Erstellt am: 27. 9. 2015 - 15:31 Uhr
Die Musik hat’s doch gut mit uns gemeint
Es sind die ruhigen, langsamen und entspannten Lieder, die mich zurzeit berühren. In einer Welt, die immer schneller und komplizierter wird, in der die meisten nur mehr damit beschäftigt sind, sich um ihr Ego und ihre Arbeitsposition zu kümmern und dabei ständig in Konkurrenz mit ihrer Umwelt treten, begeben wir uns mit dieser Ausgabe der Soundparknacht auf die Spuren der Freude und Einfachheit. Das, was die meisten in jungen Jahren bewegt und genährt hat: Leidenschaft, Spaß und die Liebe zur Musik.
Musik forever
Einmal im Jahr zieht sich Ernst Tiefenthaler alias Ernesty International zurück in ein Häuschen am Land. Allein mit seinen Instrumenten und einem Computer entstehen dann Songs zwischen filigranem Singer/Songwriter Sound und hymnischem Indiepop. So auch bei seinem mittlerweile fünften Studioalbum „Whatever And Ever“. Die sehr vorsichtig gespielten, glöckchenhaften Gitarrenlinien am Anfang des Eröffungsstücks „Whatever Years Left“ und Ernsts wundervolles Timbre entführen uns in seine musikalische Welt, gespickt mit liebevollen Details, die mit viel Geschick zu einem dichten Klangteppich verwoben werden.

Ernst Tiefenthaler
- Das letzte Album "Ernesty IV" von Ernesty International und sein neues Werk sind auf dem Label EMG - Ernesty Music Group erscheinen.
Was da in zwei Wochen „Einsamkeit“ entstanden ist, wirkt dieses mal wieder sehr direkt, gewohnt selbstsicher und wie aus einem Guss. Wobei „Whatever And Ever“ das wahrscheinlich eklektischste Werk bisher ist. Während „Left Handed Serpent“ mit seinen kecken Backingvocals von Ernst und Wegbegleiterin Eloui einen zum Schmunzeln bringt und Erinnerungen an „Sgt. Pepper's Lonely Hearts Club Band“ entstehen lässt, ist das dritte Stück „Weight Of Light“ schon die erste große Überraschung des Albums. Ein über sieben Minuten langes, experimentelles Klangmonster, das sich aus einem krummtaktigen, genialen Gitarren-Loop heraus zu einem wilden Rocktrip entwickelt. Dafür braucht es nicht nur ein gutes Gespür für ein Arrangement, das die Spannung aufrechterhält, sondern auch Mut, sich und seiner Musik Zeit zu lassen. Es zahlt sich aus, sich ganz in diese fast schon drogige Nummer fallen zu lassen, die einen unglaublichen Groove entwickelt und deren herrlichen Orgelsounds die Ohren erfrischen.
Mit „Jesus On An Iron Cross“ schießt Ernesty International dann gleich ein reines Elektro-Stück nach. Die trockenen Beats einer alten Groove-Box und flirrende Synthie-Sounds ergeben mit Ernsts weicher Stimme eine spannende Mischung. Der Text dazu ist übrigens schon vor Jahrzehnten entstanden, als Ernst das Gefühl hatte, sein großer, jugendlicher Weltschmerz mache ihn zu einem perfekten, musikalischen Prediger. Eine – wie er im Interview meint – wahnwitzige Gedankenreise, die er heute selbst nicht mehr so ganz nachvollziehen kann.

Ernesty International
Ganz grundsätzlich geht es auf „Whatever And Ever“ wie so oft bei Ernesty International um den großen Wunsch und die unersättliche Sehnsucht, mit Menschen und seiner Umwelt eine innige Beziehung und Verbindung eingehen zu können. Und natürlich das ernüchternde Gefühl, dass man sich oft entfernt und „entfremdet“ fühlt, wie ein Astronaut aus einer anderen Welt, der die Geschehnisse unbeteiligt von außen beobachtet. Ein Astronaut, der als Symbol immer wieder auf den Covers von Ernesty International aufgetaucht ist. Diesmal sind es jedoch hundert verschiedene Objekte am Albumcover, die liebevoll arrangiert für die große musikalische Spielwiese von Ernst stehen könnten. Oder für die vielen Aspekte des Alltags, die sich in die Texte schleichen. Oder sie repräsentieren all unsere Erinnerungen und Erfahrungen, die uns als Menschen ausmachen.
Auch wenn der Titel „Whatever And Ever“ für Ernst selbst einen eher dunklen, hoffnungslosen Beigeschmack hat, ist dieses Album voller menschlicher Wärme und lässt uns an der Innenwelt und dem Prozess eines Musikers teilhaben, der beim Schreiben und Komponieren immer mehr zu sich selbst findet. Und das ist schon ein außergewöhnliches Geschenk.
Ganz im Hier und Jetzt
Ein weiteres Geschenk hat uns der Pianist, Sänger und Musiker Martin Klein gemacht. Nach seinem Album „Lass uns bleiben“ hat er sich erneut an den Konzertflügel gesetzt und in nur drei Stunden dreizehn Songs eingespielt, an denen er schon lange Zeit gearbeitet hat. Diese Momentaufnahme hat eine unglaubliche Magie, eine berührende Unmittelbarkeit, die man nur schwer in Worte fassen kann. Vielleicht ist es die Reduktion aufs Wesentliche, die seine Songs so kraftvoll werden lassen. Vielleicht sind es auch die poetischen Texte, die mit wenig Worten einen großen Effekt erzielen. Oder es sind die kleinen Alltagsbeobachtungen, die aus dem Herzen des Musikers zu sprechen scheinen und einen selbst genau dort treffen.

