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Florian Wörgötter

Phonographien. In Wort und Bild.

13. 7. 2016 - 12:56

HipHop und Jazz: "Things go in cycles"

Die Themenmixsendung "FM4 Excursions" lässt die Musik sprechen, wie HipHop alten Jazz neu belebt. Die Liner Notes liefern dazu die Worte.

FM4 Excursions

Bunt gemixte Assoziationsketten, die Wurzeln aktueller Sounds und Einflüsse auf die musikalische Jetztzeit. Die Excursion-Themen-Mixtapes gibt es in der Nacht von Montag auf Dienstag ab 0 Uhr und im Anschluss für 7 Tage im FM4 Player.

Ich gehöre zur Generation Jazz 2.0: Aufgewachsen bin ich mit den Kontrabässen der Native Tongues, den rauchigen Saxofonen von The Roots, dem Jazzmatazz von GangStarr, den obskuren Experimenten des Wu-Tang Clans. Ihre Beats aus endlosen Loops sezierter Fragmente waren eine Jugend lang mein Schlüsselloch zum Jazz.

Als HipHop in unseren Breiten in den Nullerjahren auf die schiefe Bahn geriet und nur mehr harte Straßenattitüde gefragt war, stürzte ich mich in freiem Fall zurück in die Vergangenheit – "way back, back into time", wie der Pianist Liberace einst das lustige Sample-Ratespiel in FM4 Tribe Vibes ankündigte. Ich entdeckte eine neue Welt der wilden Improvisation, der rhythmischen Freiheit jenseits des 4/4-Takts – und: Ohne die Bausteine des Jazz würde das Fundament des HipHops heute nicht stehen.

Trishes

Christof Moderbacher

Kollege Trishes geht es mit seiner Verbundenheit zu den Wurzeln ähnlich, daher realisiert er diesen Sommer auf FM4 das empfehlenswerte Herzens-Projekt "Excursions". Jeden Montag Mitternacht widmet er sich in the Mix den Wurzeln eines anderen Genres und fadet zwischen dem Heute und Gestern der Popkultur. Episode I: HipHop und der Jazz. Oder: The Phantom Menace II Society.

Back in the days when I was a teenager

Wie könnte es anders sein, die Pilot-Folge seiner 20 Track starken Wurzelbehandlung eröffnet das titelgebende "Excursions" von A Tribe Called Quest. Jener Song leitete schon deren Meilenstein "The Low End Theory" (1991) ein - und mit ihm eine neue Ära des raffinierten Samplings aus Papas Jazz-Plattensammlung. Der wuchtige, schwergewichtige Kontrabass von Art Blakeys Jazz Messengers schleppt sich unaufhaltsam durch jede Windung des Gehörgangs. In einem der prägnantesten Intros der Rapgeschichte erzählt "The Abstract Poet" Q-Tip, dass seinen Vater die Sprachmelodie des Raps an das Improvisieren im Bebop erinnere. Q-Tip erwidert: "Daddy, don't you know that things go in cycles". Mit diesem Satz brachte er damals das rückwärtsgewandte Wesen der Popkultur auf den Punkt - an dem sich bis heute nichts geändert hat.

Den Beleg liefert Trishes mit Art Blakeys Hard Bop-Song "A Chant For Bu" (1973). Dessen Kontrabass bildet die Grundlage für "Excursions", Saxofon und Trompete schaukeln einander auf, das Schlagzeug wirbelt spektakulär im Hintergrund, der im Vergleich zum heutigen HipHop-Klangbild meilenweit entfernt erscheint.

