Standort: fm4.ORF.at / Meldung: "Das Ego im Wildledermantel"

Andreas Gstettner-Brugger

Vertieft sich gern in elektronische Popmusik, Indiegeschrammel, gute Bücher und österreichische Musik.

2. 3. 2015 - 02:50

Das Ego im Wildledermantel

Sie rechnen in Schilling und riechen gerne an Nelken, sie brachten die "Pest" ins Piemont und schockieren nun mit ihrem schicken Pop: Die österreichische Band Bilderbuch mausert sich zur Konsensband - und ist FM4 Artist Of The Week.

Bilderbuch Albumcover "Schick Schock"

Bilderbuch

"Schick Schock" ist auf Maschin Records erschienen.

2014 war ein Jahr wie aus dem Bilderbuch für die Band. Auch am Tag der Veröffentlichung von "Schick Schock", dem dritten Bilderbuch-Album, grinsen uns die vier Burschen von so mancher deutschsprachigen Musikzeitschrift und aus großen Artikeln in Tageszeitungen entgegen. Alle sind sich einig: Bilderbuch sind cool, sexy und überhaupt eine der besten deutschsprachigen Popbands derzeit. Dem kann man gar nichts entgegensetzen. Doch wie ist es so weit gekommen? Wie steht es jetzt um "Popstarattitüden" und musikalisches Credo? Und wie plakativ darf Musik sein? Fährt die Maschin' mit den oberösterreichischen Musikern auf und davon, oder sitzt die junge Band noch immer am Steuer ihres gelben "Lambortschinis"? Ist Bilderbuch-Sänger Maurice wirklich der bestgekleidete Musiker Österreichs?

Bilderbuch Bandportrait

Niko Ostermann

Die große österreichische Geste

Bilderbuch live

Bilderbuch sind demnächst in Österreich auf Tour:

  • Mittwoch, 11. März: Weekender, Innsbruck*
  • Donnerstag, 12. März.: Rockhouse, Salzburg *
  • Freitag, 13. März: PPC Orpheum, Graz*
  • Samstag, 14. März: Posthof, Linz*
  • Mittwoch, 1. April: Arena, Wien*
  • Donnerstag, 18. Juni: Open Air Arena, Wien
  • Samstag, 29. August: Nuke Festival
  • Samstag, 26. Dezember: Bezirkssporthalle Kremsmünster
  • Freitag, 8. Jänner: Orpheum Graz

* Konzerte sind bereits ausverkauft

Was von der Außenperspektive wie "das große neue Ding" wirkt - vor allem aus dem Blickwinkel unserer deutschsprachigen Nachbarn -, war hierzulande eine recht nachvollziehbare, wenn auch ein bisschen märchenhafte Entwicklung. Denn seien wir uns ehrlich, Bilderbuch haben sich schon vor zehn Jahren mit dem Vertonen von Märchen als gewitzt und clever erwiesen. Sowohl den frühjugendlichen Charme als auch die rotzfreche Wut haben die vier ehemaligen Klosterschüler mit ihrem Debüt "Nelken & Schillinge" in kratzende Rocksongs umgewandelt.

Doch schon zwei Jahre später zeigt die Band um Sänger Maurice "Coming of Age"-Anzeichen. Man gibt sich mit dem zweiten Werk "Die Pest in Piemont kantiger und beweist mit sperrigeren Songs viel Mut. Hie und da ist sogar ein wenig World Music herauszuhören. Auch wenn die Reaktionen nicht ganz so euphorisch ausfallen, bereitet das Album den Weg für den großen Paradigmenwechsel. Denn laut Maurice war das zweite Werk die "70er-Jahre-Progressive-Erfahrung" der Burschen, die im Proberaum "einfach irgendwas spielen und fließen" lassen. Doch für das dritte Album werden die Songs zu Hause, nicht im Proberaum geschrieben, denn Bilderbuch haben zu der Zeit gar keinen. Ihr Experimentierraum wird virtuell, der Computer die neue Inspirationsquelle, wobei durch noch unzureichendes Wissen der punkige Ansatz gewählt wird. Man bleibt hängen an coolen Sounds, sampelt sich selbst und bewahrt die Magie des "First Take", also der ersten aufgenommenen Tonspur.

Während des Prozesses wird immer klarer: Jetzt holen Bilderbuch zur großen Geste aus und wollen sich nicht mehr hinter der heimatlichen Gemütlichkeit, im Kämmerchen bescheiden herumzuwerken, verstecken. Das Ergebnis flasht nicht nur mittels goldener Leggins und marsmännchengrüner Haut. Die Single "Om" zum Beispiel besticht auch durch fette Produktion, deepe Hip-Hop-Beats und viel Soul. Trotzdem schaffen es Bilderbuch, all diese neuen Versatzstücke in ihre Soundwelt zu integrieren, ohne ihre Geschichte zu verleugnen.

"Ein Busserl für Beatsteaks-Fans"

Maurice ist es wichtig, dass bei allen Kanye-West- und Beyonce-Vergleichen, die durch die Medien schwirren, nicht übersehen wird, dass Bilderbuch eigentlich ausgezogen sind, um die E-Gitarre zu retten. Maurice dazu: "Ein Dogma der Platte war auch, die Gitarre zu retten. Der Mike ist ja ein Guitar-Hero. Wir wollten uns aus dieser Indie-Prozedur herauswinden und dazu stehen, dass wir Virtuosität besitzen und dass wir damit spielen können. Diesen dilettantistischen Ansatz, dass man sagt, was cool ist, muss auch irgendwie ein bisschen schlecht sein, wollten wir austauschen in: Es kann sehr gut gespielt sein und trotzdem dreckig."

