Erstellt am: 31. 7. 2016 - 11:18 Uhr
Kobanê: 2 Jahre später, aber nicht "danach"
Es ist zwei Jahre her, dass der IS ins Gebiet der syrisch-kurdischen Stadt Kobanê an der Grenze zur Türkei vorgerückt war. Die Lage in den drei kurdischen Enklaven in Nordsyrien ("Rojava") ist nach wie vor keineswegs als friedlich zu bezeichnen. Ich habe mit Politikwissenschaftler Thomas Schmidinger über die lokalen Entwicklungen seither gesprochen.
EPA
Wer hat damals auf kurdischer Seite gekämpft? Es war ja keineswegs so, dass da eine "geschlossene Mannschaft" der anderen entgegengetreten ist.
Der Kampf um Kobane
- Oktober 2014: "Es droht ein Massaker": Der Verteidigungschef der umkämpften kurdischen Stadt Kobanê im Telefon-Gespräch
- "They are trying to control your dreams": Interview mit dem Außen- Beauftragten des belagerten Kobanê
Da müssen wir auch über unterschiedliche Phasen sprechen. Es gab im Frühsommer 2014 schon eine erste Offensive des IS gegen Kobanê. Diese konnte von den kurdischen KämpferInnen noch abgewehrt werden. In einer zweiten Phase ab dem Spätsommer wurde die Stadt vom IS fast erobert, ehe die Angriffe im Jänner / Februar 2015 zurückgestoßen werden konnten. In dieser zweiten Phase sind zu den kurdischen Streitkräften (Volksverteidigungseinheiten YPG / Frauenverteidigungseinheiten YPJ) weitere Freiwillige gestoßen, wobei die Türkei sich sehr lange dagegen gewehrt hat, dass diese Freiwilligen zur Unterstützung der kurdischen Einheiten hinzukommen - weil ja die YPG / YPJ eine Schwesterorganisation der türkisch-kurdischen PKK ist, die aus türkischer Sicht als Terrororganisation betrachtet wird. Trotzdem hat der Druck der internationalen Öffentlichkeit im Laufe des Herbstes dazu geführt, dass einzelne Einheiten von der sogenannten "Freien Syrischen Armee" - säkulare, linksgerichtete Einheiten der FSA - zu den KurdInnen gestoßen sind. Die haben später zusammen mit den kurdischen Einheiten die Union unter dem Namen "Vulkan des Euphrat" und später (im Herbst 2015) die "Syrian Democratic Forces" gebildet.
Dann sind auch noch aus Peshmerga-Einheiten, also Kämpfer der irakisch-kurdischen Parteien von Masud Barzani und Jalal Talabani, von PDK und PUK, dazu gekommen - wobei vor allem die Peshmerga von Masud Barzani ja eigentlich einer rivalisierenden kurdischen Partei angehören - hier aber dennoch unterstützend, vor allem mit ihren Waffen, gewirkt haben. Dazu gekommen ist dann - und das war militärisch sehr wichtig - eine Luftunterstützung durch die US Air Force. Das hat am Anfang nicht so ganz funktioniert, aber mit der Zeit war die Kooperation zwischen den kurdischen Einheiten vor Ort und der US-Luftwaffe so eng, dass wirklich Koordinaten durchgegeben worden sind, wo sich jetzt Kämpfer des IS befinden. Dann hat die US Airforce den kurdischen Kämpfern mitgeteilt, sie sollen sich jetzt zehn Minuten zurückziehen, weil sie bombardieren. Dann wurde bombardiert und dann sind die Kurden wieder vorgerückt.
Das heißt: relativ viele von den Zerstörungen im Zentrum von Kobanê stammen von den Luftangriffen, die letztlich aber dazu geführt haben, dass sich die kurdischen Einheiten und ihre Verbündeten vor Ort überhaupt behaupten konnten. Wer dann noch dazugekommen ist: Linke Freiwillige v.a. aus der Türkei, teils aus anderen, auch europäischen Staaten, die sich v.a. von der internationalen Aufmerksamkeit, die Kobanê erregt hat, angezogen gefühlt haben. Es sind auch eine Reihe linker und linksradikaler junger Leute aus der Türkei, aber auch europäischen Staate an der Seite von YPG / YPJ und ihrer Verbündeter in Kobanê gestorben und haben mit dazu beigetragen, diese Stadt zu verteidigen.
MAP: #Rojava, 6 months, 17 December 2014-17 June 2015 by @LCarabinier Full resolution: http://t.co/R6YsdeD2ld pic.twitter.com/92iYo44X65
— Conflict News (@Conflicts) 17. Juni 2015
Im Jänner / Februar 2015 war dieser Angriff abgewehrt. Wie hat es danach dort ausgesehen?
