Erstellt am: 25. 11. 2016 - 11:59 Uhr
Der Abend gehört Coeur de Pirate
Blue Bird Festival
Das Blue Bird Festival findet von 24. bis 26. 11. im Wiener Porgy & Bess statt.
Das detaillierte Line Up gibt es hier.
Hinein und hinunter ging es wieder ins Wiener Porgy & Bess, diesen warm-wohligen Fischbauch. Und wirklich, nicht nur der Handyempfang bricht in der dämmrigen Atmosphäre vor der Bühne, der Bar, den rot tapezierten Wänden und ausgelegten Fußböden ab, auch die Stimmung für die ZuseherInnen ist eine geheimnisvoll-einzigartige.
Das Rotkehlchen, heuer der Herzeigevogel des Festivals, weiß schon, wieso er sein kürzlich begonnenes Teenageralter erneut hier feiert.
Weniger gruselig, mehr schräg
Singer- und Songwriter aus aller Welt einladen, das war die Intention, und um den weitgespannten Bogen gleich einmal zu beweisen, steht als erste die junge Künstlerin Aldous Harding auf der Bühne, die sicher den längsten Anreiseweg hatte. Sie kommt aus Neuseeland. Mit Gitarre in der Hand und auf einem Barhocker sitzend stimmt sie, später teilweise in Klavierbegleitung, ihre Songs an. Schnell steht fest, das Motto des heutigen Abends ist die inszenierte Gruselei, oder zumindest das leichte, gespannte Schaudern.
Hanna Pribitzer
„Aldous liebt gothic novels“, so wird die Musikerin angekündigt, und das scheint ihr zu gefallen. Ihre Art zu singen verwundert, anfangs war ich mir nicht sicher, ob sie in einer verzauberten Phantasiesprache, auf Deutsch oder gar auf Französisch singt. Als hätte sie ein Blatt zwischen ihren Mund und das Mikrofon gespannt, das eine eigentümliche Intonation ermöglicht. Dazu kommt, dass sie teilweise pfeifende Laute, ähnlich einer Panflöte, von sich gibt. Die ersten Reihen des Publikums wurden außerdem Zeugen ihrer sehr ausgefallenen Mimik, die zur experimentierfreudigen Melodieführung ihrer Songs erstaunlich gut gepasst hat.
.... und schunkeln
Die Kuratoren des Blue Bird Festivals zeigen ein sehr gutes Händchen, weil sie nach diesem ersten, ja, doch schrägen Auftritt gleich einen Herren auf die Bühne bitten, der sich selbst als „Edgar Allan Poe“ der Rockmusik bezeichnet. Der Brite Paul Roland, unterstützt diesmal von Frenk Lebel, ist Musiker, Schriftsteller und Journalist – und hält zusätzlich Selbstfindungs-, Medidations-, und Kabbalakurse ab.
Ganz so gruselig läuft das gestern bei seinem Auftritt aber nicht ab: er holt die Wohnzimmeratmosphäre zurück ins Porgy, beide Musiker spielen Gitarre, der eine die Melodie, der andere immer treibend, Stimmung erzeugend daneben. Zusätzlich rundet eine sehr gute Violinistin die Stücke ab. Der Schauerfaktor wird vom Schunkelfaktor abgelöst, wenn der Takt rhythmisch klopft und Paul Roland in warmem Sprechgesang Geschichten erzählt, die an Lagerfeuer, einen (natürlich Fake-)Fellteppich und ein Glas Rotwein erinnern. Oder an ein Irishpub zur späten Stunde.
Hanna Pribitzer
Und dabei wollte sie auf keine Jazzbühne!
Was folgt, ist ein sehr sympathischer Auftritt der amerikanischen Künstlerin Rycarda Parasol, die ich mir eigentlich fast noch knalliger, bunter und divenhafter vorgestellt habe. Sie scherzt mit dem Publikum. „We’re in a jazz and music club, right? Alright, so let’s do the music“. Und dann als dahingelachter Zusatz: „Ok guys, no more beer for me“. Dabei passt ihre dunkle Stimme so gut auf die Jazzbühne! Der Sound ist der beste des bisherigen Abends, was aber auch an den sehr guten Begleitmusikern der Sängerin liegt, die selbst auch bei fast jedem Song Gitarre spielt.
Hanna Pribitzer
Zum Schluss, sprichwörtlich, das Beste
Und endlich, endlich ist sie da. Coeur de Pirate, geheimer Star des heurigen Blue Bird Festivals, natürlich am letzten Slot des Eröffnungsabends platziert und die, die die meisten weg vom Tratschen mit dem getroffenen Bekannten und hin zu sich selbst führt. Der Abend steigert sich in Schritten, begonnen mit nur einer Musikerin und Gitarre, bishin zur vollen Bühne und starken Bandbesetzung.
Béatrice Martin, wie die Künstlerin mit bürgerlichem Namen heißt, beginnt am Klavier, hält es vor lauter Energie und Übermut, ihre neuen Songs zu präsentieren, nicht lange aus. Sie zappelt, sie tanzt, sie strotzt vor Freude, Empathie und völliger Überzeugung. Zu Recht: ihre nunmehr englischen Songs, die sie auf ihrem neuen Album „Roses“ präsentiert hat, schmiegen sich zwischen die von ihr bekannten französischen Stücke, als wären sie dafür prädestiniert. Ihr zuzusehen ist wunderbar, sie sieht toll aus, sie sieht aus wie ein Rockstar. Tätowierte Arme, zerzauste Haare, knallrote Lippen und ein Septum.
Hanna Pribitzer
Die voraussichtlichen Highlights am zweiten und dritten Abend des Blue Bird Festivals?
Und als wäre eine optische Draufgabe nötig, glitzert im Hintergrund noch ein Vorhang, der über den ganzen Bühnenhintergrund verläuft – und je nach Song und Laune der wilden Ex-Punkerin, die sich nun doch dem Pop verschrieben hat, die Farbe in Auswahl der Regenbogenpalette ändert. Schließlich setzt sie sich doch noch einmal an die Tasten, und schlägt Leonard Cohens „Hallelujah“ an. Das ist schön, aber hätte es nicht gebraucht. Kürzlich haben Placebo in der Stadthalle dasselbe versucht, aber das gut gewollte tribute-paying ist dann doch meistens eine zu hohe Kunst, als dass es nicht meistens in die Kitschfalle tappt.
Coeur de Pirate legt die Latte des Festivals jedenfalls sehr hoch, und das mit ihren eigenen Stücken.