Erstellt am: 11. 2. 2009 - 11:10 Uhr
Merger! Super?
"Did you guys win a Grammy last night?" Am Montag waren TV On The Radio zu Gast im Colbert Report auf Comedy Central. Nicht bloß als Musikaufputz - wie üblich in den Late Night Shows - sondern auch als Interview-Partner. Stephen Colbert kauerte mit Tunde, Kyp und Dave vor den Instrumenten wie am Lagerfeuer einer Verschwörung. "Cause I didn't!", spielte der Star-Comedian den Empörten, räumt er doch üblicherweise bei Preisverleihungen groß ab.
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Dass TV On The Radio nicht einmal nominiert waren und seine Witzigkeit kein goldenes Grammophon abgestaubt hatte, veranlasste Colbert zu einem Statement, das mittlerweile als common sense der Branche gilt: "Isn't it funny how the Grammys are so irrelevant now". Dave Sitek und das Publikum lachten. Der Preis für das beste "Spoken Word Album" ging an Al Gore.
Verunglückte Grammy-Inszenierung
Zu den Grammys hat Martin Blumenau bereits an dieser Stelle das Wesentliche geschrieben. Nur kurz mein Senf dazu, weil der als Überleitung aufgetragen werden muss: auch in meinen Augen und Ohren manifestierte sich die Orientierungslosigkeit der Musikindustrie am deutlichsten in den Furcht erregenden Live-Duetten.
Live Nation ist der weltweit größte Konzertveranstalter. 2005 aus der Clear Channel Communications Gruppe hervorgegangen umfassen die Geschäftsfelder mittlerweile auch so genannte 360° Deals mit Künstelrn wie U2 oder Madonna.
Inspirierend und künstlerisch wertvoll wie eine Suppendose ohne Warholschen Kontext glich dieser "Austausch und Respect" zwischen den Generationen und Genres eher dem verkrampften Versuch, Kaufanreize mit Hilfe eines künstlichen Crossover Appeals zu schaffen. Die Performance als Synchronisation der Geschmäcker, das war als einziger Trend dieser Grammys auszumachen.
Dass im Gegenlicht dieser Variationen des Grauens der redundanteste Musikempfehlungsdienst wie ein top-notch DJ erscheinen muss, ist eine Sache. Dass sich aber verdiente und historisch wichtige Musiker wie Stevie Wonder, B.B. King oder auch Dave Grohl auf das Niveau eines Talente Show-Formats herabwürdigen lassen, um etwa mit den Jonas Brothers auf "gleicher Augenhöhe" zu "jammen", war ausschließlich unter Zuhilfenahme einer anderen Todeskombination auszukontern: Chili-Nachos und Reisbier.
Mit einer Verneigung vor der Popgeschichte und ihrem Beitrag zu den gesellschaftlichen Veränderungen in den USA hatte dieses entwürdigende Paarlaufen, dieses Abnicken des Verwertungsmodells "American Idol" durch die allerhöchsten Stellen jedenfalls nichts mehr zu tun.
Dass diese Verzweiflungstaten ihre Legitimation in der "One United States Of America" Rhetorik des Grammy-Gewinners Barack Obama suchten, war ebenso offensichtlich wie platt inszeniert. Was kommt nächstes Jahr: Chuck D im Duett mit Hank Williams Junior?
Insofern fällt es leicht, sich Steven Colberts Statement anzuschließen. Ist doch gut, dass die Grammys nicht mehr so wichtig sind. Schließlich weiß ja auch kaum noch jemand aus dem Stand heraus, die aktuelle Nummer eins der Billboard-Charts zu nennen.
Coole Politik, not so Pop
epa
Soll doch die Politik des Barack Obama cooler, relevanter und näher an der Zeit sein als all der glücklich oder weniger glücklich machende Pop – ob oben oder unten, Subkultur oder Mainstream.
Gründe für Sorgenfalten auf CEO-Blutzern gibt es auch jenseits aller Nivellierungstendenzen und Major-Krisen. Und siehe da, dieses Thema wurde sogar bei den Grammys angesprochen - wenn auch kodiert. Dort nützte Neil Portnow, der Präsident der veranstaltenden "National Academy of Recording Arts and Sciences", seine Rede für einen Appell an den Präsidenten, in Washington doch ein Kulturministerium zu etablieren. Argumentiert wurde diese Forderung mit dem Hinweis auf Barack Obamas Aufstieg, der ja auch als kulturelle Leistung zu werten sei und darüber hinaus als Beleg für die Relevanz dieser Kultur im Umschlag mit der US-amerikanischen Identität.