Ich war Anfang Februar 2015 direkt an der Grenze, bin damals aber nicht nach Kobanê hinein gekommen, sondern habe nur von einem Hügel aus der Türkei die Stadt beobachten können. Ich war dann erst im November 2015 wirklich in der Stadt und habe die Zerstörungen aus der Nähe gesehen...
... die massiv sind.
Ja, die aber in Teilen der Stadt sehr unterschiedlich ausgefallen sind. Das Stadtzentrum ist völlig zerstört - dort wurde ja auch am Längsten gekämpft. Am Ende haben die kurdischen Einheiten und ihre Verbündeten nur noch rund ein Drittel der Stadt beherrscht. Das waren ein paar Straßenzüge im Stadtzentrum - diese Teile sind völlig zerstört. Dort, wo der IS schneller "drüber gegangen" ist, also Viertel schneller erobert hat, dort ist weniger zerstört. Dort ging es auch mit dem Wiederaufbau viel schneller.
Damals wurde unter den Augen der globalen Medienöffentlichkeit heftig kritisiert, dass die Türkei kaum Menschen aus den umkämpften Gebieten Kobanês hereinlässt, ist ja mittlerweile Normalzustand - bzw. mit der entlang der Grenze errichteten Mauer aktiv vorangetriebene Politik...
... die ja auch von Europa gewünscht und unterstützt wird. Generell muss man unterscheiden zwischen den Menschen in den kurdischen Enklaven und den Internally Displaced Persons, den intern Vertriebenen, die sich in den kurdischen Enklaven aufhalten. Für de kurdischen Enklaven selbst und die BewohnerInnen dieser Region ist es v.a. ein massives Problem, dass die Grenze nicht nur für Flüchtlinge, sondern auch für Waren aller Art geschlossen ist: das heißt, die Wirtschaft in den kurdischen Gebieten leidet unter der "Dreifach-Blockade" - von der Türkei aus auch durch die Errichtung einer Mauer ist nicht einmal mehr der Schmuggel von Waren möglich; von Seiten Syriens her ist der Großteil vom IS umgeben und damit ökonomischer Austausch unmöglich; und selbst die Grenze zu Irakisch-Kurdistan ist seit Monaten völlig geschlossen aufgrund der politischen Rivalität zwischen der Regionalregierung Kurdistans im Irak und den kurdischen Autoritäten in Syrisch-Kurdistan.
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Die Leute sind daher de facto auf eine Art Subsistenzwirtschaft angewiesen, was zwar in puncto Lebensmittelversorgung funktioniert, aber wenn es um lebenswichtige Medikamente für bestimmte Krankheiten, um medizinisches Gerät und um Konsumgüter, die nicht in der Region hergestellt werden können, geht, ist das ein massives Problem. Das ist auch ein massives Problem für den Wiederaufbau von Kobanê: Die Leute, die zurückgekehrt sind - es sind sehr viele der Flüchtlinge, die im Herbst 2014 nach Suruç und Umgebung geflüchtet waren, zurückgekehrt - dürfen bei der Rückreise einen Kleinlaster mit Waren mitnehmen, aber das genügt nicht, um völlig zerstörte Häuser aufzubauen. Man ist also wirklich auf den Goodwill der türkischen Behörden angewiesen, ob die einmal mehr über die Grenze durchlassen oder nicht. Das andere Problem - für die intern Vertriebenen: durch die Tatsache, dass in Syrisch-Kurdistan, in Rojava, die Situation ja friedlicher und besser als in anderen Teilen Syriens ist, halten sich dort über eine Million intern Vertriebener auf. Viele davon wollen eigentlich weiter in die Türkei, nach Europa flüchten. Die sitzen jetzt durch die Grenzschließungen in der Falle. Die sind in Syrisch-Kurdistan darauf angewiesen, von den lokalen Behörden und der Bevölkerung durchgefüttert zu werden. Es gibt dort auch nur eine sehr spärliche Präsenz von internationalen Hilfsorganisationen. Die Situation der intern Vertriebenen ist dort also eigentlich noch wesentlich schlechter als die der syrischen Flüchtlinge in den Nachbarländern.
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Und sie sind auch vom medialen Fokus abgeschnitten. Man kann nicht jeden Tag "nachsehen", wie es diesen Menschen geht.
