Erstellt am: 5. 6. 2015 - 14:43 Uhr
Metal Met Migräne
Rock in Vienna
Metal Met Migräne
Faith No More, Body Count ft. Ice T und Metallica am ersten Tag des Rock in Vienna Festivals.
"Wir liebn dick"
Durch die Nacht mit Muse, The Hives, Incubus am zweiten Tag des Rock in Vienna.
Rock in Vienna in Bildern
Ein visueller Festivalrückblick.
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Mein letzter Zweifel, dass die Bands des Rock in Vienna Line Ups in der gesellschaftlichen Mitte angekommen sind, beseitigen sich, als ich wahrscheinlich als einzig Stinkende und Unfrisierte in Richtung Veranstaltungsgelände wanke. Ich bin übernächtig. Schlaft ihr mal, wenn Haftbefehl und seine Crew in der gleichen Hoteletage wie ihr residiert und sich nicht mal die selbstgekrönte Göttin des Beschwerdeeinreichens, also ich, sich traut, an die Hoteltür zu klopfen und Maul halten zu brüllen. Aber das ist eine andere Geschichte und die soll euch nie und nimmer erzählt werden, nur so viel: Eure Berichterstatterin vom ersten Tag des Rock in Vienna fühlte sich schwach und fragil, als hätte sie einen Kampf verloren.
Ich hab vor nicht allzulanger Zeit an der Universität gelernt, dass Heavy Rock und Metal ein letztes Refugium für den auf Männerbünde und Bromance (No Homo, wie Moneyboy sagt) stehende Individuen ist.
Nicht so beim Rock in Vienna, 50 Prozent des Publikums besteht aus Damen. Auch Familien ziehen ein, die vorpubertäre Tochter, auf deren T-Shirt man Prinzessin Lillifee vermuten würde, trägt statt dessen ein nach Massenware aussehendes Kinder T-Shirt, auf dem die Zahlenkombination 666 prangt.
Ich schaffe es ohne Kreislaufkollaps vom Einlass zur Zwillingsbühne, aber mein Hirn ist gegrillt.
Das Gelände des Festivals ist gut strukturiert, dieser Teil der Donauinsel scheint mir für einen Massenansturm gewappnet.
Ich bin gewappnet für mein Rendezvous mit Roddy, Keyboarder und Gründungsmitglied von Faith No More. Mit Lederkappe und Batik T-Shirt sitzt er entspannt vor mir und aufgrund der warmen Temperaturen finden wir schnell heraus, dass wir beide ein großes Interesse an der Zucht von raren Tomatensorten haben.
Konsequenterweise sprechen wir auch in der ersten Hälfte des Interviews über Faith No More, als wäre die Band eine Pflanze. Faith No More ist gerade aus einem Winterschlaf erwacht, meint Roddy und fährt fort, mir Geschichten aus der Keimphase von Faith No More im San Franciso der 80er Jahre zu erzählen, als sie eine psychedelische Art School/Post Punk Band mit oft wechselnden Sängern und Sängerinnen waren. Dann kam Mike Patton und die riesigen Stadien, andere Kollegen und ein anderes Publikum. "Zu Hause in San Francisco hatte ich nie das Bedürfnisse, mich zu outen, aber als Faith No More plötzlich mit homophoben Machos auf Tour war, musste ich mich einfach outen, zu schön war der Gesichtsausdruck von Guns'n Roses nach meinem Outing."
Ob Faith No More eine politische Band ist will ich darauf hin von Roddy wissen. "Ja", meint er, "in diesem Kontext vor Metallica Fans auf einer weißen mit Blumen übersäten Bühne zu spielen das ist ein Statement."
Ich schwöre Roddy ewige Freundschaft, bezeuge meinen größten Respekt und geh hinaus, um Bodycount zu sehen. Ice-T und seine Metal G's um die fünfzig toben und schreien, als hätten sie die letzten 20 Jahre im Gefrierschlaf verbracht. Eigentlich wollte ich mit Ice-T nach der Show ein Interview führen. Als er aber die Typen im Publikum mit den Worten : "Stop growing a Vagina" zu mehr Aktivität auffordert, habe ich kein Bedürfnis mehr, mit Ice-T zu sprechen. Zurück ins Gefrierfach mit dir.
Ich pirsche mich an dem im Publikum stehenden Standard-Musikkritiker Karl Fluch heran und versuche, ihn während des Faith No More Konzert so zuzuquatschen, dass er sich nicht auf seine Beobachtungen konzentrieren kann.
"Hallo Fluch, findest du nicht auch, Mike Patton sieht aufgequollen und alt aus?" Usw. usf... Ich freue mich schon, im Standard nachzulesen, was er für einen Text trotz Brunner Terrör geschrieben hat.
Bevor Metallica anfängt, flüchte ich auf meine Couch und überlasse das Feld Hardcore Motherfucker (wie Ice-T sagen würde), die tougher sind als ich: Susi Ondrusova.
Hätte der geniale Schriftsteller David Foster Wallace nicht schon vor Jahrzehnten herausgefunden, dass das Stilmittel der Ironie nicht mehr Waffe der Subversion sein kann, weil es von Werbung und Privatfernsehen entdeckt wurde, würde ich sagen Faith No More erklommen in ihren Lederhosen, zwischen Plastikblumen Swingversionen von Midlife Crisis spielend, Gipfel der Ironie.
Im goldenen Sonnenlicht zu den Klängen von Easy spaziere ich entlang des Flusses nach Hause und überlege, ob ich mir Midlife Crisis auf den Arsch tätowieren lassen soll.