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Erich Möchel

Netzpolitik, Datenschutz - und Spaß am Gerät.

22. 7. 2014 - 18:21

OGH bestätigt Verantwortung von Providern

Internetprovider können verpflichtet werden, den Zugriff auf Websites mit illegalen Inhalten zu sperren. Damit folgt der OGH einem Grundsatzurteil des EuGH bezüglich Urheberrechtsverletzungen im Netz.

Update

Der Oberste Gerichtshof bestätigte heute, dass die einstweilige Verfügung gegen den Internetanbieter UPC Wien, der 2011 den Zugang zum Streamingportal kino.to sperren musste, rechtens war. UPC hatte stets argumentiert, dass der Provider lediglich den Zugang zum Internet bereitstelle, nicht den Zugriff auf illegale Inhalte. Ende März urteilte der Europäische Gerichtshof, dass Zugangssperren vom Provider verlangt werden können, wenn eine begründete Aufforderung der Rechteinhaber besteht. Der OGH folgt damit dem EuGH-Urteil.

Die Analyse zu den Netzsperren ist bereits am 31. März 2014 veröffentlicht worden:

Nach der Entscheidung des EuGH, dass Internetsperren in der EU grundsätzlich verhängt werden können, liegt nun der Ball wieder beim Obersten Gerichtshof (OGH) der Republik Österreich. Der Spruch des EuGH geht auf ein "Vorabentscheidungsersuchen" des OGH zurück, der auch das Urteil fällen wird. Da dies das erste Urteil eines nationalen Höchstgerichts nach dem Spruch des EuGH vom Donnerstag ist, wird es in ganz Europa mit einiger Spannung erwartet.

Dabei hat die Klage des deutschen Filmvertreibers Constantin und der Österreichischen Wega-Film gegen die UPC-Telekabel keine direkte Auswirkung. Die zu sperrende Website kino.to ist nach Verhaftung ihrer Betreiber ohnehin seit 2011 aus dem Netz verschwunden.

Screenshot der Website kino.to

Kino.to

Der an sich ähnlich erwartete Spruch des EuGH wartete in einem Punkt mit einer Überraschung auf, die nun für enorme Rechtunsicherheit bei allen Internetprovidern sorgt. Statt konkreter Anordnungen des Gerichts zu Sperrmaßnahmen, wie sie die vorab veröffentlichte Rechtsmeinung des EuGH-Generalanwalts enthalten hatte, wurde die rechtlich folgenschwere Entscheidung, was wie technisch geblockt werden soll, den Providern zugeschoben. Nach übereinstimmender Meinung dreier von ORF.at befragter Experten für Internetrecht liegt es nun am OGH, durch ein entsprechendes Urteil Klarheit und damit Rechtssicherheit zu schaffen.

Aktuell dazu bei ORF.at
In der Türkei werden Netzsperren gerade massiv politisch instrumentalisiert. Nacheinander wurden Twitter, Youtube und eine ganze Reihe weiterer Websites in der Türkei geblockt

"Spielraum für den OGH gegeben"

"Der EuGH bürdet damit den Zugangsprovidern die Abwägung unserer Grundrechte auf", sagte Rigo Wenning, der Justitiar des World Wide Web Consortiums (W3C) dazu an ORF.at. "Die Provider werden einmal mehr im Regen stehen gelassen, denn sie sollen eine Sperrvorgabe anhand von zwei gegenläufigen Kriterien umsetzen" schreibt auch der auf Internetrecht spezialisierte deutsche Anwalt Thomas Stadler.

Auch Christof Tschohl, Jurist am Wiener Boltzmann-Institut für Menschenrechte, beurteilt die Sachlage ziemlich genau so, sieht aber "nationalen Spielraum für die Gerichte als durchaus gegeben an", so Tschohl zu ORF.at. Über "Ausgewogenheit und Verhältnismäßigkeit" habe nämlich der OGH zu entscheiden und der sei auch die einzige Instanz, die das vom EuGH verursachte Dilemma für die Internet-Provider beseitigen könne, sagte Tschohl.

Rechtsunsicherheit als Freiheit

Tatsächlich ist dies das einzig wirkliche Novum bei diesem Urteil, das ansonsten weitgehend der Stellungnahme des EuGH-Generalanwalts Cruz de Villalon vom Oktober 2013 entspricht. Während der Generalanwalt die Rechtsmeinung vertritt, dass seitens der Gerichte konkrete Sperranordnungen verfügt werden müssten, argumentiert der EuGH ab Ziffer 50 seines Spruchs mit "unternehmerischer Freiheit" der Internetprovider gegen konkrete Sperrauflagen.

