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7. 3. 2014 - 15:31

Sendung mit den Partisanen

„Belsat“ ist der einzige TV-Sender, der in Belarus regelmäßig über den Umsturz in der Ukraine berichtet. Porträt eines Underground-Senders.

Porträtfoto Simone Brunner

lowfidelity HEAVY INDUSTRIES

Simone Brunner ist freie Journalistin in Wien und Osteuropa.

von Simone Brunner

Es ist bereits die vierte Wohnung, in die die Redaktion seit ihrem Bestehen umgezogen ist. Oder schon die fünfte? So genau weiß das Michas Jantschuk gar nicht mehr. Bei diesem Katz-und-Maus-Spiel mit den Behörden verliert auch er manchmal den Überblick. Er sitzt in einer Zwei-Zimmer-Wohnung, vollgestopft mit Kabeln, Laptops und Fernsehkameras. Das Badezimmer ist mit schweren Filzdecken verhangen, in der Mitte steht ein Mikrofon. Michas lacht: Willkommen im Newsroom von Belsat, dem ersten unabhängigen Fernsehsender Belarus‘!

Es ist zwei Uhr Nachmittag in der belarussischen Hauptstadt Minsk. Schön langsam trudeln die ersten Redakteure von ihren Tagesterminen ein. Kameramann Ales packt hingegen gerade seine Koffer. Reiseziel ist der Maidan in Kiew. Belsat ist der einzige TV-Sender in Belarus, der regelmäßig über die Ereignisse in der Ukraine berichtet. Als es zuletzt zu schweren Zusammenstößen zwischen Demonstranten und ukrainischen Spezialeinheiten kam, liefen im Staats-TV symphonische Konzerte. „Die Angst ist einfach zu groß, dass so etwas auch in Minsk passieren könnte“, sagt Michas.

Michas Jantschuk an einem Mikrophon

Simone Brunner

Mischas ist der offizielle Vertreter von Belsat in Belarus

In den offiziellen Medien wurde das Thema lange klein gehalten. Zuletzt ließ Präsident Alexander Lukaschenko seinem Volk über die staatliche Nachrichtenagentur ausrichten, dass es in Belarus keinen Maidan geben werde: „Es ist unsere heilige Pflicht, Frieden und Stabilität in unserem Land zu erhalten. Und ein Maidan ist in unserem Land vollkommen unmöglich.“ Seit 20 Jahren führt Präsident Lukaschenko das Land mit eiserner Hand. Das Regime wird finanziell und politisch maßgeblich vom Kreml unterstützt.
Brandschatzung, Plünderungen, Nazi-Parolen und Feuerstürme – nach den jüngsten Eskalationen sind es ähnliche Bilder, die derzeit in Belarus und Russland über die Bildschirme laufen, um den Maidan zu diskreditieren. Der Informationskrieg tobt auch in Belarus. Nur mit ungleich verteilten Mitteln: Belarus gehört in punkto Pressefreiheit zu den Schlusslichtern weltweit, die Nichtregierungsorganisation Freedom House zählt Belarus dabei zu den zehn restriktivsten Ländern.

Michas ist der offizielle Vertreter von Belsat in Belarus – und der einzige. Keiner der Journalisten darf in Belarus offiziell arbeiten, das Medium existiert laut Behörden gar nicht. Das Headquarter des Senders ist in Warschau, Polen stellt auch den Löwenanteil für das sechs Millionen Euro-Jahresbudget auf. Initiiert wurde der Sender vom damaligen polnischen Premier Jaroslaw Kaczynski, um in Belarus ein Gegengewicht zur staatlichen Propaganda zu schaffen. Belsat ging im Dezember 2007 auf Sendung, aber nur über Satellit und Internet. Jeder Versuch, das Medium offiziell bei den belarussischen Behörden zu registrieren und somit auch Zugang zum Kabelnetz zu erhalten, ist seitdem gescheitert. Und Journalisten dürfen nur bei einem akkreditierten Medium arbeiten. „Die Redakteure sind unsere Partisanen“, lacht Michas. Sie sorgen für das Futter, das Rohmaterial, das dann in Warschau weiterverarbeitet wird.

