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Erich Möchel

Netzpolitik, Datenschutz - und Spaß am Gerät.

27. 6. 2016 - 19:00

"Brexit"-Votum verschob EU-Netzsperrendebatte

Das EU-Parlament könnte sich die Abstimmung im LIBE-Auschuss am Mitttwoch überhaupt sparen, denn die Internetkonzerne haben bereits vollendete Tatsachen geschaffen.

Am Montag hätte der Innenausschuss des EU-Parlaments eigentlich über sogenannte "Netzsperren" abstimmen sollen. Am Freitag wurde jedoch bekannt, dass die Abstimmung über die geplanten Eingriffe in den Informationsfluss im Netz auf Mittwoch verschoben wurde. Mehrere Anläufe für Netzsperren in den letzten neun Jahren waren auf Initiativen britischer Konservativer zurückgegangen, die damit Alleingänge der nationalen Jurisdiktion EU-weit absichern wollten. Großbritannien hatte sogenannte "Pornofilter" bekanntlich vor Jahren im Alleingang eingeführt.

Während bekannte IS-Videos nahe an Echtzeit identifziert und gelöscht werden, wird auch die mögliche "Lebenszeit" neuer IS-Videos auf die knappe Zeitspanne bis zur Erstidentifikation beschränkt.

Am Samstag meldete die britische Nachrichtenagentur Reuters, dass die Internetkonzerne bereits vollendete Tatsachen geschaffen haben. YouTube, Facebook und andere blockieren laut Reuters Gewaltvideos des "Islamischen Staats" (IS) bereits automatisch, man greift dabei auf Methoden zurück, die ursprünglich zur Identifikation urheberrechtlich geschützter Inhalte entwickelt wurden. Vor allem Videos werden dabei automatisch mit sogenannten "Hashes" markiert - eine Art digitaler "Wasserzeichen" - mittels derer etwa Hinrichtungsvideos des IS automatisch identifiziert und dauerhaft blockiert werden.

Eine Umfrage von ORF.at zum Thema fiel mitten in die Brexit-Entscheidung, immerhin hatten drei der fünf Parlamentsfraktionen, in denen österreichische EU-Abgeordnete vertreten sind - Liberale, Sozialdemokraten und Grüne - vor Redaktionsschluss dieses Artikels geantwortet. Die FPÖ reichte die Antworten nach (siehe unten), seitens der ÖVP gab es keine Reaktion.

MEP Josef Weidenholzer (Sozialdemokraten)

SPE

"Vor einiger Zeit war es noch 'Kinderpornographie, nun ist es der Terrorismus. Ich bin dafür, dass strafrechtlich relevante Inhalte aus dem Netz gelöscht werden und nicht durch Netzsperren 'verhüllt' werden." Es sollte keineswegs eine Entscheidung privater Firmen sein, was als legal und illegal gilt. Von dieser Art von Selbstermächtigung privater Firmen halte ich nichts. Als zuständiger Vize-Präsident für Digitales in der Fraktion kann ich sagen, dass sich keine Mehrheit für die Einführung von Netzsperren finden wird.

Ulrike Lunacek (Grüne)

CC BY SA 3.0/Morgenbesser

"Laut unseren Informationen konnten in den letzten Verhandlungen ein Kompromiss erzielt werden, der Netzsperren nicht beinhält. Sollte das nicht der Fall sein, werde ich die 'Kompromisse' nicht unterstützen", heißt es von Lunacek, deren Antwort allerdings bereits wesentlich später erfolgte als jene Weidenholzers. "Richtiges Vorgehen gegen islamistische und rechte Inhalte" bestehe in der Schaffung von "Gegenerzählungen". Jede Einschränkung des offenen und freien Internets würde zudem Terroristen und Rechtensextremen in die Hände spielen. Diesen Gefallen sollte man den 'Feinden der Demokratie' nicht erweisen".

Neos

MEP Angelika Mlinar (Liberale)

"Internetsperren sind eigentlich nicht im Rahmen der Terrorismus-Richtlinie vorgesehen, da sie nicht ins Strafrecht fallen. Daher waren sie auch nicht im Vorschlag der Kommission vorgesehen. Diese Sicht teilt auch der Rat." Da sich das Online-Umfeld laufend verändere, sei es höchst unklug, "aus subjektivem Empfinden heraus Internetsperren in dieser Richtlinie zu inkludieren."

Bereits im Oktober 2015 hatten britische Konservative Netzsperren erfolgreich in die Verordnung zum "digitalen Binnenmarkt reklamiert, um die eigene, restriktive Gesetzgebung zu Netzsperren von Sites mit legalen pornographischen Inhalten abzusichern

Sperren ohne rechtliche Entscheidung seien eine klare Verletzung der Kommunikations- und Meinungsfreiheit und verstießen daher sowohl gegen die Grundrechte-Charta der EU (Artikel 52) und die Telecommunications Single Market Regulation (Erwägungsgrund 13 & Artikel 3.3(2)a). Werde die Sperre "freiwillig" angewandt, dann gebe es "keine rechtliche Deckung", die stets "aufgeführten Schutzbestimmungen" könnten so "ignoriert werden. Sollten "Internetsperren und Löschung von Inhalten vorgesehen werden", müsse "die Verantwortung dafür bei einer zuständigen Justizbehörde liegen."

