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Christian Lehner Berlin

Pop, Politik und das olle Leben

30. 6. 2016 - 17:22

The King of Samples

Warum sind Samples gefährdet? Wie verwaltet man eine der größten Plattensammlungen der Welt? Und warum hat sich DJ Shadow gegen ein Features-Album entschieden? Ein Interview.

DJ Shadow kennst du nicht? Na dann schlag mal im Guiness-Buch der Rekorde nach. Dort hat der aus Kalifornien stammende Josh Davies einen Fixplatz inne und zwar als erster Mensch, der ein Album ausschließlich aus Samples zusammengebaut hat.

DJ Shadow

Christian Lehner

DJ Shadow beim FM4-Interview in Berlin

Die Platte heißt „Endtroducing“, erschien 1996 auf dem damals ultrahippen Label Mo‘ Wax und gilt als eine der Pionierleistungen des sogenannten Turntablism. Wir haben DJ Shadow anlässlich seines neuen Albums „The Mountain Will Fall“ in Berlin getroffen. Erster Eindruck: Der 43-jährige ist nicht der käsige Nerd, den man sich bei einem Menschen erwartet, der Zehntausende Vinyl-Platten hortet. Shadow redet offen über eine gefährdete Pop-Spezies namens Samples, die neue Welle des Jazz im Hip Hop und er klärt uns auf, warum Vinyl äußerst geduldig ist.

Lehner: Auf deinem neuen Album verwendest du erstmals nicht nur Samples. Warum?

DJ Shadow: Vor gut vier Jahren habe ich Ableton Live entdeckt. Das ist eine Musiksoftware, mit der man auch Klänge herstellen kann. Ich habe die neuen Techniken dann einfach in mein bestehendes Repertoire übernommen. Das heißt, ich betrachte alle Parts eines Stückes wie ein Sample – egal ob die Soundquelle ein Synthesizer, eine Snare Drum oder ein Sampler ist. Ob ich eine Gitarrensequenz live einspielen lasse oder von YouTube runterziehe, ist mir also gar nicht so wichtig. Am Ende kommt es darauf an, wie es in meinem Kopf klingt und ob ich das dann in Tracks übersetzen kann.

Natalie Brunner über DJ Shadow, unseren FM4-Artist of the Week.

Hat sich etwas am Sound verändert?

Das Frequenzsperktrum ist viel größer geworden. Mit Samples alter Platten ist man eingeschränkt, vor allem was die hohen und tiefen Frequenzen betrifft. Ein gutes Beispiel ist der Track „Nobody Speak“ mit Run The Jewels. Freunde haben mich gefragt, wo ich denn dieses fette Bläser-Sample gefunden hätte, dabei habe ich diese Parts selbst auf einem Keyboard geschrieben und später live einspielen lassen. Es klingt genau so, wie ich mir das vorgestellt habe. Wenn du aktiv nach einem bestimmten Sound suchst, sind Samples ein Kompromiss, einfach deshalb, weil du es mit vorgegebenen Parametern zu tun hast.

Wolltest du nicht mehr der „Sample Guy“ sein, als den du dich selbstironisch immer wieder bezeichnest?

In der Tat war das Sample für mich in der Vergangenheit eine Fixierung. Ich wollte das immer weiter ausreizen. Jetzt will ich mein volles kreatives Potential ausschöpfen. Alles hat seine Zeit.

Das Sampling als Kunstform hat mittlerweile seine Unschuld verloren. Man muss heute höllisch aufpassen, was man verwendet, will man nicht verklagt werden.

Deshalb bin ich auch sehr zufrieden über die Entscheidung im Led-Zeppelin-Fall, wo es um einen Plagiatsvorwurf ging. Es ist doch absurd: Musik als Ware ist so wenig wert wie noch nie, aber gleichzeitig ist das Sampling so gefährlich wie noch nie. In den USA hat sich aus dem Klagewesen im Bereich Urheberrecht eine Industrie entwickelt, die nicht mehr den Kern der Sache im Auge hat, sondern extrem profitorientiert agiert. Man macht sich auf die Jagd nach vermeintlichen Verstößen: Das hier klingt ähnlich wie jenes hier! Ich finde schon irgendjemanden, der ein Recht darauf hat, und verklage dich auf eine Million Dollar!