Das Urteil des EuGH in der Rechtssache C‑314/12 betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Obersten Gerichtshof Österreich

Eine direkte Anordung zur Art der Sperren würde nach Meinung des EuGH "die freie Nutzung der ihm zur Verfügung stehenden Ressourcen" einschränken, was mit "erheblichen Kosten" verbunden sei (Ziffer 50) So aber bleibe das "Recht auf unternehmerische Freiheit eines Anbieters von Internetzugangsdiensten ... unangetastet."

Daraus folgt: "Zum einen überlässt es eine Anordnung wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende ihrem Adressaten, die konkreten Maßnahmen zu bestimmen, die zur Erreichung des angestrebten Ziels zu treffen sind, so dass er sich für die Umsetzung derjenigen Maßnahmen entscheiden kann, die seinen Ressourcen und Möglichkeiten am besten entsprechen und mit den übrigen von ihm bei der Ausübung seiner Tätigkeit zu erfüllenden Pflichten und Anforderungen vereinbar sind." (Ziffer 52)

Im Verleich dazu der im Oktober 2013 veröffentlichte Schlussantrag des EuGH-Generalwalts Pedro Cruz Villalon

Regressdrohung, Haftungsbefreiung

Das Gericht leite also daraus ab, das Recht auf unternehmerische Freiheit sei gerade nicht im Wesensgehalt betroffen, weil der Zugangsprovider ja selber über die technische Durchführung der Sperrmaßnahmen entscheiden könne, sagte Wenning. Die als Wahrung der "Freiheit der unternehmerischen Entscheidung" verkaufte, neue Rechtsmeinung sorgt aber auch dafür, dass Sperren nach Unionsrecht überhaupt erst zulässig sind.

Zum Zweiten drohen durch diese Art von "Freiheit" für Provider ab nun Regressforderungen durch die klagenden Firmen etwa aus der Film- und Unterhaltungsindustrie. Die Meinung des EuGH, dass eine "solche Anordnung" "ihrem Adressaten" ermögliche, "sich von seiner Haftung zu befreien, indem er nachweist, dass er alle zumutbaren Maßnahmen ergriffen hat"( Ziffer 53), hat besonderes Befremden ausgelöst. Von der Technik her ist nämlich genau der gegenteilige Fall gegeben, weil diese "Sperren", eigentlich keine sind. Die betreffende Website bleibt ja weiterhin im Netz und wird nur in einer regionalen Gesetzgebung je nach eingesetzter Methode schwieriger zugänglich gemacht.

Die Twitter-Sperre und ihre Umgehung

Am Beispiel der Türkei zeigt sich gerade, wie solche Blockaden eskalieren, wenn der Druck dahinter entsprechend hoch ist. Für die erste Sperrmaßnahme gegen Twitter wurde mіt der Manipulation des Domain-Name-Systems die am einfachsten umzusetzende gewählt. Alle Internetprovider mussten auf ihren DNS-Servern Einträge setzen, dass Twitter.com nicht mehr auf Twitter sondern auf einen staatlichen Server zeigt, der mitteilt, dass Twitter in der Türkei gesperrt sei.

Twitter Logo und Türkische Flagge

APA/dpa/Karl-Josef Hildenbrand

Die letzte große Debatte zum Thema "Netzsperren in der EU" wurde im Jahr 2011 geführt. Damals ging es um sogenannte "Kinderpornografie", gegen die Sperren eingesetzt werden sollte. In diesem Fall waren die Pläne technisch besonders unsinnig, weil diese Inhalte über Bezahlsysteme laufen, die im WWW gar nicht sichtbar sind. Die Anlock-Pages zu diesen Systemen werden entweder Großprovidern untergejubelt, oder sie rotieren über wechselnde IP-Adressen gekidnappter PCs ahnungsloser Besitzer.

Diese Maßnahme wurde während der erste Tage massenhaft umgangen, da die Benutzer einen der zahlreichen freien Domain-Name-Server in ihre Browser eintrugen. Frei wählbare DNS-Server wie jener mit der IP-Adresse "8.8.8.8" von Google führten dann türkische Twitter-User erst recht wieder auf die echte IP-Adresse. Die Zahl der Tweets aus der Türkei stieg zeitweise um ein Drittel über das Durchschnittsniveau. Das änderte sich erst zu Beginn der vergangenen Woche, da traten Sperren auf Ebene der IP-Adressen Twitters in Kraft.

