Erstellt am: 12. 10. 2014 - 23:05 Uhr
"Es droht ein Massaker"
Ismet Hasan ist Verteidigungsminister der (selbsternannten) Stadtregierung von Kobanê. Er leitet den militärischen Widerstand der von IS-Terrormilizen bedrohten Stadt. Die kurdischen Volksverteidigungstruppen (YPG/YPJ) kämpfen gemeinsam mit Truppen der syrischen Opposition (FSA).
Am 29. Tag ihrer Belagerung ist die kurdische Enklave heftig umkämpft. IS-Terroristen sind in die Stadt eingedrungen, einziger Ausweg bleibt die Staatsgenze zur Türkei am nördlichen Rand von Kobanê. Ich konnte Hasan am späten Nachmittag am Telefon erreichen und habe ihn gebeten, ein paar Fragen zur aktuellen Lage in Kobanê zu beantworten.
Danke an Sedat Pero für die Simultanbersetzung am Telefon. Das Interview wurde auf Kurdisch geführt.
Wie ist Ihre Situation momentan?
Ismet Hasan: Es ist Krieg.
Wieviel vom Stadtgebiet Kobanês ist unter der Kontrolle von YPG und FSA?
Ismet Hasan: Ungefähr 70 Prozent von Kobanê ist unter Kontrolle der Kurden, 30 Prozent unter der des IS.
EPA
Was hat sich in den letzten Stunden getan? Stimmt es, dass der IS schon wieder neue Kämpfer vor Kobanê zusammenzieht?
Ismet Hasan: Ja. Sie holen weitere Truppen und versuchen das Zentrum der Stadt einzunehmen.
Gab es heute Luftangriffe?
Es gab heute zwei Luftangriffe der Anti-IS-Koalition. Ob die erfolgreich waren, ist derzeit unklar.
Lässt sich sagen, wie viele Zivilisten noch in der Stadt sind?
Ismet Hasan: Manche konnten über die Grenze in die Türkei fliehen, manche stehen an der Grenze.
Es lässt sich nicht genau sagen, wie viele Zivilisten sich noch in der Stadt befinden, weil alle in ihren Wohnungen bleiben. Die Stadt steht ununterbrochen unter Artilleriebeschuss.
Welche Hilfe benötigen Sie von internationaler Seite?
Am dringendsten brauchen wir einen Sicherheitskorridor (in die Türkei), um unsere Verwundeten in die Türkei und auch die verbliebene Bevölkerung in Sicherheit zu bringen. Andernfalls droht ein Massaker.
Von internationaler Seite brauchen wir schwere Waffen. Damit könnten wir den IS leichter bekämpfen. Sie haben sehr schwere Waffen, wir hingegen nur leichte, kleine.
Was wünschen Sie sich von der österreichischen Regierung und von der Bevölkerung hier?
Am dringendsten benötigen wir die Errichtung eines Sicherheitskorridors in die Türkei. Das ist unser Aufruf an die internationalen Staaten und Organisationen. Kobanê befindet sich in einer sehr gefährlichen Situation. Unser Wunsch ist, dass ein Sicherheitskorridor erreichtet wird.
Stimmt es, dass Verwundete Kämpfer/innen nicht in die Türkei hineingelassen werden?
Die Verwundeten werden schon in die Türkei gelassen, aber die Bevölkerung nicht und umgekehrt wird von türkischer Seite auch niemand nach Kobanê hineingelassen.
Flüchtlinge werden nicht mehr in die Türkei hineingelassen?
Nein.
Gibt es noch etwas anderes, das Sie sagen möchten?
Dankeschön, nichts anderes. Wir wünschen uns, dass diese Nachricht an die Öffentlichkeit getragen wird.
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English translation:
Interview with Kobanê Defense Minister Ismet Hasan
What can you tell me about the current situation in Kobanê?
There is war.
What happened within the last couple of hours? Is it true that IS are bringing more fighters all the time?
Yes. There are more and more of them trying to enter the city center.
Were there airstrikes today?
Yes, but we do not know if they were successful.
Are there still civilians in town?
Some of them could escape, some are gathering at the border. We are not completely sure about the number of civilians still in town as most of them do not dare to leave their houses. The city is being shelled constantly.
What do you need right now?
We need a safe corridor to bring civilians and wounded fighters out of town. Otherwise there will be a massacre.
We also need the international community to provide us with heavy weapons. IS has heavy weapons, we don't.
Is it true that wounded fighters are not allowed to cross the border into Turkey?
No. The wounded are allowed into Turkey, civilians are not. Also, no one is being let into Kobanê the other way round.
Kobanê refugees are not allowed out?
No.
Is there something else you would like to say?
Nothing but thank you. Our wish is that this message is being published.