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14. 11. 2014 - 18:04

Der Banksy von Donezk

Durch seine Straßenbilder geriet Sergej Sacharow in die Fänge der Separatisten. Ein Höllentrip.

von Simone Brunner

Als auf der einen Seite immer mehr Menschen aus Donezk flüchteten, wurden sie auf der anderen immer mehr: Skelette, Clowns, Zombies, in Camouflage, Latzhosen und Sturmhauben. Die Innenstadt von Donezk wurde mehr und mehr von skurrilen Figuren bevölkert: lebensgroß, aus Spanplatten ausgesägt, an den Straßenecken, Hauswänden und Zäunen, zwischen Werbeplakaten montiert. Unheimliche Trash-Figuren mit Kalaschnikows, Raketenwerfern, diabolischem Blick und fletschenden Zähnen.

Als die Separatisten in der ostukrainischen Stadt Donezk das Kommando übernahmen, wurde der Maler Sergej Sacharow zum Straßenkünstler. "Das war einfach die schnellste Möglichkeit, auf die Vorgänge zu reagieren - und so viele Menschen wie möglich zu erreichen", sagt Sacharow. Da Graffitis zu zeitaufwändig waren, malte Sacharow seine Motive auf leichte Holzplatten. In Guerilla-Aktionen rückte er mit einem Fotografen aus, um die Bilder in der Stadt aufzuhängen.

An einem sonnigen Sommertag prangte dann ein Bild des Separatistenführers "Strelkow" an der Wand eines Kinos. Geschlossene Augen, eine Pistole an der Schläfe, der Spruch "Just do it" darunter. Es ist Sacharows bekanntestes, aber wohl auch gefährlichstes und folgenreichstes Bild. "Ich habe eigentlich gedacht, sie hätten Besseres zu tun, als mir nachzujagen", sagt Sacharow heute. "Sie führen immerhin einen Krieg." Wenige Tage später wurde er von den Sicherheitskräften der selbsternannten "Donezker Volksrepublik" verhaftet - wegen "anti-staatlicher Propaganda", wie er später erfuhr.

Sergej Sacharow

Simone Brunner

Heute sitzt er in einem Kiewer Cafe. Seitenscheitel, brauner Pulli und Sneakers. Mit freundlichem Blick, aber sichtlich gezeichnet. Das Gesicht des 47-Jährigen ist zerfurcht von Narben. "Ich glaube, dass sie mir schon beim ersten Verhör die Rippen gebrochen haben", sagt er fast lakonisch. "Aber ich lebe noch und bin gesund. Das ist das Wichtigste."

Was in den nächsten Wochen folgte, grenzt selbst für Zuhörer ans Unerträgliche. Sacharow wurde verhört, gefoltert und in den Keller eines Amtsgebäudes geworfen. "Als ich zum Verhör in das Zimmer kam und dort die Blutflecken an der Wand sah, war für mich schon klar, was auf mich zukommt." Zwei Männer schlugen mit Schlagstöcken auf ihn ein. Dass Sacharow die Bilder aus eigenem Antrieb gemalt und aufgehängt hatte, wollten sie einfach nicht glauben. "Wer hat dich bezahlt? Wer hat dich engagiert?" Eine Frau - ihrem Akzent nach Russin, sagt Sacharow - habe ihn danach in ein anderes Zimmer gebracht. "Sie streckte mir ihr Sturmgewehr in den Nacken und fragte mich: 'Na, was denkt sich der Mensch so kurz vor dem Sterben?' Darauf habe ich gesagt: 'Da müssen Sie Dostojewski lesen.'"

Die Folter und die inszenierten Hinrichtungen wurden zum Alltag in den nächsten Wochen. Sacharow wurde auf ein Militärgelände außerhalb der Stadt gebracht. Dort wurde es noch schlimmer. "Sie haben mich und einen zweiten Gefangenen in einen kleinen Verschlag eines Militärfahrzeuges gesteckt. Da drinnen war es so eng und stickig, dass wir immer wieder das Bewusstsein verloren haben. Das war die allerschlimmste Folter." Bei den Verhören wurden sie auch immer wieder ins Gesicht geschlagen. "Ich war eine einzige Fleischmasse."

Als einer der Kommandanten seinen Geburtstag feierte, wurde wieder eine Hinrichtung inszeniert. Ein Kommandant hielt ihm die Pistole an die Schläfe - wie auf dem Bild, das wenige Wochen zuvor auf der Hauswand eines Kinos hing. "Das war viel schlimmer, weil die alle betrunken waren", sagt Sacharow. Einmal wurde Sacharow auch zu einer Bergehalde gebracht, "wo die Erschossenen begraben liegen", hätten die Wärter gesagt. "Wir werden euch jetzt erschießen", sagten sie zu Sacharow und anderen Gefangenen. Doch sie blieben am Leben.

Seine Profession sollte Sacharow aber dann doch noch retten. Eines Tages machten sich einige Männer daran, einen Kleinbus mit Tarnfarben anzumalen. "Hey du - du bist doch Maler, nicht?" sei er da von einem Separatisten angeredet worden. Also machte sich Sacharow ans Werk. Am Abend drückten ihm die Wärter ein frisches Hemd und fünf Hrywnja in die Hand - für die Heimreise.

Porträtfoto Simone Brunner

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Doch damit war die Sache immer noch nicht erledigt. Als Sacharow in Donezk zum Amtsgebäude ging, um seine Dokumente abzuholen, fuhr ihn der Wärter an: "Was zum Teufel machst du denn hier?" Er wurde wieder in den Keller gesperrt. Nach weiteren zwei Wochen kam er dann aber endlich frei.

Die Separatisten haben zwar sein Leben verschont, aber seine bisherige künstlerische Existenz zerstört. Sie haben sein Atelier, seinen Computer und all seine Kunstwerke beschlagnahmt. Die Bilder an den Hauswänden und Straßenecken hingen meist nicht länger als ein paar Stunden. "Die haben sicher schon eine richtige Kollektion von mir", sagt Sacharow und lacht verhalten. Es ist Galgenhumor. Sacharow ist nach Kiew geflüchtet und steht - wie so viele andere Flüchtlinge - vor dem Nichts. Das US-Magazin "Esquire" hat ihn nun beauftragt, seine Erlebnisse in Illustrationen festzuhalten. Das hilft Sacharow, das Geschehene zu verarbeiten. Und wieder neu anzufangen.

Das erste Bild, das Sacharow auf den Straßen von Donezk montierte, ist eine Anspielung auf einen Literatur-Klassiker: Es zeigt "Scharikow", den Helden aus "Hundeherz" des russischen Schriftstellers Michail Bulgakow. Die Erzählung spielt in den Anfangsjahren der Sowjetunion und erzählt in beißendem Spott von der primitiven Brutalität der Sowjets. Halb Hund, halb Gangster, so sah Bulgakow den "neuen sowjetischen Menschen". Den Hundemensch anno 2014 hat Sacharow dagegen mit schwerem Geschütz gemalt: mit Kalaschnikow und Raketenwerfer, auf der Brust die Flagge von "Noworossia", "Neurussland", der Traum der Separatisten. Auch das Werk des russischen Schriftstellers Bulgakow wurde zu seinen Lebzeiten verfolgt. Die Erzählung "Hundeherz" konnte erst knapp 50 Jahre später in der Sowjetunion erscheinen. Zumindest im Terror gegen andersdenkende Künstler stehen die Separatisten den Sowjets in nichts nach.