist, dass die Clubs weitgehend unabhängig sind. Kaum große Veranstalter und Kapitalgeber lassen sich blicken, auch die Werbeindustrie zeigt nicht mehr das große Interesse an der Nische Clubkultur. "Eigentlich der popkulturelle Idealzustand", merkt Rapp nicht unzynisch an. "Das Gute an Indie nimmt man mit: ökonomische Unabhängigkeit, künstlerische Integrität, Leidenschaft, Kompromisslosigkeit; die schlechten Sachen lässt man weg: keine verkürzte Kapitalismuskritik, keine Unprofessionalität, keine Verklärung der eigenen Selbstausbeutung als einen emanzipatorischen Akt." Dass die/der prekär überforderte 360° AllrounderIn das aber nicht lange machen wird, ist klar.

Schwarzweißfotografie mit Fans von Angelika Express

Tante Angelika

Ich AG als Alternative? 500 UnterstützerInnen ermöglichten es der Band Angelika Express, vier Monate lang jede Woche einen neuen Song auf ihre Website zu stellen. Dafür werden 80% der Einnahmen vom Album "Goldener Trash" an die Anglika Aktionäre ausgeschüttet.

Auf der Bühne statt auf Platte

Eine generelle Entwicklung in Richtung Live-Erlebnis beweist das wohl prominenteste Beispiel des Pop-Mainstreams. Madonna wechselt von einem Plattenlabel (Warner) zu einem Konzertveranstalter (Live Nation). Für drei neue Studioalben, den Verkauf von Fan- Artikeln, vor allem aber für Konzerttourneen, denn das Livegeschäft boomt. Spitzeninstitute wie Madonna oder die Stones erfinden den Stadionrock gerade neu und machen damit entsprechende Umsätze. Zwischen 50 und 100 Euro lässt man dort gerne liegen pro Karte. Der Live-Gig ist mehr wert denn je.

Clear Channel ist Großspender der Republikaner rund um die Bush. Die Radiostationen des Konzerns haben 2003 zum Vernichten von Dixie Chicks CDs aufgerufen haben, weil die an Bushs Irak Politik Kritik übten.

Christian Lehner über die Fusion von Live Nation und Ticketmaster.

Und als ob man die Fehler der Vergangenheit einfach übersehen hätte, setzt die Live-Industrie auf die gleichen Pferde wie das marode Fuhrwerk Phonoindustrie. Vier multinationale Konzerne sind für 80% der Gesamtumsätze im Plattengeschäft zuständig, und auf eine ähnliche Kapitalkonzentration steuert die Livemusik-Industrie gerade zu. Einige wenige Konzerne wie eben Life Nation (eine Tochterfirma der Clear Channel) dominieren das Livegeschäft. Diese Firma besitzt einen großen Anteil der Stadien in den USA, veranstaltet gleichzeitig Tourneen, die sie über ihre eigenen Radiostationen promotet und steigt jetzt (mit Madonna) auch noch ins Tonträgergeschäft ein. Dieser Konzern ist auch in Europa aktiv und hält mittlerweile eine 50% Beteiligung an den wichtigsten deutschen Konzertagenturen. Für die Konzertveranstalter in den Nischen, wie etwa Berthold Seliger, machen Megakonzerne wie dieser das Geschäft nicht einfacher und die Vielfalt geringer. "Kleine Bands", so Seliger, "schreiben bei Livegigs seit 20 Jahren gleiche Zahlen." Vom lukrativen neuen Live-Geschäft naschen also erst wieder die Großen.

Und jetzt erst recht, denn die vier großen Major Labels der Plattenindustrie drängen jetzt auch auf den Live-Markt. Warner Frankreich hat zum Beispiel eine wichtige französische Tourneeagentur gekauft. Und Bernd Dop, der Chef von Warner Music Central Europe, erklärt dem Spiegel, um was es den Majors in Zukunft gehen wird: "Wir stellen keine Platten her, wir produzieren Musik, wir bauen Stars auf, und wir kreieren Emotionen." Was da gerade auf uns zurollt, ist eine hochentwickelte Emotionsindustrie, die den ökonomischen Spielraum für Indies wohl auch nicht größer machen wird. Das wirtschaftliche Konzept des Live-Gigs als Survival Tool wird also auch nicht der große Wurf sein.

Courtney Love singt

Tom Edwards (http://www.flickr.com/photos/tom_edwards/769036756)

Courtney Love machte im Jahr 2000 ihrem Ärger Luft und rechnete öffentlich vor wer wirklich an der Musik verdient. Courtney Love does the maths

Tauschbörse als Markt

"Ich glaube nicht, dass Leute nicht einsehen, dass auch Kreative irgendwie ihre Brötchen bezahlen müssen. Aber in dem Augenblick, wo ich das Gefühl habe, ich bezahle gar nicht die Künstler, sondern ich bezahle multinationale Konzerne, ist meine Bereitschaft hier natürlich viel eingeschränkter." Volker Grassmuck ist Medienforscher und Urheberrechtsexperte in Berlin. Für ihn ist der Zug noch nicht abgefahren; statt auf Kriminalisierung von UserInnen, die Musik aus dem Internet downloaden, setzt er auf alternative Lösungsansätze, wie etwa die Flat-Rate.

