Erstellt am: 1. 9. 2016 - 18:26 Uhr
Mixery Raw Deluxe
Das klassische Rap-Thema ist die Selbstvergewisserung. Einfach mal groß und hart behaupten. Früher war mal etwas geil und heute ist wieder irgendwas. Oft ist das Thema des Rap der Rap selbst.
Die Beginner zu Gast bei FM4
Am 31. August in Connected und jetzt 7 Tage zum Nachhören im FM4 Player:
Gerade ist unter mächtigem Getöse das vierte Album der Hamburger HipHop-Gruppe Beginner erschienen. Das sogenannte Comeback-Album, das erste der Beginner seit 13 Jahren: "Advanced Chemistry" nennt sich die Platte und verbeugt sich also gleich mit seinem Titel überdeutlich vor den Heidelberger Deutsch-Rap-Pionieren selben Namens und somit auch vor der Vergangenheit.
Und sicherlich soll der Titel auch so gelesen werden dürfen, dass nach all den Jahren die Chemie zwischen den Herren Denyo, Eizi Eiz und DJ Mad besser, ausgefuchster, fortgeschrittener geworden sein könnte.
Universal
Die Vorabsingle "Ahnma" hat standesgemäß die wieder erstarkte Hose und die triumphal gemeinte Rückkehr der Beginner mit allen Pauken und Trompeten souverän eingetutet. Testsieger rappt wieder, Veteran von der Reeperbahn wieder da, die einstige HipHop-Macht Hamburg ist auch wieder wer, so hören wir.
Alles gut und wahr und richtig – "Ahnma" ist eines der besten Stücke auf "Advanced Chemistry", wenngleich die Konstruiertheit und der Wunsch nach Brückenschlag gar arg durchwirken. Das – gut verzichtbare – Gastfeauture von Gentleman bringt das Gestern zurück und kitzelt das Gefühl und die Sensibilität. Der Rapper Gzuz von der Crew 187 Straßenbande repräsentiert die junge, harte Schule.
Was denn dieser stumpfe Typ Gzuz auf einem Track von den Beginnern zu suchen habe, wollten verlässlich sogleich die schlauen Menschen im Internet wissen. Dabei ist Gzuz' Hook in "Ahnma" das so ziemlich Stärkste, das auf dieser Platte namens "Advanced Chemistry" zu erleben ist, und verhilft dem Stück zu einem instant-ikonischen Charakter. Jeder sagt "Ahnma" heutzutage.
"Ahnma" eröffnet das Album und formuliert die wiedererlangte Position der Beginner, der zweite Song blickt zurück und kümmert sich um die Historisierung – und auch Musealisierung – der Gruppe. "Es war einmal": Über minimalem, funky Beat und Klavier-Motiv können wir uns an Golden -Era-HipHop erinnert fühlen, vielleicht an "Ain't no Half-Steppin" von Big Daddy Kane oder die jazzy Exkursionen von Gang Starr.
Live
Die Beginner im Posthof, Linz. 18. November 2016 20:00 Uhr
Es war einmal: Nach gewohnsheitsmäßig unbekümmerter, dabei mäßig erfolgreicher Frühphase, den Konzerten im Jugendzentrum erlangten die Beginner mit ihrem zweiten Album "Bambule" aus dem Jahr 1998 – dem besten deutschsprachigen HipHop-Album aller Zeiten – Popstarruhm, mit dem Nachfolger "Blast Action Heroes" landeten sie auf Platz 1 der deutschen Charts – danach wurde alles zuviel, ausbrennen, das diffuse Gefühl, nicht unbedingt Popstar sein zu wollen.
So bilden "Ahnma" und "Es war einmal" hinsichtlich des Sounds und des Blicks auf die Zeit ein feines Gegensatzpärchen. Und so haut es auf "Advanced Chemistry" auch meist am besten hin, wenn sich die Themen um das HipHop-Sein drehen. Im Track "Meine Posse" geht es genau darum: Unity, Teamgeist, die Überlegenheit der eigenen Clikke. Mit dabei ist hier nur richtig der ewige Begleiter Samy Deluxe, der so gut abliefert wie lange schon nicht mehr.
Die Nummer "Rap & Fette Bässe" ist ein schlanker Partytrack, der Afrob und Ferris MC samplet und davon berichtet, wer denn wohl die richtige Adresse für Rap und fette Bässe sei. Man kann es, na gut, ahnen.
