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Simon Welebil

Abenteuer im Kopf, drinnen, draußen und im Netz

7. 12. 2015 - 16:36

Ausstieg aus dem Hamsterrad

Der Berliner Think-Tank "Haus Bartleby" sammelt in "Sag alles ab!" Plädoyers für die Karriereverweigerung und den lebenslangen Generalstreik.

Karriere-Ratgeber gibt es zu Hauf. Wie aber stellt man es an, einer Karriere zu entkommen und eine "Nicht-Karriere" zu machen, quasi ein Gegenentwurf zum immer-weiter, immer-höher kommen wollen, von dem einige schon die Nase voll haben?

Kapitalismustribunal

In einem vom Haus Bartleby initiierten Kapitalimustribunal soll in einem fairen Verfahren ein Umgang mit den Verbrechen des europäischen Kapitalismus gefunden werden.

Karriere? Nein, danke!

Wohlstand durch Lohnarbeit ist fake. In Berlin hat sich mit dem Haus Bartleby ein Zentrum für Karriereverweigerung gegründet.

An Expertisen auf diese Fragen arbeitet seit etwa einem Jahr das "Haus Bartleby", ein Think Tank, eine Lobby, oder wie es dessen GründerInnen nennen, eine "Loge" oder "Zentrum der Karriereverweigerung". Ihr Namensgeber, Herman Melvilles 150 Jahre alte Figur "Bartleby", dient ihnen dabei als Vorbild und Inspiration. Dieser Bartleby arbeitet in einer Anwaltskanzlei als Schreiber und muss dort Akten kopieren, was im 19. Jahrhundert noch abschreiben bedeutete.

Eines Tages beginnt er sich zu weigern, diese öde Arbeit weiter zu machen, indem er seinem Vorgesetzten ein enfaches "I would prefer not to", entgegenhält. Weder durch gutes Zureden, Vernunftappelle, Druck oder Drohungen lässt er sich von dieser Haltung abbringen und bleibt höflich standhaft. Bartleby protestiert nicht, er macht keinen Aufstand, er macht einfach gar nichts mehr und stirbt am Ende der Erzählung schießlich.

Die Gründer des Haus Bartleby, Alix Faßmann, Jörg Petzold und Anselm Lenz machen nun nicht "gar nichts" mehr, aber sie haben vielversprechende Karrieren im Journalismus, Theater- oder Kulturbetrieb hingeschmissen, um stattdessen Diskussionen zu veranstalten und Netzwerke zu bilden um schlussendlich an einem friedlichen Übergang der Zeitenwende zu arbeiten, riesiges Eigentum und Machtapparate durch etwas Feineres zu ersetzen.

"Ich möchte Teil einer Tugendabschwörung sein!"

Buchcover: Sag alles Ab!

Edition Nautilus

"Sag alles ab!", herausgegeben von Haus Bartleby ist in der Edition Nautilus erschienen.

Der Reader "Sag alles ab!" ist in diesem Projekt Bestandsaufnahme und Ausblick zugleich. Die HerausgeberInnen vom Haus Bartleby haben KollegInnen und MitstreiterInnen gefragt, Plädoyers für diesen Bartleby-Weg zu schreiben, also den "Ausstieg aus dem ewigen Hamsterrad des Schaffens", und die sind durchaus unterschiedlich ausgefallen.

Ein ehemaliger Mitarbeiter eines Job-Centers (dem deutschen Pendant zum AMS) berichtet etwa über die lähmende Angst seiner KundInnen, aber auch seiner MitarbeiterInnen vor Sanktionen. Die Wirtschafts- und Sozialhistorikerin Andrea Komlosy kritisiert, dass unbezahlte Arbeit gering geschätzt wird. Mehrfach wird das Bildungssystem kritisiert, das Druck erzeugt und uns nur für Zwecke der Wirtschaft ausbildet und manchmal geht es in eine komplett andere Richtung, wenn etwa die Literaturwissenschafterin Anne Waak eine Absage an seriell-monogame Beziehungen - als ebenso prekär und ausbeutend wie Erwerbsarbeit - erteilt. Als prominentester Autor stellt übrigens der ehemalige griechische Finanzminister Yanis Varoufakis seinen "bescheidenen Vorschlag" zur Lösung der akturellen Krise vor. Deichkind, TAPETE und Tocotronic liefern Songtexte.

"Wir wollen die Torte und dazu die ganze Konditorei"

So unterschiedlich die Zugänge der verschiedenen AutorInnen, so unterschiedlich auch die Qualität ihrer Beiträge. Manche Manifeste erscheinen platt und ein wenig naiv und erinnern an die Systemkritik von Roland Düringer, andere wiederum werfen interessante Fragen auf, weil sie auf eine Meta-Ebene gehen, wie die Betriebswirtin Elisabeth Voß, die vom Privileg spricht, überhaupt eine Karriere verweigern zu können, weil man dafür schon einen Status haben muss, den viele Ausgegrenzte überhaupt nie erreichen könnten.

In "Sag alles ab!" geht es vor allem darum, Probleme zu stellen und die richtigen Fragen zu stellen. Nicht alle AutorInnen glauben, dass die große Lösung, den Kapitalismus abzuschaffen, bald kommen wird, sie glauben nicht an einen Generalstreik oder die Revolution und setzen stattdessen auf eine kleine Verweigerung, etwa einfach mal das Handy abzuschalten oder die E-Mails nicht abzurufen. Vielen geht es um die Rückeroberung von Zeit, anderen wollen beweisen, dass die Verweigerung einer Karriere eine vernünftige Entscheidung sein kann. Es gibt jedenfalls Alternativen zur Karriere, was dieser Sammelband zeigt, doch bis der "lebenslange Generalstreik" genügend AnhängerInnen findet, werden wohl noch eine Menge Ideen geschmiedet werden können.