Kultur-Flatrate

Für einen Pauschalbetrag von beispielsweise 5 Euro pro Monat darf, so die Idee der Kultur-Flatrate, runtergeladen werden, so viel man will. Die MusikerInnen werden über ein einigermaßen präzises System pro Klick bezaht. Die Aktivitäten, die heute sowieso stattfinden im Internet, werden dadurch zu einem Markt. Ein Prinzip, das recht einfach auf andere urheberrechtlich relevante Bereiche wie Film oder Literatur übertragen werden könnte.

"Eine 'Kultur-Flatrate' ist die einzige vernünftige Lösung, Kreative für den Tausch ihrer Inhalte im Netz zu vergüten", sagt der Medienwissenschaftler Volker Grassmuck. Im Gespräch mit ORF.at

Das Kultur-Flatrate-Modell ist wahrscheinlich in Frankreich am weitesten entwickelt . 'Licence globale' heißt es dort. Eine große Koalition von Internetnutzern, Verbrauchern, Kreativen und Verwertungsgesellschaftlern hat sich hier zusammengeschlossen und eine Reihe von Machbarkeitsstudien in Auftrag gegeben. Bei Umfragen in Frankreich und Schweden geben etwa drei Viertel der Befragten an, für eine Legalisierung von peer to peer einen monatlichen Betrag bezahlen zu wollen.

In einem System, wo Tauschbörsennutzung legal ist, hat niemand etwas zu verbergen. Das erleichtert die technische Umsetzung enorm. Zur Zeit werden die Namen der Musikdateien verändert und die Inhalte verschlüsselt. In dem Augenblick, wo der Download von Musik legal ist, kann man in die Header der Dateien Informationen einführen. Über so genannte ISPs könnten auf den Routern auch Urheberrechtsinformationen mit raus gezogen werden, die Router geben die Downloadzahlen an eine Zentrale weiter. Bei datenschutzrechtlichen Bedenken wäre stattdessen auch ein freiwilliges System mit Black Boxen, wie wir es heute im Fernseh- und Radiobereich verwenden, denkbar. Über statistische Methoden könnte man das Downloadverhalten sehr präzise hochzurechnen.

Egal mit welcher der beiden Methoden, die Tauschbörsen würden jedenfalls zu einem Markt werden, der auch weiterhin wirtschaftliche Anreize für Musikindustrie, Labels oder Werbeagenturen bietet. Denn: Was man nicht kennt, wird auch nicht runtergeladen. Zusätzlich könnte man die Möglichkeit einer unterschiedlichen Gewichtung andenken. Besonders förderungswürdige Dinge wie etwa avantgardistische, schwierige Musiken, könnten beispielsweise mehr vom Kuchen bekommen. Vorausgesetzt die Gesellschaft (also wir) hätte das gerne.

Was nichts kostet, hat auch Wert

Der Stehsatz der Industrie: "Was nichts kostet, ist nichts wert." wäre somit obsolet. Denn die "gefühlt" kostenlose Musik ist und war immer schon von Wert. Oder ist die Musik aus dem Radio auch nichts wert? Ist das Mix-Tape von der Freundin nichts wert?

Andererseits zeigt das Beispiel magnatune.com sehr schön, dass die Leute immer noch bereit sind zu bezahlen. Magnatune Musik steht unter einer Creative Commons Lizenz, die nichtkommerzielle Weitergabe erlaubt. Die Preise bestimmen die Kunden auf einer Skala von 4 bis 14 Euro pro Album. Würde man der Plattenindustrie glauben, so bezahlten die Leute immer nur den den Mindestbetrag für Musik. Tun sie aber nicht. Im Schnitt bezahlen sie 8 Euro für etwas, das sie auch über Tauschbörsen legal bekommen könnten. Sie bezahlen also ganz bewusst, denn Magnatune signalisiert, dass 50% der Einnahmen direkt an die MusikerInnen gehen. Eine transparente Politik, die der größte Kaufanzreiz für die DownloaderInnen zu sein scheint.

Teil drei von "Pop nach der Digitalisierung" beschäftigt sich mit der Verschiebung der Pop-Öffentlichkeiten in Richtung Internet und wie die Musikkritik (nicht) darauf reagiert. Ab morgen, Mittwoch, auf fm4.orf.at.

Es gibt sie also, die Zukunft der Musikindustrie abseits von multinationalen Emotionsindustrien und einer Tonträgerindustrie, die uns "jahrzehntelange an der Nase herumführt hat und jahrzehntelang Müll produziert hat", wie Christoph Ellinghaus vom mittelständischen Indie-Label City Slang es formuliert hat. Auf Basis eines fairen Interessensausgleichs und auf einer Grundlage von Gerechtigkeit und Transparenz könnte die Kultur-Flatrate ein Weg in diese Zukunft sein. Das muss aber erst in einer öffentlichen, politischen Debatte ausgehandelt werden. Also wir mit uns - untereinander.