MEP Harald Vilimsky (FPÖ, EFD)

FPOE

An sich sollten die geplanten Sperren ja den Zugang zu Websites mit "Aufforderungen zu terroristischen Anschlägen und deren Verherrlichung unterbinden." Da solche "'Internetsperren' jedoch auch die Meinungsfreiheit des rechtsschaffenen Bürgers beeinträchtigen" könnten, war es mir persönlich äußerst wichtig, dass die Berichterstatterin den zu sperrenden Inhalt so präzise wie möglich beschreibt. "Äußerungen, die von polemischer Art sind oder auch kontroverse Ansichten in öffentlichen Debatten" enhielten, sollten hingegen "nicht Ziel von Internetsperren sein."

Ein Gerichtsurteil, Österreich

Erst am Dienstag hatte das Oberlandesgericht Wien eine einstweilige Verfügung aufgehoben, die eine Reihe von Internet-Providern zur Sperre der Seiten thepiratebay.se, isohunt.to, h33t.to, und 1337x.to verpflichtet hatte. Maximilian Schubert, Generalsekretär der ISPA: "Wie prekär die ganze Angelegenheit ist, zeigt sich nicht nur dadurch, dass die Provider durch die Sperraufforderungen der Rechteinhaber gegen ihren Willen in die Richterrolle gedrängt werden."

"Sie laufen, sofern sie zum Beispiel den kürzlich von den Filmproduktionsunternehmen versandten relativ formlosen Aufforderungen entsprechen, auch noch Gefahr, gegen Artikel 3 der Verordnung zum Digitalen Binnenmarkt zu verstoßen, die auch die Netzneutralität regelt."

Davor hatte der OGH bestätigt, dass Internetprovider verpflichtet werden können, den Zugriff auf Websites mit illegalen Inhalten zu sperren. Damit folgte der OGH einem Grundsatzurteil des EuGH bezüglich Urheberrechtsverletzungen im Netz.

PhotoDNA von Microsoft

Mitte Juni habe das "internationale 'Counter Extremism Project' (CEP) in Washington eine Software vorgestellt, mit der extremistische Inhalte beim Upload entdeckt werden sollen", berichtete der deutsche IT-Nachrichtenblog Netzpolitik.org am Mittwoch. Das Verfahren basiere "auf PhotoDNA, einer Anwendung, die Microsoft ursprünglich für die Bekämpfung von Kinderpornografie entwickelt hatte. Möglich ist die Detektion von Video- und Audioinhalten. Die Erkennungsquote liegt angeblich bei 98 Prozent.

"Diese hohe Erfolgsquote bezieht sich allerdings nur auf den Abgleich bereits erfasster Fotos oder Videos mit dem Inhalt bestehender Datenbanken. Diese wiederum werden nicht von den Internetkonzernen, sondern von Polizeibehörden geführt", so Netzpolitik.org. PhotoDNA greife beispielsweise auf eine Datenbank des National Center for Missing & Exploited Children zurück. Auch die weltweite Polizeiorganisation Interpol führe eine "Bilddatenbank Kinderpornographie".

Ausblick auf die Abstimmung am Mittwoch

Derzeit ist noch unklar, wie sich die Abgeordneten aus Großbritannien am Mittwoch im Innenausschuss verhalten werden. Der britische Finanzkommissar der EU, Jonathan Hill, hatte noch am Wochenende seinen Rücktritt angekündigt, Grund dafür war der steigende Druck seiner Brüsseler Kommissarskollegen. Es ist also nicht ausgeschlossen, dass die Mitglieder des parlamentarischen Innenausschusses aus Großbritannien auf eine Teilnahme an der Abstimmung verzichten.

Die endlose Geschichte der Netzsperren in 22 Stories von fm4.ORF.at, sowie in 230 Artikeln von futurezone.ORF.at zurück bis ins Jahr 2007.

Mit Claude Moraes stellen britische MEPs nicht nur den Vorsitzenden im LIBE-Ausschusѕ, neben Timothy Kirkhope (Rechtskonservative ECR) gehören ihm auch Gerard Batten (UKIP, Fraktion EFFD) oder Martina Anderson (Linke) an. Die danach folgende Plenarabstimmung könnte sich das EU-Parlament überhaupt sparen, zumal Google, Facebook, bzw. Microsoft auf technischer Ebene mit der automatischen Löschung der IS-Horrorvideos längst vollendete Tatsachen geschaffen haben.