Erstellt am: 26. 10. 2009 - 15:33 Uhr
Schwingt eure Beine, Babies!
Nikolaus Ostermann
Eine weiße Weste zu haben mag im Musikbusiness zwar nicht der große Bringer sein, bei der Band Bilderbuch ist es jedoch genau der perfekte Anknüpfungspunkt. Denn was könnte auf den ersten Blick wohl unschuldiger wirken, als vier junge Klosterschüler? Doch haben sie erst ihre Schillinge in die Hosentasche und die Nelke ans Revers gesteckt, dann hält sie nichts mehr. Dann wird in die Gitarren geschlagen, aufs Schlagzeug eingedroschen, aus vollem Hals geschrien und der musikalische Wutausbruch mit frechen Parolen zelebriert. Eine Mischung, die ihres Gleichen sucht.
Vom Märchen zur Parole
Maurice, Peter, Mike und Fö sind anders. Zwar wirken sie wie die netten Jungs von Nebenan, doch in ihnen steckt mehr, als der erste Eindruck erwarten lässt. Schon die erste Single Calypso fegt wie ein Wirbelsturm über die österreichische Musiklandschaft und entwurzelt so manchen Vorurteilsbaum. Deutschsprachiger Rock von Teenagern? Da bekommen die meisten nicht nur Gänsehaupt, sondern gleich einen saftigen Ausschlag am ganzen Körper. Doch die Art und Weise, wie Bilderbuch über Tiger in leeren Räumen und Schlange im Kopf und Bett halluzinieren, klingt erfrischend und sehr gewitzt.
Der Weg dorthin war weder lang, noch verschlungen. Um sich von anderen Bands abzugrenzen, haben die vier Oberösterreicher nicht nur beschlossen, Deutsch zu singen, sondern Märchen zu vertonen. Über was soll man mit sechzehn Jahren sonst schon singen, ohne altklug oder peinlich zu klingen. Außerdem will man keine Partymucke ala Ärzte oder pickelige Schmusesongs schreiben. So haben sich Bilderbuch vor ungefähr vier Jahren dem Struwlpeter angenommen und ihn vertont. Akustische Dokumente von dieser Zeit gibt es jedoch keine mehr. Und wenn, dann werden sie unter Verschluss gehalten.
Bilderbuch
Denn bis 2009 hat es der rockige Vierer geschafft, mit dem Debüt „Nelken & Schillinge“ einen unverwechselbaren und eigenen Stil zu kreieren. Statt märchenhaften Zeilen werden schräge Bilder erzeugt, indem alltägliche Wörter in unüblichen Kombinationen auftauchen. Da wird zum Beispiel Joghurt auf die Bluse gekleckert und das ganze in den Kontext einer Disconacht gestellt. Die Assoziationen dazu reichen vom peinlichen Missgeschick bis zur sexuellen Phantasie. Und so sieht jeder seine eigenen Bilder, wenn er das lärmige Buch der Oberösterreicher aufschlägt.
Rock aus dem FF
Oft ist es genau dieser parolenartige Gesang, der zwischen gesprochener Zurückhaltung und wütender Exaltiertheit hin und her springt, der an die alte NDW denken lässt. Für Maurice, Peter, Mike und Fö sind die musikalischen Referenzen jedoch andere. So tauchen in den Dankeszeilen des CD-Büchleins die vier Beatles auf, denen man schließlich das gesamte Popwissen verdankt, sowie Pete Townshend und Keith Moon, oder aber auch Herr Julian Casablancas.
Eine weitere, unüberhörbare musikalische Liebelei ist die zu Franz Ferdinand. Denn wenn in „Dicokugel“ die Mädchen ihre Beine schwingen, dann klingt es so, als hätte Paul Thomson hundertfünfzig Espressi intus. Die schweißtreibende Rhythmik der Bilderbuch Songs geht Hand in Hand mit herrlich verspielten Rockklischees. Das quietschende und schrille Soli darf da ebenso wenig fehlen, wie der ohrwurmige Mitgrölpart.
Bilderbuch
Zudem hat das Produzententeam Zebo Adam, Manfred Franzmeier und Alex Tomann ganze Arbeit geleistet, die Energie der Liveauftritte auch im Studio zu bündeln. Ausgewogen und druckvoll wirken die Nummern, wie aus einem Guss, auch wenn sie über die letzten drei Jahre entstanden sind.
Viel Schall statt Rauch
Egal, ob einem der Kopf abgebissen wird, man bemerkt, dass man seine Beziehung nur auf Sand gebaut hat oder ob man das Privileg hat, ein Märtyrer zu sein, auch wenn man eigentlich nur die Göttin im Tennisröckchen anhimmelt, auf „Nelken & Schillinge“ schenken Bilderbuch nicht nur uns ein freches Lächeln, sondern witzeln auch über sich selbst.
Kennst du die Band. Ich kenn sie auch.
Gestern noch Schall. Heute schon Rauch.
(Bilderbuch, „Tobias Kontrolle“)
Das dieses Schicksal auch die vier jungen Musikern ereilen wird, ist sehr unwahrscheinlich. Zu gewieft, zu clever, zu Energiegeladen, zu trotzig, zu wahnsinnsverliebt, zu eigensinnig ist diese Band, als dass sie sich in einen atomar formlosen Zustand verwandeln könnte.
Liebe ist Wasser.
Und trotzdem bin ich durstig.
(Bilderbuch, „Nelken & Schillinge“)
Und wenn der Durst nicht versiegt, dann werden wir noch öfter befremdlich schöne Parolen um die Ohren geschlagen bekommen.
Du bist die Definition von Gut aussehen,
du willst definitiv mit mir ausgehen.
Du bringst Rotation in mein Leben,
du bist die Brotration nach der ich strebe.
(Bilderbuch, Discokugel“)