Erstellt am: 27. 12. 2015 - 16:14 Uhr
#rewind2015: New Phone, who dis?
Rewind 2015
Der FM4 Jahresrückblick
"Hotline Bling" von Drake ist nicht der beste Song des Jahres gewesen, aber bekanntlich einer der Songs des Jahres. Nicht zuletzt, aber nicht ausschließlich aufgrund des dazugehörigen Musikvideos.
Mit seinem heuer erschienenen, für seine Verhältnisse recht aggressiven Album "If you're reading this, it's too late" wollte sich Drake ein wenig von seinem Image als dünnhäutigem Schmuserapper und Pulloverträger entfernen - der gekränkte Mimosensong "Hotline Bling", dann doch wiederum prototypisch und einer der besten im Werk des Drake, ist auf dem Album nicht enthalten.
Drake
"You used to call me on my cell phone"
Mit der Rückkehr zum "Soft Drake", der seiner Ex-Freundin nachweint, schafft der Rapper/Crooner aus Toronto den Meme-Rap-Hit der Saison. Auch der FM4 HipHop-Lesekreis kommt an "Hotline Bling" natürlich nicht vorbei.
Wenn die Hotline zweimal klingelt
Unsere Artist of the Week Erykah Badu hat ihre kreativen Superkräfte zurückgewonnen, sich auf dem Album "But You Caint Use My Phone" mit Producer Zach Witness richtig gut ausgetobt - und wir müssen ausgerechnet Drake dafür danken!
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Im minimalistischen, großzügig von den Lichtinstallationen des amerikanischen Künstlers James Turrell, nun ja, inspirierten Video lässt Drake die Coolness fahren, gibt sich verletzlich und geht weltvergessen in den ungelenksten Cool-Dad-Dance-Moves auf und ist so zum unerschöpflichen Meme-Generator des Jahres geworden.
"Hotline Bling" ist in musikalischer Hinsicht kaum mehr als ein aufpoliertes Update des Songs "Why Can't We Live Together" des R'n'B-Musikers Timmy Thomas aus dem Jahr 1972. Ein Song, der gezielt auf schlanke Instrumentierung setzt, einzig Hammond-Orgel und ein schäbiger Beat aus einer frühen Drum-Machine, und so die im Text transportierte Einsamkeit unterstreicht.
"Why Can't We Live Together" heißt es bei Timmy Thomas, bei Drake lautet die zentrale Frage: "Warum ruft mich niemand an?" Kommunikations- und Unterhaltungselektronik, Dauerkonnektivität, Überwachsungswahn und Phantomschmerz - aus der Koppelung der Möglichkeiten und Abhängigkeiten unserer schön blinkenden Gadgets mit den guten, alten Liebesdingen entsteht ein prickelndes, vielleicht gerade heute oder eventuell morgen noch betont "zeitgeistiges" Themengeflecht.
Drake vergleicht also sein Telefon mit einer Hotline - man kann sich vielleicht ausmalen, um welcherlei Art von Hotline es sich hier handeln könnte - und beweint, dass eine einstige Liebe sich nicht mehr bei ihm meldet. Früher war alles gut und purpurn, seit Drake zum Star aufgestiegen ist und die Heimatstadt verlassen hat, herrscht Funkstille, so der Sänger.
Die Verflossene sei nun eher dran interessiert, mit ihren Girls auf die Piste zu gehen und Champagner zu trinken. Da ist nun zwar klar die übliche Doppelmoral herauszulesen: Der Typ, der tolle Hengst, die Frau aber soll sich doch bitte mal lieber wieder etwas weniger aufreizend benehmen. Drake begibt sich in diesem Song aber eben deutlich in die Position der Schwäche, des Idioten, der sich eben gekränkt und geprügelt fühlen will und dabei bisweilen nicht nur die allernobelsten Gedanken denkt.
Dieses freiwillig ersehnte Suhlen in Selbstmitleid und Selbstherrlichkeit verschleiert Drake nicht, er gesteht die eigenen Unzulänglichkeiten ein und durchlebt sie mit dem Publikum. Auch deshalb ist "Hotline Bling" schon unzählige Male neugedeutet, gecovert und zum Allgemeingut geworden. Schmerzt es in der Brust und tut der Schädel weh vor Leidenschaft, dann kann es manchmal schon auch helfen so zu tanzen, als würde niemand zuschauen. Oder aber auch: Wenn schon scheiße tanzen, dann so, dass die ganze Welt es sieht.