Erstellt am: 24. 3. 2016 - 15:23 Uhr
The daily Blumenau. Thursday Edition, 24-03-16.
#fußballjournal16
The daily blumenau hat im Oktober 2013 die Journal-Reihe (die es davor auch 2003, '05, '07, 2009 und 2011 gab) abgelöst. Und bietet Einträge zu diesen Themenfeldern.
Fast zeitgleich mit Johan Cruyff ist auch Nick Neururer gestorben, Fußballjournalist im allerbesten Sinn, Happel-Versteher, Spielervermittler und -Berater, Fußball-Scout, Kenner der internationalen Blues-, Country- & Folk-Szene, Konzertveranstalter, Tiroler, soulmate. Ihn will ich morgen würdigen.
Vergesst die selbst- und medienernannten Fußball-Götter.
Vergesst Beckenbauer, das rückgratlose und spracharme Fähnchen im Wind, den die Bluffer und Blender der Branche (von Zürich bis Herzogenaurach) seit fünfzig Jahren veranstalten, um ihre über den Sport ergaunerten Schäfchen ins Trockene zu bringen.
Vergesst Maradona, den gebotoxten Junkie mit der Lizenz zum Verfolgungswahn und Selbstzerstörung.
Vergesst Pele, den gefühlten Weltsportminister mit dem schwafeligen Hang zur langweiligen Selbstreferenz.
Vergesst selbstgefällige Abgreifer wie Michel Platini, glühende loonies wie Eric Cantona oder George Best und einfache Gemüter wie Marco Van Basten oder Gerd Müller.
Vergesst überschätzte Regional-Größen wie Bobby Charlton, Bobby Moore, Eusebio oder Garrincha.
Sie alle hatten ihre sportliche Hoch-Zeit und waren bedeutende Einflussnehmer und -geber, richtig. Aber wenig davon hat Bestand. Den Libero gibts ebensowenig mehr wie den Zehner alten Stils.
Einige der allergrößten aus den diversen Alltime-Listen schafften sogar den Umstieg vom (einflussreichen) Spieler zum einflussreichen Coach oder Funktionär, die wesentlichste Voraussetzung zur nachhaltigen Wirkung. Aber selbst wenn sie dort erfolgreich waren wie Ferenc Puskas oder Alfredo di Stefano: richtungsweisend war nichts davon.
Wegweisend, sowohl als Spieler, als dann auch als Trainer und Funktionär war nur einer. Und deshalb ist er und bleibt er der Größte: Johan Cruyff, der fordernde Holländer, der heute gestorben ist.
APA/AFP/JOSEP LAGO
Ohne Cruyff hätte der internationale Fußball nämlich ein anderes Gesicht. Vielleicht auch ein interessantes, aber jedenfalls nicht sein heutiges, spielerisch avanciertes, intelligentes, hybrides. Mehr Einflussnahme geht also nicht.
Cruyff war, das merken alle, die mit ihm zu tun haben, offen oder zwischen den Zeilen an, ein anstrengender Mensch, ein Rumpelstilz, zeitweise sogar ein echter Stinkstiefel. Damit ist er sich zeitlebens auch im Weg gestanden, sein Jähzorn und seine Sturheit haben den Niederlanden den abholbereiten WM-Titel 1974 gekostet.
Der Stil, den Cruyff unter Anleitung seines Coaches Rinus Michels ab Anfang der 70er mitentwickelte und prägte, hat sich jedoch flächendeckend durchgesetzt. Als alle anderen fußballerisch noch auf den Bäumen saßen und sich im starren Denken verloren, lebte Cruyff mit Ajax (und dann auch dem holländischen Nationalteam und dann noch später als Spieler beim FC Barcelona) eine andere Interpretation vor - den Voetbal Totaal. Kein System, sondern eine Philosophie, die von aggressivem Pressing, einer hochstehenden Abwehr, dem Willen zum Ballbesitz und zur kreativen Gestaltung und der Vermögen ständig die Formationen zu wechseln geprägt war. Also genau das, was heute jeder kleine Dorfverein spielen möchte.
Im Fußball des 20. Jahrhunderts gibt es nur eine relevante Zeitrechnung: die Phase vor und die Phase nach dem Totalen Fußball; der - politisch unbelastet - so heißen kann, weil er in nazideutschen Erzfeindlanden ersonnen wurde. Interessanterweise war es just der deutsche Fußball, der sich am längsten gegen die Ideen des Voetbal Totaal sträubte, und das Level letztlich erst in der Ära Klinsmann/Löw erreichte.
Und womöglich wäre der globale Input der holländischen Radikal-Spielweise mit offensivem Flügelspiel, hoher Paß-Qualität in hohem Tempo, situativem Pressing und geplanten Positionswechseln irgendwann in der 80ern, als so etwas wie ein renitenter Backlash einsetzte, auch wieder versackt. Dem wirkte Cruyff als Trainer entgegen, als er - zuerst bei Ajax Amsterdam, seinem Heimatverein, dann beim FC Barcelona - den Voetbal Totaal jeweils einen Dreh weiterentwickelte. Die von ihm entwickelten Kicker wurden 88 Europameister, Barca stieg unter seiner Ägide zur besten Mannschaft der Welt auf. Die es heute immer noch ist.
Cruyff war seitdem nie wirklich weg aus Barcelona. Er lebte dort und ist auch dort gestorben. Seine Person und sein Stil prägen den Verein bis heute. Ebenso wie den gesamten holländischen Fußball. Und weil sich letztlich alle anderen Fußballer in Europa und wohl auch weltweit zumindest partiell an diesem Stil orientieren, schwingt der globale Fußball in einem von Johan Cruyff erfundenen Takt.
Die symbolgewordene Krönung von Cruyffs Lebensleistung war das Finale der WM 2010: da spielte Spanien gegen die Niederlande, oder die 8A gegen die 8B um den Titel im Cruyff-Gymnasium.
Damit war/ist der Weg des Totalen Fußballs und der stilprägende Einfluss von Cruyff aber noch nicht am Ende. Die großen Trainer, von Guardiola abwärts, sind allesamt entweder direkte (sportliche) Abkömmlinge oder massiv beeinflusst, oder (wie etwa Mourinho) Erfinder von Tools, die den Cruyff'schen Spiel entgegenwirken sollen. Also allesamt seine Schüler.
Vergesst also alle anderen und ihre selbstgefällig aufgeblähten Biografien. Sie bedeuten nichts, was künftig bedeutend sein wird. Cruyff hingegen wird bleiben, solange die Bälle rollen.