Hast du den Kraftwerk-Fall mitverfolgt?

Nur am Rande, aber auch hier bin ich mit dem Urteilsfindung zufrieden. Jeder Claim muss eine gewisse kompositorische und musiktheoretische Grundlage haben. Es kann nicht sein, dass man wegen einzelner Sounds oder kleiner Sequenzen, die noch dazu verfremdet werden, zur Rechenschaft gezogen wird. Man kann doch nicht allen Ernstes behaupten, dass ein Element 100% einer Komposition ausmacht. Der Spruch im Fall der Erben von Marvin Gaye gegen Pharrell Williams und Robin Thicke war jedenfalls eine Farce. Die jüngsten Urteile tendieren erfreulicherweise wieder etwas mehr in Richtung künstlerische Freiheit. Es zeigt uns auch, dass Gesetze nicht statisch sind.

Was einschüchternd wirken muss, ist die Tatsache, dass man auch noch nach vielen Jahren für vermeintliche Verstöße belangt werden kann. Mittlerweile gibt es Agenturen, die sich auf die Suche nach Verstößen machen.

Unlängst habe ich mir eine obskure Rockplatte aus den 70ern angehört. Totalle Miniauflage und selbst im Netz nur ganz schwer zu finden. Ich lege also die Nadel auf das Vinyl und was höre ich? Eine Sequenz, die exakt so klingt, wie ein berühmter Song von Prince. Und dann dachte ich: Wenn das in einem Mix auftaucht und ein größeres Publikum erreicht, würde wohl sofort ein Anwalt auf der Matte stehen und die Erben von Prince auf 100 Millionen Dollar Schadenersatz klagen.

Was auffällt auf deinem neuen Album: Für eine aktuelle Hip Hop Platte sind nur sehr wenige Features auf „The Mountain Will Fall“ zu finden.

Das war schon eine Versuchung, aber ich habe mich dann doch dagegen entschieden, weil es das war, was alle erwarteten. Ich sehe diese Entwicklung auch kritisch. Viele Produzenten machen sich abhängig von Features. Das höhlt den Stellenwert von Instrumentals im Hip Hop aus. Also habe ich mich entschlossen, in die andere, musikalischere Richtung zu gehen und mit Komponisten wie Matthew Halsall oder oder Nils Frahm zusammengearbeiten. Ich habe auch Steven Price angeschrieben, der die Filmmusik zu Gravity gemacht hat, aber leider ist da nie etwas zurückgekommen (lacht).

Ein prominentes Feature gibt es aber doch mit Killer Mike und El-P von Run The Jewels.

Ich kenne El-P seit über 20 Jahren. Company Flow war in meinen formativen Jahren einer der letzten Einflüsse, die mein Verständnis von Hip Hop nachhaltig geprägt haben. El und ich sind ungefähr gleicht alt. Mir gefällt es, wie er sich neu erfunden hat, ohne die Vergangenheit zu leugnen. Ich habe ihm das auch einige Male gesagt. Es gibt ganz wenige, die mit 40 noch immer nach vorne schauen. Lustigerweise hab ich ihm von meinen Demos fürs Album dann doch den etwas an Boom Bap und die 90er erinnernden Track gegeben (lacht). Es hat super geklappt. Ich wollte keinen Old-Skool-Rapper, sondern jemanden, der die Referenzen versteht und das Ding in die Gegenwart holen kann.

So wie zu deinen Anfangstagen bei Mo’Wax, erfreut sich der Jazz wieder großer Beliebtenheit im Hip Hop. Kendrik Lamar ist so ein Beispiel.

