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Andreas Födinger

tourt(e) mit Bilderbuch, Beth Edges, Farewell Dear Ghost, Gerard uvm. durch die Länder, trifft dabei hochinteressante MusikerInnen

28. 11. 2014 - 10:55

Den Thron beobachten

Der höchst erfolgreiche österreichische Rapper Gerard über die Kunst, Wahrheiten in Slogans zu verwandeln.

Gerard spaziert durch Wien.

Andreas Födinger

Der Wiener Rapper Gerard arbeitet an einem neuen Album, welches 2015 erscheinen soll.

Liebste/r LeserIn, jetzt haben wir neulich derart Interessantes und Bahnbrechendes vom einzig wahren Champion über seine literarische Arbeit erfahren (nachzulesen hier), dass es nun allerhöchste Eisenbahn ist, einem Künstler auf die textliche Schliche zu kommen, der derart wahrhaftige Sprüche so pointiert zu Papier bringt, dass ich sie mir beinhart unter die Haut meiner blank rasierten Hühnerbrust schreiben lassen würde.

Ich wär allerdings nicht der erste, der mit einem Gerard-Zitat in irreversibler Tinte unter der Epidermis durch die Welt stolziert, sondern nur ein weiterer unter vielen Jüngern des jungen zugereisten Wiener Rappers. Siehe Gerards Instagram-Account.

Wie aber arbeitet der Künstler, der Wahrheiten in den Orbit schießt, als wär' es die einfachste Übung der Welt? Was denkt er sich, während er just in dieser Zeit an den Texten seines neuen Albums - das 2015 erscheinen wird - schreibt? Hat auch ein solcher einmal eine Schreibblockade? Weiß er mittlerweile, wie Liebe aussieht oder wie eigentlich "angezündeter Regen" riecht? Fragen über Fragen, die ich in einem Gespräch herauszufinden versuchte und die in den folgenden Zeilen größtenteils beantwortet werden.

Gerard spaziert durch Wien.

Andreas Födinger

Zuallererst darf ich, nicht ohne einen Anflug von grinsendem Stolz, anfügen, dass mir der Gerard kein Unbekannter ist. Als nunmehriger Schlagzeug-Substi Nummer 1 hab ich diverse Proben und Gigs mit ihm hinter mir, die allesamt in angeregten Kanye West-Diskursen mündeten und meist um 5 Uhr früh mit der Conclusio über die unmenschliche Pionierhaftigkeit dieses amerikanischen Entrepreneurs endeten.

Parole vs. Geschichte

Diesmal ist es allerdings anders: Ich sitze in dem stadtbekannten Cafè mit dem roten O und schwadroniere mit Gerard über zwei konzeptionelle Herangehensweisen an Texte und Geschichten, die er über die Beats seiner Produzenten rappt: Da gäbe es Statements, Parolen und Gefühlsbeschreibungen auf der einen Seite, narrative Geschichten mit spitzzüngigen Kommentaren auf der anderen. Gerard meint, er bedient sich beider Konzepte. Während Texte wie Alles Jetzt oder Gold eher parolenartig aus motivierenden Leitsprüchen und Lebensanleitungen bestehen, so haut er beispielsweise in Manchmal seinen inneren John Irving aufs Papier.

Da sind wir dann auch gleich wieder bei einem wichtigen Thema: der Literatur. Ein großes Ziel in seinem künstlerischen Leben sei es, ein Buch zu schreiben. Aber keine Kurzgeschichtensammlung oder ein Notizbüchlein, sondern einen in sich geschlossenen Roman, in dem er seine durchaus humoristische Seite ausleben kann und darf. Eben jene humoristische Seite, die er in Musiktexten unterdrückt und gar nicht zulässt: "Viele Leute, die mich über meine Texte kennen, wissen gar nicht, dass ich eigentlich privat ein lustiger Mensch bin". Das rühre daher, dass er die essenzielle Existenzgrundlage lustiger Musik generell anzweifle.

Dass Gerard einen wundervollen Roman schreiben würde, davon bin ich überzeugt. Davon, dass es lange dauern könne, allerdings auch: "Ich sehe immer das große Ganze, immer das Ergebnis, nie die Zwischenschritte", meint er. Die Etappensiege ergeben sich von selbst, solang man das Ziel im Kopf hat.

Albumcover Gerard "Blausicht"

Kidizin Sane

Das Erfolgsalbum "Blausicht" schafft es 2013 auf Platz 11 der österreichischen und auf Platz 27 der deutschen Albumcharts.

Die Vision von Kanye West

Angesprochen auf das große Ziel neues Album, reagiert Gerard erst mal zurückhaltend und wähnt sich in wiederkehrenden, zyklischen Ups and Downs. Allerdings reagiert er auf das momentane Down mittlerweile entspannter als noch vor dem im letzten Jahr erschienenen Album Blausicht: "Ich bin beim Texte Schreiben viel relaxter als früher - weit weniger Stress". Die eine zündende Idee kommt bei jedem Song, wenn nicht heute, dann nächste Woche. Und wenn nicht nächste Woche, dann übernächste Woche. Aber Gerard weiß mittlerweile, dass sie kommen wird. Und er nimmt sich die Zeit, die die Idee ihm abverlangt.

Mit diesen Sätzen, mit denen Gerard mir das Texten seines neuen Albums erklärt, wird mir bewusst, dass dieser Mann viel von seiner Inspiration aus Schwingungen erhält. Esoterisch ist vermutlich ein zu behaftetes Wort, spirituell geht in eine falsche, celestiale Richtung, aber irgendetwas an Gerards Arbeitsweise verrät uns, den lieben LeserInnen und mir, dass er bestimmte Vibes aufgreift, sie beschreibt und kommentiert, bis sie für ihn am Papier eine Richtigkeit bekommen.

Ich stell mir in dem Moment Gerard als hustenden Bob Marley verkleidet vor, wache aber rasch aus dem Alptraum auf und erkenne vielmehr Kanye West in Gerards Vision. Er geht befreiter und selbstbewusster als früher ans Texten ran, auch wenn ihn der berechtigte Größenwahn Marke Kanye noch nicht ganz umgibt.


"Manchmal kommt alles ganz anders als man denkt. Manchmal ist dieses anders auch gut. Denn manchmal bist dieses anders auch du."

Die Kunst, Realität zu konstruieren

Überhaupt: die Worte, die Gerard auswählt, um die Kunst des Textens zu beschreiben, sind bedacht und höchst literarisch. Als wir nämlich über den Text zu Manchmal, ursprünglich als Kapitel eines Buches von ihm gedacht, philosophieren, spricht er wichtige Anhaltspunkte für zukünftige (Song-)Schreibversuche von kreativen LeserInnen unter uns: "Du kannst die Realität nicht in drei Minuten wiedergeben. Du kannst sie nur konstruieren". Im konkreten Fall des Liedes Manchmal ist es so, dass Gerard eine begrenzte, autobiographisch angehauchte Geschichte einer Begegnung erzählt, das Ende aber vollkommen offen lässt. Er spinnt sich in seinen Texten seine eigene Welt, seine eigene Geschichte. Völlig egal, wie viel davon auch tatsächlich geschehen ist.

Wie man den perfekten Text oder die perfekte Zeile hinbekommt, kann er mir an diesem Abend leider nicht sagen: "Musik ist ein Gefühl; du kannst Gefühle nicht planen, nicht wissen, wann sie kommen, wie sie aussehen".

Gefühle nicht, Gerard. Aber mittlerweile glaube ich, dass du genau weißt, wie zumindest Liebe aussieht. Und jetzt geh ich und lass mich tätowieren.