Die Eskalation in der Türkei

Hier war schon deutlich mehr Aufwand nötig, um eine ganze Serie von IP-Adressen zu blocken, mussten auf sämtlichen Firewalls aller Provider zusätzliche Regeln gesetzt werden. Ab Dienstag hatten die IT-Techniker bei Turk Telekom und allen anderen Providern dann eine ganze Reihe weiterer Sites wie den URL-Abkürzer "t.co" zusätzlich zu blocken. Die zentrale Website des Anoymisierungsnetzwerks TOR wie einige bekannte, große Anbieter von Virtual Private Networks (VPNS) landeten ebenfalls auf der Liste.

Hier stieß die Zensur allerdings bereits an ihre Grenzen. Im Fall des Anonymisierungsnetzes TOR konnte nur die zentrale Website des Dienstes "gesperrt" werden, nicht aber die eigentlichen TOR-Services. Die bestehen darin, Benutzer durch ein überwachtes Netz verschlüsselt hinauszutunneln. Von einem TOR-Ausgangsserver irgendwo im Internet lässt sich so erst wieder auf alle in der Türkei lokal "gesperrten" Websites zugreifen.

TOR-Netzwerk und VPNs

Alleine das TOR-Netzwerk hat rund 6.000 Server weltweit in Betrieb, deren IP-Adressen zum Teil laufend wechseln. Von denen kommen viele als Brücke in das TOR-Netzwerk in Frage, wie es alleine in Österreich eine ganze Reihe öffentlich verfügbarer VPN-Anbieter gibt, weltweit sind es tausende. Hier ist der selbe Fall wie bei TOR gegeben, die Überwacher in der Türkei sehen bestenfalls, dass der Benutzer mit einer bestimmten IP-Adresse irgendwo im Netz verschlüsselt kommuniziert.

Solche Virtual Private Networks sind der Standard für sichere Firmenvernetzung. Das heißt, Angestellte großer ausländischer Firmen in der Türkei hatten keine Probleme, auf alles "gesperrte" zuzugreifen, wenn sie über ihre mit einem VPN vernetzten Firmenstandorte in EU-Europa, wo eben keine türkischen Sperrvorschriften gelten, auf Inhalte im WWW zugreifen konnten.

Der bayrische Rechtsanwalt Thomas Stadler hatte auf seinem bekannten Rechtsblog bereits wenige Stunden nach Urteilsverkündung eine erste juristische Einschätzung parat

Anzeichen der Überforderung

Am Donnerstag wurde schließlich auch YouTube in der Türkei gesperrt, erneut mussten ganze Batterien zusätzlicher IP-Adressen in die Sperrlisten bei allen türkischen Providern eingetragen werden. Hier zeigten sich schon Anzeichen der Überforderung seitens der Provider, zumal diese "Sperren" nur noch unzureichend funktionierten. Eine solch absehbare Eskalation ist nur mit einer weitgehend automatisierten Zensurinfrastruktur samt zusätzlichem Personal zu bewerkstelligen, da immer neue IP-Adressen dazukommen.

Das TOR-Netzwerk und vor allem die vielen VPN-Anbieter sind weitaus verbreiteter, als Richter am EuGh womöglich wissen. Die populären Streamingdienste wie Netflix oder Hulu haben zigtausende europäische Kunden, obwohl diese Firmen ihre Services in Europa noch gar nicht anbieten, weil es an den dafür nötigen Rechten fehlt. In Europa benötigt man nur einen der vielen VPN-Anbieter aus den USA, an dessen IP-Adressblocks Netflix streamen darf. Dass der Stream von diesem VPN danach über den Atlantik geht, kann Netflix nicht verhindern und darf das auch nicht. Ein guter Teil der europäischen Netflix-Benutzer sind US-Staatsbürger, die in Europa arbeiten oder gerade reisen, also ganz normale US-Kunden.