Martin Klein/Traumton Records
„In der Nachmittags-Sonne verfärbt sich
die Lacke der Tränen, ich frag’ mich,
wie alles so golden wird,
alles verzaubert wird,
Licht, das im Salzkristall bricht.“
(Martin Klein – „ In sich ruht die Welt“)
Da wären die wundervollen Bilder des Anfangsliedes „In sich ruht die Welt“, ein kontemplatives und melancholisches Stück über die kleinen Veränderung des Tages, die einen verzaubern und staunen lassen können. Über die Natur und die Dinge, die wir in unserem geschäftigen Leben kaum noch wahrnehmen. Auch wenn uns Martin in dem Titelsong „Das Leben hat’s doch gut mit uns gemeint“ auf eine Reise durch seine Stadt nimmt wird klar, dass dieser Mensch einen ganz besondern Blick auf die Welt hat. Selbst über skurrile Verbotsschilder wie „Wer Tauben füttert – füttert Ratten“ kann sich der Pianist und Sänger liebevoll wundern, während er den Rufen seiner Nachbarschaft lauscht, die im Freien Fußballschlachten auf den flimmernden Bildschirmen mitverfolgen. Gleichzeitig lädt uns diese wohlwollende Ballade dazu ein, innezuhalten und in der Hitze des Stadt uns auf die kleinen positiven Dinge des Lebens zu konzentrieren und hin und wieder unserer Phantasie freien Lauf zu lassen.
Martin Kleins Song "Das Leben hat's doch gut mit uns gemeint" umgesetzt mit Bandsound, auf der neuen Platte nur mit Klavier und Stimme zu hören.
Bei den Songs von Martin Klein schwingt manchmal sein trockener und oft überraschender Humor mit. Zum Beispiel bei dem vielleicht besten Stück des Albums, „Keine Overdubs“. Das hypnotische, loop-artige Stück kommt mit ganz wenig Harmoniewechsel aus, bedient sich der immer wiederkehrenden, gleichen Klavierlinie, die manchmal ein- manchmal mehrstimmig durch seinen schnellen, abgehackten Anschlag ein unglaubliches Tanzgefühl aufkommen lässt. Würde hier ein fetter Beat darunter liegen, würde sich „Keine Overdubs“ wohl zum neuen Clubhit entwickeln. Und wenn Martin darauf mit Lachen antwortet, „na dann habe ich es schon wieder verschissen“, wird klar, dass ihm Selbstironie nicht fremd ist. Denn eine akustische Tanznummer zu schreiben, die puristisch nur mit Klavier und Stimme auskommt, wo nichts im Nachhinein hinzugefügt und mit overdubs ausproduziert wird, ist ein cleveres Statement für sich.

Martin Klein/Traumton Records
“kein Hass
keine Trauer
kein Ressentiment
kein Maß
keine Schauer
nein, die kenn ich schon
...
kein Schneller
kein Höher
kein Silberschatz
kein Heller
kein Schöner
kein erster Platz
keine Overdubs“
(Martin Klein – „Keine Oberdubs“)
- Martin Klein präsentiert sein neues Album "Das Leben hat's doch gut mit uns gemeint" live am 08. Oktober im Radiocafe des Wiener Radiokulturhauses.
Die beinahe Gospel-artige Hymne „Zu weit“ beweist, dass Martin Klein einer der ganz großen Songschreiber ist. Ein Stück, dessen Refrain und Kern nur mit Summen und wortlosen Gesangslinien auskommt. Eine Qualität die mich dazu bringt, ihn als österreichischen Jeff Buckley zu preisen. Gleich im Anschluss daran zeigt Martin Klein mit dem Western-Märchen „Schwarzer Kaktus“, dass er auch ein gewitzter Geschichtenerzähler ist. Und mit "Doch ich weine nicht" und "Bleib noch ein paar Stunden hier" öffnet uns der oft etwas verschlossene Musiker schließlich seine Gefühlswelt und versetzt uns damit ganz ins Hier und Jetzt von Emotionen, die wir alle kennen.
„Das Leben hat’s doch gut mit uns gemeint“ ist ein beeindruckendes Musikdokument des Augenblicks, ein wichtiges und ermutigendes Album in Zeiten globalen und ganz individuellen Leidens, das uns die kleinen, schönen Dinge im Leben wieder vor Augen führen kann.
“Die Wirklichkeit verschmilzt mit
der Zeit und sie denkt nach,
durchbricht damit die Schutzschicht,
die im Verborgenen lag.
Aber was, wenn wir nur einmal richtig seh’n?“
(Martin Klein – „Nur einmal“)
FM4 Soundpark Sendungsfahrplan:
- Listening Session mit Ernesty International zu „Whatever And Ever“
- Neue Elektroniksongs aus dem FM4 Soundpark in the Mix
- Das neue Album „Nackerte Lieder“ von Raphael Sas in the Mix
- Das neue Album „For The Encore“ von Destroyed But Not Defeated in the Mix
- Listening Session mit Martin Klein zu „Das Leben hat’s doch gut mit uns gemeint“
Die FM4 Soundpark Sendung startet um 01:00 Uhr Sonntagnacht 27.09. und ist ab Montagmittag als stream on demand eine Woche lang anzuhören.