Dass der Sprecher einer Industrievereinigung etwas ganz anderes gemeint haben könnte als er gesagt hat, dieser Verdacht erhärtete sich gestern Dienstag. Und das nicht nur, weil der Wunsch nach einem Kulturministerium mit dem nach eventuellen Bail Out Programmen gleichzusetzen ist.
Der Super? Merger!
Ticketmaster ist der weltweit führende Zwischenhändler von Konzert- und Festivaltickets. Mitte der 70er Jahre in Kalifornien gegründet, setzte der Konzern von Anfang an auf eine aggressive Verkaufsstrategie und ist aufgrund seiner Preispolitik immer wieder Gegenstand von Kritik und Gerichtsfällen.
Was nämlich zuvor als Gerücht kursierte, wurde nun offiziell bestätigt. Der Konzert-, Management- und mittels exklusiver Deals mit Madonna, Jay-Z und anderen Acts seit einiger Zeit auch Tonträger-Herrscher, Live Nation, und der Konzertkarten-König Ticketmaster Entertainment beabsichtigen eine Fusion zu gleichen Anteilen
Was dem Gros der internationalen Medien bloß eine kleine Meldung im Wirtschaftsteil wert war (und viel bezeichnender: den wichtigen Publikationen der sich selbst als engagiert einstufenden US-Musikszene nicht mal das), könnte eine gewaltige Umwälzung der Popindustrie in Gang setzen, von der nicht einmal die nerdigste Mucker-Combo verschont bleiben würde.
Immerhin kontrollieren Live Nation und Ticketmaster nicht nur den Großteil des Veranstaltungsmarktes in den USA und auch vieler anderer Länder. Mit so genannten 360° Deals arbeitet LV bereits seit längerem am Geschäftsmodell der durchgehenden Verwertungskette, die dem Artist mittels Zusammenführung von Management, Live-Sektor und Musikproduktion umgehängt werden soll.
Der Boss ist sauer
Mehr zu Pop nach der Digitalisierung gibts in einem Themenschwerpunkt ab Sonntag auf fm4.ORF.at und Donnerstag, 19.2. in einer Homebase Spezial.
Dass dabei die Major-Labels außen vor bleiben und somit endgültig auf der Müllhalde der Popgeschichte landen könnten, erklärt die indirekte Interventions-Aufforderung Podrows jenseits aller Bail Out Begehrlichkeiten. Das reklamierte Kulturministerium soll wohl die Interessen der strauchelnden Industrie-Dinos unter Artenschutz stellen. Da die Majors noch immer über eine gut funktionierende Lobby verfügen, schalten sich jetzt auch Politiker in die Diskussion ein, wie etwa New York State-Senator Chuck Schumer, der eine strenge Prüfung des geplanten Mergers durch die US-Kartellbehörde fordert, die dem Deal erst zustimmen muss.
Was das Zustandekommen dieser Pop-Super-Fusion für die Preisentwicklung des Marktes, die künstlerische Unabhängigkeit und das Schaffen jenseits dieser gated community bedeuten könnte, überlasse ich eurer Fantasie.
Der Boss himself ist jedenfalls verstimmt. Als im Rahmen der laufenden Bruce Springsteen Tour bekannt wurde, dass Ticketmaster über dubiose Geschäftsmethoden gutgläubigen Fans mehr Geld aus der Tasche zog, als die ohnehin schon teuren Karten kosten, wandte sich Springsteen mit einem offenen Brief an die Übervorteilten. Den Vorwürfen zufolge hatte Ticketmaster Fans auf eine Resale-Site einer Subfirma gelenkt. Dort mussten diese häufig mehr als das Doppelte des regulären Preises bezahlen, obwohl noch ausreichend Kontingente an Erstkarten vorhanden waren. Nicht wirklich die feine Art, das.
Obwohl seine Firma offiziell alle Anschuldigungen abstreitet, hat sich Ticketmaster Boss und Ex-Guns'n Roses Manager Irving Azoff bei den Springsteen Fans entschuldigt und Entschädigungen versprochen.
Ob das auch für jene von TV On The Radio gelten würde?