Immer in Bewegung bleiben wie Dönerfleisch, außer Tresen nix gewesen, die Bassline ist kaputt und der Vibrator ist im Arsch – punktuell tauchen auf "Advanced Chemistry" gut agil-alberne Textzeilen auf und glüht da und dort der Wortwitz. Inhaltlich wie auch in Hinblick auf die Pose bleibt das Album dabei überraschend flach, schmeckt meist nach eben bloßer, leerer Behauptung, dem Nachstellen erprobter Rap-Codes.
Im Track "Macha Macha" beispielsweise hören wir von Eizi, Denyo und Gast Haftbefehl, dass sie die üblichen Oberchecker seien, dies und das machen und machen und machen. Oft wirken sie schon ein bisschen müde, von dem ganzen Machen.
Wenn sich die Stücke thematisch aus bekanntem HipHop-Kosmos bewegen, wird es turbulent mit der Schwankungsbreite: Im letzten Song des Albums, der gefühligen Sehnsuchtsballade "Nach Hause", glückt die wechselseitige Umschlingung von Privatem und vage politischem Sentiment. Hier überlagern sich die Ebenen von Urlaub und privilegiertem Heimweh, von Migration, Flucht und nicht freiwillig ausgesuchtem Fremdsein. Die egozentrische Perspektive und das tranige Selbstmitleid werden im Refrain bespiegelt und ins leicht Humorige gedreht: "Check mich aus, wie ich leide".
Universal
Die Nummer "Kater" ist eine angesoulte, toll zugeflötete Hangover-Studie – hier leidet zerstört "der Herr der Augenringe". Der Song "So schön" scheint sich als Liebesbrief an die Frauen allgemein und "die besseren Hälften" zu verstehen – lieb gemeint, dennoch haftet dem Stück ein kopftätschelnder Ton an, da kann auch Dendemann nicht viel retten.
Und dann ist da noch ein Lied namens "Spam". Schwer zu glauben, dass dieses Stück tatsächlich davon handelt. Alte Männer schimpfen mit der Wolke. Digitalisierung, Social Media, Telefon – alle doof: "Und dass die Welt im Dreck versinkt, interessiert uns einen Scheiß, wir teilen höchstens den Link und spenden dann ein Like".
Paaarty!
Das FM4 Geburtstagsfest am 21. Jänner 2017 mit Camo & Krooked, Mighty Oaks, Gerard, Gudrun von Laxenburg, Kommando Elefant, View, Schnipo Schranke, Ankathie Koi und vielen mehr.
Wir gehen nie nach Hause
FM4 feierte in der Ottakringer Brauerei Geburtstag, jede Menge Leute feierten mit (Christoph Sepin).
FAQ
Was es sonst noch zum FM4 Geburtstagsfest zu wissen gibt.
Und so ist "Advanced Chemistry" auch in musikalischer Hinsicht ein wildes Auf und Ab, ein durchgeschüttelter mixed bag, in den ohrenscheinlich auch schon mal mit zugemachten Augen reingegriffen wurde. Die Beginner schaukeln mit den Co-Produzenten Kasper "Tropf" Wiens (kennt man von Dynamite Deluxe und dem gemeinsam mit Eizi geleiteten Projekt La Boom) und dem noch nicht rasend berühmten Fidjikris durch die Styles.
Klassischer Boom-Bap, Souliges, neuere Einflüsse von Trap und Cloud-Rap. Wenn auf "Advanced Chemistry" reduziert und konzentriert gebaut wird, dann kann es funktionieren: "Raps & Fette Bässe" beispielsweise und das Stück "Thomas Anders" (Achtung: handelt vom Anders-sein als all die ganzen anderen) funkeln dank sprödem, reduziertem Funk im Andenken an die Neptunes.
Manchmal wird viel gewollt – bloß was? Der Song "Schelle" ist zunächst ein klassischer Jan-Delay-Reggae-Track, fährt dann im Refrain mit auf Krawall gebürstetem, pompösem EDM-Drop auf. Nie möchte man es gehört haben.
"Advanced Chemistry" ist ein kaum überschäumender, schwer wechselhafter Versuch eines Experiments, bei dem so einiges probiert wird - fühlen kann man selten etwas. Ein Verwalten von Standardsituationen des HipHop, zwischen den schönen Sounds aus der Vergangenheit und dem unsicheren Ertasten einer möglichen Gegenwart.