Amadeus Awards

Bilderbuch haben für "Maschin" den FM4 Award 2014 gewonnen und sind heuer in zwei weiteren Kategorien nominiert: Song des Jahres (Spliff) und Band des Jahres.

Bei aller Liebe zum Pop-Credo, das sich im Fall von Bilderbuch bei allen Musikstilen bedienen darf und großen Wert auf Hörbarkeit legt, machen es einem die vier nicht nur einfach. Trotz des erfrischenden Beats von "Softdrink" kritisieren viele, der Song sei ein schamloser Werbetext, der lediglich verschiedene Hersteller sprudliger Zuckergetränke aufzuzählen vermag. Genau da fängt es für Maurice an, spannend zu werden. Denn die Kritik mag berechtigt sein, doch genau mit dieser Werbetextästhetik wird popartmäßig gespielt und ein neuer Kontext drumherum gebaut.

Dass manch einer dieses künstlerische Manöver nicht versteht, das bekommen Bilderbuch bei ihrer Supporttour für Beatsteaks zu spüren. "'Softdrink' auf der Bühne zu spielen war ungefähr so, als würdest du den Beatsteaks-Fans ein Bussale aufdrücken wollen. Das ist auch nicht so easy für die zu verkraften. Und das war auch immer der Moment, wo es an der Grenze war, dass das Konzert kippt", so Maurice. Wobei Gitarrist Mike erzählt, dass Hardcore-Fans, die jeden Abend in der gleichen Reihe bei vielen Konzerten der Beatsteaks-Tour stehen, beim vierten Mal schon den Text mitsingen. Auch wenn sie sich gegenüber ihrer Freundin ein wenig dafür schämen, dass Bilderbuch ihr "Guilty Pleasure" geworden ist. So etwas zu schaffen, das heißt schon was.

Die Band Bilderbuch im Bett

Daliah Spiegel

Mehr von Bilderbuch

Auto-Tune und Sexiness

Klarerweise sind Bilderbuch und ihre Musik jetzt die perfekte Projektionsfläche für eigene Träume, Wünsche und das Verlangen, wichtig zu sein. Aber das ist nicht unbedingt ein Verdienst von Bilderbuch, dessen sind sich Maurice und seine Kollegen bewusst. Schließlich funktioniert so der Pop an sich. So wird ein Song über die "Maschin" eines gelben Lamborghin zum popgewordenen Heiratsantrag. Und der Opener "Willkommen im Dschungel" verquickt gleich Textfragmente von Falco und Peter Cornelius mit einer Hommage an Sweet Child von Guns'n'Roses. Es kann aber auch keck mit bewusstseinserweiternden Musiksubstanzen gespielt werden, die einen plötzlich in die frühen 80er Jahre in Deutschland (Spliff) versetzen.

Bilderbuch Albumcover "Schick Schock"

Bilderbuch

Und dann wäre da noch die verschmitzte Neuinterpretation von Barry Manilows "Copacabana", laut Maurcie ein Song, der wie ein kleines Musical über das Showbusiness und seine Abgründe funktioniert. In der Version von Bilderbuch, die schlicht "Barry Manilow" heißt, wird mittels Auto-Tune über coole Beats und schmalzige Brian-May-Gitarren gelallt. Doch bei diesem Stück mussten sich selbst die Stil- und Geschmacksmauern einreißenden Bilderbuch erst "drübertrauen".

Es geht nur mit genügend Selbstbewusstsein, dass die Band es schafft, jede Idee - wie plakativ sie auch sein möge - auf ihre Seite zu ziehen und einen richtigen Bilderbuch-Song daraus zu machen. Das Witzige bei alldem ist, dass Bilderbuch noch immer das machen, was sie schon seit zehn Jahren machen - nämlich gute Songs schreiben, Spaß an ihrer Musik haben und sich selbst nicht allzu ernst zu nehmen. Mit Mut und Entspanntheit, mit offenem Kopf und Herzen können die Jungs Sexiness ohne Sexismus verbreiten, können sich zu neuen Helden des Autropop machen, ohne überheblich zu wirken, können charmantes Augenzwinkern mit glanzvollem Sound und Virtuosität verbinden, ohne überkandidelt zu klingen.

Der Erfolg und die ausverkauften März-Termine ihrer Tour geben ihnen recht. Und so ist - wie Maurice in einem Interview meint - sein Ego endlich groß genug, um den schwarzen Wildledermantel zu tragen, den ihm eine gute Freundin vor Jahren geschenkt hat. Nicht umsonst ist der Bilderbuch-Sänger vom deutschen "GQ"-Magazin zum bestgekleideten Österreicher gewählt worden, was ja fast so schön war, wie den FM4 Award zu bekommen.

Was aber hat der ganze Starrummel für die vier Musiker verändert? Darauf meint Gitarrist Mike trocken: "Maurice glaubt jetzt, dass er alles anziehen kann und es schaut cool aus." Wenn das nicht Bilderbände spricht.