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Andreas Födinger

tourt(e) mit Bilderbuch, Beth Edges, Farewell Dear Ghost, Gerard uvm. durch die Länder, trifft dabei hochinteressante MusikerInnen

12. 12. 2014 - 13:31

Subversive Romantik und der Libertatia-Pirat

Andreas Spechtl, Texter der Gruppe Ja, Panik, über seine Lyrik, seine Arbeitsweise und die Ästhetik der Reproduzierbarkeit.

Seit jeher war für mich der Spechtl eine höchst interessante, höchst unnahbare Person im österreichischen Musikzirkus. Egal welche Backstage-Begegnung ich auch mit ihm hatte, so richtig ins Gespräch kamen wir nie. Das lag vermutlich an der dem Sturm und Drang geschuldeten Jugendphase, die mich und meine Bandkollegen des Öfteren in unkontrollierbare proletenartige Gröl-Orgien flüchten ließen und gleichzeitig jede Person eines äußeren Zirkels damit brutalst abstießen.

Jetzt können Sie sich vorstellen, liebe LeserInnen, dass mein Respekt vor dem Herrn Spechtl naturgemäß ein großer ist: Nicht nur wegen der großartigen Texte und Hits, die ich häufig dazu nutzte, auf einer Party die feiernden Stumpfgesellschaft zu mokkieren und ihnen metaphorisch mit Alles hin, hin, hin oder Marathon ein großes "Fuck you" mit einer Kanone ins Gesicht zu blasen. Funktioniert hat's aber eh nie, die Partymeute war spätestens beim Ach verdammt! wild am Luftgitarre spielen.

Andreas Spechtl im Radiocafè.

Andreas Födinger

Ballad of a Thin Man

Nein nein, die Eigenschaft, die mich vor dem Treffen mit dem Andreas ein bisserl nervös werden lässt, ist seine Aura. Die Aura, an der sich Stermann und Grissemann die Zähne nicht nur ausbissen, sondern förmlich herausprügeln ließen. Die Aura, die selbst dem Berliner Tatortteam Ritter und Stark das Gebein frieren lässt und sie mundtot macht: Siehe hier.

Wie soll ich mit einem, der vermutlich mehr Adorno-Werke in seinem Bücherregal stehen hat, als ich Avicii-Tracks auf meinem neuen iPhone 75C mit 240 Gigabyte, über seine Texte reden? Wird er mich für voll nehmen, wenn ich ihm verrate, dass ich Katy Perrys Firework für ein lyrisches Meisterwerk halte?

Für mich waren Ja, Panik immer so, als würden Oscar Wilde und Dylan Thomas gemeinsam, besoffen in einer japanischen Karaoke-Bar im siebenten Wiener Gemeindebezirk, inbrünstig John Lennons I Am The Walrus schmettern. Subversive Romantik sozusagen, immer die richtige Mischung aus energetischer Destruktivität und massenkompatibler Melodien. I Am The Walrus ist irgendwie das, was für mich Ja, Panik ausmacht. Ein super-smashiger erfolgreicher Hit, aber trotzdem so artsy, dass er sowohl in der Welt des Pop und der Kommerz als auch in der Welt des Kunst und des Diskurses seine Berechtigung hat und höchstrelevant bleibt. Ja, Panik wandern zwischen dieses zwei Dichotomien. Wie Oscar Wilde und Dylan Thomas. Mit einer Flasche Schnaps in der linken Hand.

Libertatia Albumcover

Ja, Panik

Libertatia erreichte Platz 8 der österreichischen und Platz 32 der deutschen Albumcharts

Die Kunst der Reproduzierbarkeit

Nun denn, liebe LeserInnen, alle unterwürfigen Sorgen können Sie aber hiermit über Bord werfen. Ich treffe einen aufgeschlossenen, redefreudigen Menschen, der wirklich Spannendes über Schreibprozesse und der Rezeption von Kunst zu sagen hat.

Von Katy Perry muss ich gar nicht anfangen, Andreas legt mir seine Einflüsse freiwillig offen: Seien es nächtelange Gespräche mit Bandkollegen, eine gezielte Reise in ein fernes Land mit dem Anspruch an sich selbst, dort auch wirklich produktiv zu sein und nicht dem profanen Urlaubhabens zu fröhnen, oder horizonterweiternde Lektüre bedeutender Figuren wie beispielsweise Walter Benjamin.

Der deutsche Philosoph, der unter anderem als Übersetzer für Charles Baudelaire oder Marcel Proust den Originaltexten in seinen Übersetzungen eine eigene Poetik gab, sei mit seinem Prinzip, Kunst reproduzierbar zu sehen und jede technische Reproduktion, zum Beispiel eines Konzerts in eine Schallplattenaufnahme, als positive Entwertung des Originals zu verstehen, einer der größten äußeren Einflüsse auf Andreas Spechtls lyrische Arbeit.

Andreas zitiert wie ein wildgewordener Vogel in einem Hühnerstall drauf los und lenkt seinen eigenen Fokus immer höchst bewusst auf neue Arbeitstechniken oder neue Sprachen. Bei der Arbeit zu den Texten von The Angst & The Money tapezierte er seine Berliner Wohnung mit großen FlipCharts-Zetteln, wobei jeder Zettel einen eigenen Song repräsentierte. Zeilen, die er für gut befand, wurden dann da drauf geschrieben. Jedoch beliebte er, willkürlich von einem Zettel zum nächsten zu gehen und daher viele Ideen über mehrere verschiedene Songs auszuarbeiten.


Wo wir sind ist immer Libertatia, worldwide befreit von jeder Nation. One world. One love. Libertatia.

One Love

Generell, das Prinzip des Konzepts oder einer singularen, alles untergeordneten Idee ist eine beliebte Arbeitsweise. Bei Libertatia's Vorgängerwerk, DMD KIU LIDT (Die Manifestation des Kapitalismus in unserem Leben ist die Traurigkeit), ist die große Idee eine apokalyptische gewesen: "Mehr Abgesang als auf DMD KIU LIDT geht nicht". Das Album sei textlich eine absolute Weigerung gegen alle Dinge, die ihm wertvoll erschienen. Libertatia, das aktuelle Album der Gruppe Ja, Panik, markiert hingegen eine Abkehr dieser selbstzerstörerischen Apokalypse und reflektiert die Ausrichtung seines eigenen Lebens: "Wie kann man Leben als Opposition begreifen, wenn man nur Hass und Dagegensein anzubieten hat?".

Libertatia wohnt also ein eigener adoleszenter Drive inne, ein zwar "nicht unbedingt versöhnlicher", dennoch ein Drive hin zu Punkten, die das Leben lebenswert machen. Diese einzufordern und auch zu bewahren sind Hauptideen des Werks Libertatia.

Die Merkel an Tagen wie diesen

Bei aller Abkehr vom Hass gegenüber dem Leben ist Spechtl aber eines an seiner Kunst am wichtigsten: "Kunst ist ein gesellschaftliches Abbild, alles, jedes Auftreten, Outfit, jedes Lied ist politisch". Selbst der Toten-Hosen-Kracher Tage wie diese sei ein politisches Lied. Eines, welches unreflektiert das Leben im Moment feiert. Eines, welches selbst Altkanzlerin Merkel bei einer CDU-Veranstaltung über die Lippen läuft: "Wenn die Merkel ein Lied von mir trällern sollte, dann hab ich was falsch gemacht". Da haben wir dann wieder diesen einen I Am The Walrus-Moment. Die Schnittstelle zwischen Pop und Kunst, Kommerz und Diskurs.