Absolut. Es ist mittlerweile für JournalistInnen sehr, sehr schwer geworden, in das Gebiet zu kommen. Seit die irakisch-kurdischen Behörden die Grenze geschlossen haben, gibt es so gut wie keinen westlichen Journalismus mehr in der Region. In der westlich gelegenen kurdischen Region Afrîn hat es fast nie JournalistInnen gegeben, die dorthin gekommen sind - weil das auch schon in den vergangenen drei, vier Jahren sehr schwer gewesen ist. Weil man eigentlich über das Gebiet der "Islamischen Front" hinfahren musste. Ich war im Februar 2015 dort, aber da haben uns eigentlich alle gesagt, es waren in den letzten Jahren so gut wie keine JournalistInnen dort. D.h. wir haben da ganz viele Gebiete, über die eigentlich nicht aus erster Hand berichtet wird bzw. über die man darauf angewiesen ist, von Akteuren vor Ort berichtet zu bekommen - und die sind eben oft auch politisch gefärbt.
Im Sommer 2015 wurde im türkischen Suruç ein Anschlag verübt - nur wenige Kilometer von der Grenze zu Kobanê und mit direktem Bezug zur Situation der Stadt.
Das ist eine direkte Grenzstadt, das Stadtzentrum selbst ist einige Kilometer von Kobanê entfernt.
Was sich dort ereignet hat, steht doch auch in direktem Zusammenhang mit der Situation in Kobanê - weil es Menschen getroffen hat, die sich für den Wiederaufbau engagiert haben.
Genau. Suruç ist als Stadt von der HDP verwaltet worden, also der legalen, linken, pro-kurdischen Partei in der Türkei, die gewissermaßen zum selben politischen Lager zählt, wie die PYD in Rojava. Das war für die Flüchtlinge 2014 sozusagen ein "Glücksfall". Weil sich diese Stadt wirklich um die GenossInnen jenseits der Grenze gekümmert hat. Die Stadt hatte phasenweise wesentlich mehr Flüchtlinge als Bewohner und es wurden auch in verschiedenen Stadtteilen kleinere, dezentrale Camps errichtet, von wo aus die Leute dann auch wirklich in die Stadt gehen konnten. Die meisten KurdInnen aus Kobanê haben diese dezentralen Camps in der Stadt den großen Camps der türkischen Regierungsbehörden, die mit Stacheldraht umzäunt waren und von denen aus man sich nicht frei bewegen konnte, vorgezogen. In Suruç ist auch der Nachschub für die KämpferInnen in Kobanê organisiert worden. Gleichzeitig ist von dort aus auch der Wiederaufbau von Kobanê koordiniert worden. Im Sommer vor einem Jahr hat sich dort dann auch eine größere Jugendgruppe von türkischen, linken Jugendlichen aufgehalten - und zwar in einem kurdischen Kulturzentrum, das auch so etwas wie ein Medieninformationsbüro während des Kampfes in Kobanê war und wo auch die Fäden der Solidaritätsarbeit zusammen gelaufen sind. Ich kenne dieses Kulturzentrum aus der Zeit vom Februar 2015, wo es voll war mit internationalen MedienvertreterInnen, SolidaritätsaktivistInnen, und wo ganz viel an Solidaritätsarbeit passiert ist.
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Im Sommer 2015 war diese größere Jugendgruppe da - keineswegs nur kurdische Jugendliche, auch viele solidarische türkische Jugendliche aus Istanbul, Ankara, İzmir usw. Der Anschlag, der dort von Seiten des IS verübt wurde, war gezielt gegen die türkische, kurdische Linke und den Wiederaufbau von Kobanê gerichtet. Sehr viele betroffene Organisationen haben das auch in einem gewissen Zusammenhang mit der türkischen Regierung gesehen. Der Vorwurf reichte dahin, dass bestimmte Teile der türkischen Regierung in gewisser Weise involviert gewesen wären.
Ich möchte diesen Vorwurf nicht wiederholen, aber es war eine Tatsache, dass die türkische Regierung relativ lange weggesehen hat, wenn in dieser Region auch Aktivitäten des IS stattgefunden haben. Es hat ja auch Morde an syrischen Oppositionsaktivisten etwa in Gaziantep gegeben (Anmerkung: siehe Kasten rechts), wo IS-Anhänger Leute aus Raqqa geköpft haben, die in Syrien Oppositionsarbeit gemacht hatten. Die türkischen Behörden sind sehr lange kaum gegen solche Aktivitäten vorgegangen. Insofern gab es den Vorwurf, hier zugesehen zu haben. Auf jeden Fall hat dieser Selbstmordanschlag, der über dreißig junge AktivistInnen das Leben gekostet hat, gezeigt, dass AnhängerInnen und Terroristen des IS auch in der Türkei zuschlagen können. Es ist in den Monaten danach ja auch zu mehreren Anschlägen aus dieser Ecke gekommen: in Ankara und in Istanbul. Wir sehen mittlerweile, dass der sogenannte Islamische Staat längst auch in der Türkei zu einer Gefahr für die öffentliche Sicherheit geworden ist.