Der Saarländer Rigo Wenning ist seit 1999 für das World Wide Web Consortium (W3C) als juristischer Berater tätig, seit 2007 ist er Chefjurist des Standardgremiums für das WWW

Overblocking wird befürchtet

In einem solchen, technisch vorgegebenen Rahmen sollten also die europäischen Internet-Provider nach eigenem Gutdünken entscheiden, welche Stufen der "Sperr"-Eskalation zu wählen sind, um ihre Unternehmen vor Regressforderungen durch Rechteinhaber zu schützen. Der Tenor aller drei dazu befragten Experten ist, dass dies zu "Overblocking" führen wird, dass also Websites, die auch nur einen inkriminierten Link enthalten, vorsorglich in ihrer Gänze geblockt werden.

Damit handelt man sich unweigerlich neue Probleme ein, wenn zum Beispiel Firmenwebsites dadurch in Mitleidenschaft gezogen werden. Ein Link irgendwo auf einem Webserver kann dazu führen, dass der komplette Server, der aber auch von einer Anzahl völlig regulärer Firmenkunden dient, sicherheitshalber geblockt wird.

Provider als Juristen

In Ziffer 55 der EuGH-Urteilsbegründung heißt es dazu: "Der Adressat einer Anordnung wie der im Ausgangsverfahren in Rede stehende muss bei der Wahl der Maßnahmen, die er zu ergreifen hat, um der Anordnung nachzukommen, aber auch für die Beachtung des Grundrechts der Internetnutzer auf Informationsfreiheit Sorge tragen."

Die Rechteabwägung zwischen zwei kollidierenden Grundrechten, nämlich dem Recht auf Eigentum seitens der Inhaber von Filmrechten und dem Grundrecht auf Informationsfreiheit bleibt nach dem Spruch des EuGH also an den Transporteuren des Internetverkehrs hängen.

Die Möglichkeiten des OGH

Hier kommt der Oberste Gerichtshof der Republik Österreich ins Spiel. Der EuGH schreibe keineswegs vor, dass so vorzugehen sei, sagte Tschohl, sondern sage nur, dass Blockieranordnungen nach derzeitigem Rechtsstand in der Union möglich seien, ohne dass dabei die Grundrechte automatisch verletzt würden. Schreibe der OGH zum Beispiel vor, dass Österreichs Gerichte diese Abwägung zwischen den kollidierenden Grundrechten erstinstanzlich treffen müssten, dann seien die Provider rechtlich abgesichert.

Der Österreicher Dr. Christof Tschohl hat neben seiner juristischen Ausbildung auch einen Studienabschluss in Nachrichtentechnik und forscht am Zentrum für digitale Menschenrechte des Ludwig-Boltzmann-Istituts.

Was die Grundrechte angehe, so könne das nationale Verständnis von Grundrechten wie Informationsfreiheit durchaus strenger sein als die EU-Charta, so Tschohl. Die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) von 1948, auf die sich die EU-Grundrechtecharta stützt, sei ja ein Mindeststandard, der für weitere Verbesserungen des Grundrechtsschutzes definitiv offen sei. Weil die EMRK überdies vollinhaltlich in die Verfassung der Republik Österreich übernommen wurde, sei hier eindeutig Spielraum für den OGH gegeben, so der Rechtsexperte des Boltzmann-Instituts abschließend.

Sperrmaßnahmen ausgereizt

Was die Türkei betrifft, so dürften die Sperrmöglichkeiten ziemlich ausgereizt sein. Der Twitter-Verkehr aus der Türkei hat zwar deutlich nachgelassen, von einer wirklichen Sperre kann allerdings nicht die Rede sein. Wollte man hier noch eine Eskalationsstufe draufsetzen, gäbe es nur noch die Alternative, sämtlichen "https"-Verkehr auf Port 443 von allen türkischen Providern sperren zu lassen.

Damit wäre aber auch der gesamte Firmenbereich und das Online-Banking in der Türkei automatisch blockiert. Das ist eine Maßnahme, die sich beim derzeitigen Stand der Vernetzung eigentlich kein Staat mehr leisten kann. Das Zusammenfallen der türkischen Internetsperren mit der Grundsatzentscheidung des EuGH, dass Sperren grundsätzlich möglich seien, ist natürlich Wasser auf die Mühlen der türkischen Regierung.

Die kann nun die eigene Sperrexzesse damit rechtfertigen, dass die Europäische Union ebenfalls Sperren befürworte. Im Netz hat es das zu einer Welle von Hohn und Spott geführt:. Die Sperren von Twitter und YouTube durch die türkische Regierung seien womöglich gar keine Zensurmaßnahmen, sondern zeigten nur das Bestreben der Türkei, ihr Rechtssystem mit EU-Recht zu harmonisieren.