Jazz-Platten

CC BY 2.0, flickr.com, User: sidelong/DaveBleasdale

Adventures in the land of music

Minuten später spielt Trishes den legendären Straßenmusiker Moondog und sein formidables "Bird's Lament" (1969), das Mr. Scruff 30 Jahre später einem hippen Makeover mit gefiltertem Saxofon und tanzbaren Drums unterzog. Manche werden sein Thema als die Titelmusik zur ehemaligen ORF-Film-Sendung "Trailer" mit Frank Hoffmann wieder erkennen. Als Trishes es Mr. Scruffs Remake "Get A Move On" gegenüberstellt, passiert genau das, wovor ich mich auf Sample-Suche immer gefürchtet habe: Der unbändige Geist des Originals befreit sich aus der Konserve und stellt die Kopie in dunklen Schatten. Das Saxofon atmet lauter und tiefer, nachdem es von den Filter-Effekten beinahe erstickt worden ist. Die Streicher peitschen es dem dramatischen Höhepunkt entgegen, treibender als noch die Drums von Mr. Scruff. Moondogs Ausnahme-Song beweist einmal mehr: Der Spirit des Jazz und seine Freiheit lassen sich nur schwer in vier Takte bannen. Nicht jeder Wiedergänger gewinnt seine Schlachten so vorhersehbar wie Jon Snow.

Die Welt gehört dem guten Sample

Raffiniertes Sampling bedeutet, Melodien und Grooves dort zu entdecken, wo auf den ersten Blick keine sind. Ein Meister mit Spürsinn für versteckte Loops ist der Produzent Pete Rock, einer der größten Jazz-Connaisseure der HipHop-Hall of Fame. Nicht umsonst hat ihn Rap-Ikone Nas auf seinem Meisterwerk "Illmatic" (1994) engagiert, den Evergreen "The World Is Yours" zu produzieren. Dafür nimmt Pete Rock Anleihen beim Piano von Ahmad Jahmals "I Love Music" (1970). Wie Trishes im Mix zeigt, vergreift er sich aber nicht am offensichtlichen und einprägsamen Grundthema, das im Jazz meist eingangs präsentiert wird, während den Strophen frei interpretiert und kaum erkennbar in der Luft schwebt. Nein, Pete Rocks Piano-Loop taucht kurze acht Takte auf und verschwindet in einem dezenten Echo wieder. Das ist wahre Sample-Kunst: subtil, antizipativ, effektiv - und bleibt meistens auch straffrei.

Turntables

CC BY 2.0, flickr.com, User: Antonio Vianello

Round about perfect midnight

Die Wahl eines Samples stellt auch immer eine Gewissensfrage: Was tun mit der geilsten Melodie der Welt, wenn sie bereits jeder zweite Produzent geklaut hat? Soll sie zitiert werden, selbst wenn sie prominent das ganzes Stück trägt? DJ Shadow löst in "Midnight In A Perfect World" (1996), dem vorletzten Song von Trishes Jazz-Geisterbeschwörung dieses Dilemma so: Wenn schon das Hauptthema krallen, dann eines, das keiner kennt. Das Fundament des hypnotisch oszillierenden E-Pianos stammt vom finnischen Fusion-Jazzer Pekka Pohjola und seinem "The Madness Subsides" (1974). DJ Shadow - schon immer dem Trip Hop nahe - ergänzt ein übermächtig stampfendes Schlagzeug, stark verhallte Cuts und eine sanfte Frauenstimme, die leicht gegen die Vollkommenheit ansingt. Dem Finnen hingegen genügte eine aufbrechende E-Gitarre, die eine perfekte Mitternacht in einer nicht ganz perfekten Welt beendet.

Der volle Mix von Trishes kann man noch bis kommenden Montag im FM4 Player anhören. Hier die Playlist von "Excursions"- Episode 1:

A Tribe Called Quest Excursions
Art Blakey A Chant For Bu
Art Blakey & the Jazz Messengers Stretching
Digable Planets Rebirth Of Slick (Cool Like Dat)
Digable Planets Rebirth Of Slick (Cool Like Dat) (Altered Tapes Remix)
Soho Hot Music
K-Os Superstar Pt. Zero
Wynton Marsalis Skain's Domain
Grant Green Hurt So Bad
Etienne De Crecy Prix Choc
Mr. Scruff Get A Move On
Moondog Bird's Lament
Nas The World Is Yours
Ahmad Jamal I Love Music
Miles Bonny Yes I Do
All Natural 50 Years
Ramsey Lewis Julia
Dopehead Guttah Guttah
Junior Mance Let's Stay Together
Tall Black Guy I Wanna Play Something For You
John Coltrane & Duke Ellington In A Sentimental Mood
DJ Shadow Midnight In A Perfect World
Pekka Pohjola The Madness Subsides