Was hat sich unter dem Eindruck der erst kürzlich stark intensivierten Autoritarisierung in der Türkei für die KurdInnen (grenznah) geändert?
In den kurdischen Gebieten der Türkei hat sich eigentlich weniger geändert als im Westen der Türkei. Was sich jetzt im Westen abspielt, haben die Kurden schon spätestens seit dem Spätherbst 2015 in der Türkei erlebt. Wir haben ja in mehreren kurdischen Städten - Diyarbakır, Nusaybin, in Shirnaq und Cizre (das sind jeweils die türkischen Fassungen der Städtenamen) schon seit Monaten de facto einen Bürgerkrieg in den Städten, wo das türkische Militär gegen junge Militante aus dem Umfeld der PKK vorgeht - und wo ja auch wirklich ganze Innenstädte zerstört worden sind. Da hat sich seit den letzten Parlamentswahlen in der Türkei de facto eine Form von offener Kriegshandlung verbunden mit immer diktatorischen Strukturen herausgebildet. Dass das jetzt auch im Westen nach dem Putschversuch sehr viel repressiver wird, als es bisher war, ist sozusagen ein "Nachvollziehen" des neuen Autoritarismus auch im Westen, auch gegen türkische Oppositionelle aller Art. Aber die KurdInnen im Südosten der Türkei hatten mit diesem Phänomen schon in den letzten Monaten zu tun.
Erst vor wenigen Tagen wurde ein Anschlag in Qamischli im weiter östlich gelegenen kurdischen Kanton Cizîrê in Syrien verübt. Wie ist dort überhaupt die Situation?
In Qamischli herrscht eine schwierige Ausgangssituation. Es ist nicht ausschließlich unter kurdischer Kontrolle, sondern eine geteilte Stadt. Teile sind weiter unter Kontrolle der Regierung, teilweise unter Kontrolle regierungsnaher christlicher Milizen, teilweise KurdInnen. Qamischli hat eine sehr gemischte Bevölkerungsstruktur. Teilweise gibt es KurdInnen, christlich-aramäischsprachige AssyrerInnen, ArmenierInnen und AraberInnen. Es gibt ein eigenes arabisches Viertel. Unter den dortigen AraberInnen gibt es einerseits RegierungsanhängerInnen, aber leider auch mit dem IS Sympathisierende. Es ist schwer, dort Aktivitäten in diese Richtung unter Kontrolle zu halten.
Es hat in Qamischli schon mehrmals Selbstmordanschläge gegeben. Der letzte war aber sicher der mit den meisten Toten und Verletzten und der verheerendsten Auswirkung. Dabei sind letztlich ganze Straßenzüge zerstört worden. Der IS ist in den letzten Monaten sehr stark unter Druck der kurdischen Einheiten und ihrer Verbündeten (SDF - Syrian Democratic Forces) geraten. Die sind v.a. von Kobanê aus Richtung Westen, Richtung Afrin, vorgedrungen und versuchen, einen Korridor zwischen den beiden getrennten kurdischen Gebieten zu erobern. Die seit Wochen anhaltenden Kämpfe in der Stadt Manbij erweisen sich als wesentlich schwieriger als gedacht. Die kurdischen Einheiten haben damit gerechnet, dass die IS-Kämpfer von dort fliehen, was sie bisher in vielen Städten getan haben. Etwa bei Tall Abyad im Juni 2015, als Kobanê mit Cizîrê verbunden worden ist und der IS mehr oder weniger geflüchtet ist. Das sind sie jetzt nicht mehr. Es wird um Manbij seit Wochen sehr intensiv gekämpft. So einfach scheint es nicht zu sein - und der IS hat jetzt offenbar auch ein klares Lebenszeichen senden wollen mit diesem grausamen Selbstmordanschlag mitten in Qamischli, einige Tage nachdem die KurdInnen
es zur Hauptstadt ihrer neuen föderalen Republik Rojava / Nordsyrien erklärt haben. Die KurdInnen haben ja im Frühjahr 2016 eine gemeinsame föderale Struktur innerhalb Syriens beschlossen und jetzt erst im Juli Quamischli zu deren Hauptstadt erklärt. Das ist sicher auch ein Zeichen in die Richtung, dass man sich auch in dieser Hauptstadt "nicht sicher sein darf".
