Erstellt am: 27. 11. 2016 - 13:22 Uhr
In Südafrika fühlt sich das Rotkehlchen am wohlsten
Seit das Waves Vienna Festival ins Wiener WUK gewandert ist, ist das Blue Bird Festival das einzige seiner Art, das drei Tage hintereinander in so intensiver Form Indiepop und Singer-Songwriter-Folk in den Jazzclub Porgy & Bess bringt.
Blue Bird Festival
Das Blue Bird Festival hat von 24. bis 26. 11. im Wiener Porgy & Bess stattgefunden.
So war der Eröffnungsabend.
Das Blue Bird Festival hat sich heuer mit dem Line-Up ein bisschen gewagter gezeigt als im vorigen Jahr, auch wenn das auf den ersten Blick gar nicht so erscheint. Ich kann mich noch erinnern, als der schräge Avantgardekünstler Ariel Pink die Bühne im November 2015 überhaupt nicht mehr verlassen wollte. Die Lichter im Saal waren eigentlich schon an, die Besucher und Besucherinnen haben sich von ihren Sitzplätzen erhoben, manche in Euphorie, manche dann doch, um dem Konzertmarathon persönlich ein Ende zu setzen. Und zusätzlich zu diesem zwar schrägen Ausreißer - aber Publikumsmagneten - hat sich das Kuratorenteam auch in Richtung österreichischer Indie-Fraktion mit den Lieblingstrübsalbläsern Polkov oder aber Bernhard Eder abgesichert.
Coeur de Pirate statt Ariel Pink
Heuer anders: Das Line Up war auf den ersten Blick nicht das, was Indiepopliebhaber erwarten würden, die neben den Gürtelbahnbögenlokalen einmal im Jahr einen Zwischenstopp in der Riemergasse einlegen. Coeur de Pirate, die junge Expunkerin aus Montreal, steht ganz oben auf der Liste, nur in Österreich noch nicht ganz so bekannt, wie sie es schon sein sollte (und sicher sein wird!). Sie ist wunderbar euphorisch, überzeugend, und hat mit Abstand den besten Auftritt des Festivals bestritten. Ein ungebändigter, junger, über und über tätowierter Rockstar, der dann in Diskrepanz dazu im lieblich-wirkenden Französisch singt.
Dass Coeur de Pirate trotz des noch unbekannteren Namens locker mit dem Auftritt von Ariel Pink im letzten Jahr mithalten kann, haben die Kuratoren zur Freude des Publikums schon vor ihrem großartigen Auftritt erkannt.
Lee Ranaldo lässt es im Porgy & Bess laut werden. Er hat den Rest von Sonic Youth dieses Mal zu Hause gelassen und sich für sein Soloprojekt eine neue, junge, sehr motivierte Band zusammengestellt. Die Momente, in denen es so richtig heiß im Jazzclub wird - und das nicht nur wegen der über die Stunden ausgetrockneten Luft - sind dann doch die, in denen das Festival seine Grenzen von Singer/Songwriter überschreitet und, wie in diesem Fall, in gedämpften Noiserock ausschert.
Hanna Pribitzer
Aus der Reihe tanzt, charmanterweise, Neil Halstead. Seine Vergangenheit in unter anderem der Shoegazeband Slow Dive hat ihn zurück zur Essenz geführt. Weg von Klangwänden und diffusem Überzeichnen der Melodien, heruntergebrochen wieder auf klassische Gitarrenbegleitung und Gesang. Sein Gitarrenkoffer steht offen neben ihm auf der Bühne, als wäre er sich nicht ganz sicher, als spiele er vielleicht doch gerade ein Straßenkonzert. Das Holzfällerhemd, der Vollbart und die verwuschelten Haare, seine sarkastischen, aber sehr treffsicheren Bühnenansagen und die Nonchalance, die seinen Gesamtauftritt prägt, sind das perfekte Unterhaltungspaket.
"The next song is an English country song. They’re all the same. Lose a girl, get drunk, find a dog. And so is this one." Gelächter, Gelächter. Alle lieben Neil, wie er dasitzt, scheinbar doch etwas zerquetscht über den Verlust der besungenen Dame, aber auch irgendwie ganz zufrieden mit dem Stoff, Geschichten damit zu spinnen.
Lieblingsvenue Porgy & Bess
Wenn es um Headliner geht, hat das Festival heuer also mehr gepokert als in den vorigen Jahren - was die Qualität nicht gemildert hat, aber das Porgy & Bess war erst am letzten Tag ausverkauft. Andererseits ist es aber unter anderem das, was das Blue Bird Festival ausmacht. Es ist ein Festival für Liebhaber, die nicht jede zweite Woche, sondern vielleicht nur zweimal im Jahr ein Konzert besuchen. Die sich die Karten nicht nur wegen des Headliners, sondern wegen der schon am ersten Tag des Festivals erwähnten wahnsinnig schönen Stimmung kaufen.
Hanna Pribitzer
Ein Loblied also auf das Wiener Porgy & Bess und die dort einzigartige Atmosphäre. Die junge südafrikanische Künstlerin Alice Phoebe Lou bringt es auf den Punkt: "I feel like as if I was thrown back to the 20ies, playing that club. This is why I today wear a dress, I feel like a lady - and I’ve been wearing jeans for weeks now." Auch sie kommt direkt aus der Straßenkünstlerecke, ist in Kapstadt aufgewachsen, war dann Feuertänzerin in Paris und jetzt als Straßenmusikantin unterwegs.
Und nicht nur die Atmosphäre in der zweistöckigen, fischbauchartigen Venue, in die man wie in eine andere Welt hinabtaucht (und das nicht nur, weil auch gleich der Handyempfang mitverschluckt wird), sind allein Grund genug, Festivals dort zu besuchen. Drei Tage lang gibt es beim Blue Bird Festival (nur) eine Bühne zu bestaunen. Was praktisch klingt, ist oft gar nicht so einfach zu lösen: das Bühnenbild wird gewechselt, die Bühnenpräparation und je nach Künstlervorgabe muss das Setting im Minutentakt geändert werden. In knappen Umbaupausen zwischen den vier - am gestrigen Samstag sogar fünf - auftretenden Künstlerinnen und Künstlern verwandelt sich die Bühne von der dunkelgrün schimmernden Kulisse, gleich einer Unterwasserwelt (Rycarda Parasol, US) in eine, die ausgefüllt mit einem schwarz glänzenden, riesigen Flügel protzt (I Have A Tribe, IRL). Um sich dann wieder von Irish-Pub-Stimmung auf Barhockern (Paul Roland, UK & Frenk Lebel) zum Eingang eines Turms zu verwandeln, von dem aus ein junger, blonder Troubadour hinauf zu seiner Liebsten singt (Moddi, NOR).
Hanna Pribitzer
Zum 12. Geburtstag wünsche ich dir, liebes Blue Bird Festival, dass du so bleibst, wie du bist. Und im Gegensatz zu meinen Poesiealbumeinträgen zur Feier längst verflossener Freundschaften meine ich das aus vollem Herzen ernst.