Ich mag spirituellen, traurigen und politischen Jazz. Das hat eine ungemein emotionale Qualität. Als ich in den 90ern das erste Mal nach Europa kam, hatte ich das Gefühl, dass Acid Jazz all das weggeschnitten hat. Das Jazz-Verständnis von Gilles Peterson war mir zu höflich und poliert. Das klang alles nach Dinner-Musik und Muzak zum Fingerschnippen. Vielleicht bin ich auch unfair, aber mir schien das alles ästhetischen Kriterien folgend und nicht emotionalen. Das aktuelle Zeug auf dem Label Brainfeeder, und vieles andere aus LA, hat hingegen eine unglaubliche Dringlichkeit und auch einen politischen Rahmen, in dem es wirken kann.

Du giltst als Pionier des Truntablism, also jener Kunstform, die den Plattenspieler zum Instrument machte.

Wobei ich sagen muss, dass ich diesen Begriff für mich nicht ablehne, ihn aber auch nicht aktiv in Anspruch nehme. Turntablisten, das waren für mich immer DJs wie Mixmaster Mike, Qbert oder die X-Executioners. Sie stehen für das kompetative Element der DJ Kultur. Das setzt richtig hartes Training voraus. „It takes 10.000 hours“, war ein geflügeltes Wort damals. Ich hingegen wollte die Turntablism-Technik ins Studio bringen. Ich bin ein ganz passabler DJ und liebe das Scratching, würde mich aber nie in eine Linie mit den großen Turntablisten stellen, die ich sehr bewundere und respektiere.

Du giltst als notorischer Plattensammler mit über 60.000 Vinyl-Exemplaren.

Diese Zahl nannte Questlove in einem Interview. Das ist aber schon 15 Jahre her! Ich zähle nicht mehr mit, es sind aber mittlerweile wesentlich mehr. Meine Sammlerfreunde und ich fragen uns immer wieder, warum die Leute so auf die Größe fixiert sind. Bei einer Sammlung zählen doch ganz andere Kriterien: Wie ist sie kuratiert? Genügt sie ihren eigenen Ansprüchen? Sind die wichtigsten Schlüsselwerke erfasst? Ich kenne Typen, die sammeln seit den 50er- oder 60er-Jahren. Die Frage bei denen ist nicht: Besitze ich eine Million Platten, sondern: Besitze ich die Zehntausend besten?

Die Frage der Größe ist dennoch relevant, wenn es um die Lagerung geht. Besitzt du eine Art riesigen Weinkeller für Vinyl?

Ach ein Traum wäre das! Ein ganzes Lagerhaus direkt verbunden mit meinen eigenen vier Wänden. Meine Idealvorstellung wäre ein System, das wie in einer Wäscherei funktioniert. Du kennst die Läden, wo man reinkommt, und dann hängen die gereinigten Klamotten in einer Reihe und dann drücken man auf einen Knopf und die nächste Fuhre kommt aus dem Lager, oft alphabetisch geordnet. Diese Katalogisierungssystem würde ich am liebsten auf meine Sammlung übertragen.

Wo hast du sie derzeit gelagert?

In mehreren kleinen Storage Houses im Radius von 20 Meilen. Manche habe ich noch gar nicht richtig inspiziert, weil ich einfach eine ganze Sammlung übernommen habe. Irgendwann wird der Tag kommen, wo sie alle zusammenfinden und wenn das geschehen ist, eröffne ich vielleicht einen kleinen Plattenladen.

Wieviel Zeit verbringst du mit Deinen Platten?

Ehrlich gesagt viel zu wenig! Heute muss man als Künstler sehr produktiv sein, da bleibt eher wenig Zeit für die Liebhaberei. Aber ich bin geduldig und das Vinyl ist es auch. Ich sehe das so: die Platten warten auf mich und wenn ich 60 bin, kommt es zur großen Wiedervereinigung.