Wow, BBC got into Manbij. Refers to "Kurdish-led" forces fighting ISIS, in contradiction of official US narrative. https://t.co/wQ1EFkeUgt
— DavidKenner (@DavidKenner) 21. Juli 2016
Kann sich denn jemand, der einer der vielen verschiedenen Gruppen in Quamischli angehört, frei durch die Stadt bewegen?
Es gibt keine "Frontlinien" in der Stadt und außer einer Phase, wo im Frühjahr gekämpft worden ist, sind auch Kämpfe in der Stadt relativ selten. Es gibt aber ziemlich klare Linien, wo wer ein Gebiet kontrolliert. Das Stadtzentrum ist umstritten. Dort gibt es eine Art gegenseitiges "Belauern" der Fraktionen. Man versucht zu verhindern, einander in die Haare zu geraten, was meistens gelingt, aber nicht immer. Ins Zentrum kommen Personen aller Gruppen, wenn sie etwas brauchen - es ist immer noch eine Art Handelszentrum der Stadt. Aber im Wesentlichen bewegen sich die meisten Personen in ihren Stadtvierteln.
Es gibt Viertel, wo klar ist, da sind die Volksverteidigungseinheiten der KurdInnen die Herren und andererseits welche, wo klar ist, da regiert das syrische Regime oder christliche Verbündete des syrischen Regimes. Die Stadt ist geteilt. Man versucht sozusagen Kämpfe innerhalb zu vermeiden, aber so strategisch wichtige Punkte, die auch für das syrische Militär wichtig sind - der Flughafen, der Bahnhof als Grenztor zur Türkei - sind weiterhin unter Kontrolle der syrischen Regierung. Die KurdInnen versuchen, die nicht anzugreifen, weil sie wissen, dass es sonst massive Zerstörungen auch innerhalb der Stadt gibt. Es gibt Gerüchte, dass vielleicht die unter Regierungskontrolle befindlichen Gebiete mittelfristig getauscht werden könnten mit den kurdischen Stadtvierteln in Aleppo.
Weil die militärisch nicht zu halten sind...
Ja, und wenn jetzt Aleppo zurückerobert wird von der syrischen Regierung, was eigentlich durch den "Abschluss" des Rebellengebietes nur mehr eine Frage der Zeit ist, ist es durchaus möglich, dass hier ein "Tausch" stattfinden könnte. Aber das ist alles noch im Bereich des Spekulativen im Moment.
Es ist ja auf Seiten der KurdInnen und ihrer Exekutivkräfte in Nordsyrien ja auch nicht alles eitel Wonne. Es hat immer wieder Vorwürfe gegeben, man würde schnell einmal größere Gruppen von Menschen verhaften, die einem ein Dorn im Auge sind. Wie genau kennt man da nachvollziehbare Fakten?
Ich versuche, mit allen Seiten zu reden. Es gibt einen starken innerkurdischen Konflikt zwischen der regierenden PYD, der Schwesternpartei der PKK, und den anderen kurdischen Parteien, die im "Kurdischen Nationalrat" zusammen geschlossen sind. Da gibt es schon teilweise überprüfbare Fakten, die auch von der PYD dann eingestanden werden - nur werden die dann anders "begründet". Dass politische Gegner in der letzten Zeit verstärkt verhaftet worden sind - etwa in der Stadt Amûdê - und auch geschlagen, teilweise gefoltert worden sind von den kurdischen Einheiten, die sie verhaftet haben, ist unbestreitbares Faktum.
Die PYD, die regierenden kurdischen Behörden also, werfen den anderen kurdischen Parteien dann oft vor, dass sie kollaborieren würden mit der Türkei oder anderen militärischen Kräften der Region. Wie weit das irgendeine Begründung hat, ist meistens sehr schwer nachvollziehbar. Aber man muss sich natürlich darüber im Klaren sein, gerade in einer Bürgerkriegssituation wie in Syrien: Je länger solche Situationen dauern, desto stärker gewinnen miltärische, militaristische Logiken die Oberhand. Das heißt auch innerhalb der kurdischen Einheiten, der Verwaltung von Rojava, ist es so, dass mittlerweile die YPG, die Militärs, das Sagen haben, und nicht die Partei, und dass insofern auch alle Bekenntnisse zur Demokratie nur so lange halten, solange das nicht den Interessen der YPG zuwider läuft.
APA/AFP/BULENT KILIC