Mann steht mit Mikrophon vor einer Kamera an einem öffentlichen Platz

mediakritika.by

Oleg ist Redakteur bei Belsat

Einer dieser Partisanen ist Oleg. Schon als Student hat er in seiner Heimatstadt Gomel, im Osten des Landes, für Belsat gearbeitet. „In Gomel war das ein Alptraum. Einfach eine Katastrophe. Wenn du filmst, wirst du ständig von der Polizei festgehalten. Sie nehmen dir einfach die Kassetten weg.“ Sein erstes Gespräch mit dem belarussischen Geheimdienst KGB hatte Oleg, als er 20 Jahre alt war. Im anonymen Minsk ist die Situation etwas besser. Dennoch hat sich mit den Behörden eine gewisse Systematik entwickelt: Alle zwei bis drei Monate werden die Journalisten von den Behörden vorgeladen und erhalten eine Verwarnung, weil sie für ein illegales Medium arbeiten. Diese Verwarnungen dienen dann wiederum als Argument, Belsat die Registrierung als offizielles Medium zu verweigern. Ein zermürbendes Spiel.

Oleg ist einer der wenigen Redakteure, der sein Material selbst bearbeitet und auch die Texte einspricht. „Ich versuche da immer, auch ein bisschen Humor und Sarkasmus reinzubringen – wenn es angemessen ist.“ Vor einem Jahr wurde wieder hitzig über das Verbot des selbstgemachten billigen Weins in Belarus diskutiert. „Ich habe mich dann mit einer Packung Fusel vor die Kamera gestellt und gesagt, dass das in einem Jahr ein Fall fürs Antiquariat sein könnte“, lacht Oleg. Für die Redaktion hat er ein altes Nokia-Handy mit einer dicken Eisenummantelung gebastelt. Das Handy wiegt jetzt mehrere Kilo. Freie Interpretation nach Oleg: Ein Symbol, wie schwer es ist, in Belarus ein Journalist zu sein.

Ein altes Handy in Eisen gegossen liegt am Kaffeetisch

Simone Brunner

Wie schwer es ist, war auch für die Belsat-Crew schnell klar. Vier Monate, nachdem der Sender on air ging, hatte der KGB in allen regionalen Büros des Senders zur gleichen Zeit Razzien durchgeführt. Eine Machtdemonstration. Ein Großteil des Equipments wurde konfisziert. „Wir haben es trotzdem geschafft, an diesem Abend die News zu machen. Da haben sie wohl gemerkt, mit wem sie es zu tun haben“, sagt Michas. Die Hausdurchsuchungen sind mittlerweile Routine. Die Crew versucht, es mit Humor zu nehmen. „Einmal, als wir Wind davon bekommen haben, haben wir nur eine 40 Jahre alte Schreibmaschine in der Redaktion zurückgelassen. Mit einer Glückwunschkarte: „Exklusiv für Euch!“

Belsat hat bei der Bevölkerung mittlerweile ein gutes Standing. Rund 250.000 Belarussen schauen Belsat täglich, eine Million Belarussen sehen zumindest einmal im Monat zu. Das sind zehn Prozent der Bevölkerung. „Wir sind das Krisen-TV. Immer, wenn etwas Außergewöhnliches passiert – sozial oder politisch – steigt unsere Zuseherzahl rasant an.“ Weil die Leute wissen wollen, was wirklich passiert. In den Staatsmedien gibt es dazu meist keine Informationen. Wie bei der schweren Währungskrise im Jahr 2011, oder eben jetzt – dem Umsturz in der Ukraine.

Ein Mann nimmt ein Mikrophon von Belsat aus einer Tasche

Simone Brunner

Das Belsat-Programm unterscheidet sich nicht wesentlich vom öffentlich-rechtlichen TV in Europa: Kultursendungen, politische Talkshows, Geschichtsdokus, Abendnachrichten und Magazine über soziale Härtefälle. „In den Staatsmedien herrscht eine Propaganda des Erfolgs, wir wollen aber auch die Probleme der Leute zeigen“, sagt Michas. Und gesendet wird auf Belarussisch, als Gegengewicht zu den Staatsmedien, die nur auf Russisch berichten. Das Belarussische ist in der Öffentlichkeit und in der Gesellschaft stark marginalisiert: In der Schule wird zwar Belarussisch gelehrt – aber eher als eine Art erste lebende Fremdsprache. Laut offiziellen Zahlen sprechen nur 11,9 Prozent der Belarussen zu Hause auch wirklich Belarussisch, der Rest Russisch. Die belarussische Sprache ist grob gesprochen zu einem Merkmal einer städtischen Elite geworden, die sich stärker an der EU als an Russland orientieren will. „Das ist unsere Mission – das Belarussische in die Welt zu senden, bis nach Portugal“, lacht Michas.

Der Humor ist den Belsat-Mitarbeitern nie ausgegangen – trotz der widrigen Umstände. So etwas Ähnliches wie den Maidan hat es in Belarus nämlich schon 2006 und 2010 gegeben, als Tausende gegen Wahlfälschung bei den Präsidentschaftswahlen auf die Straßen gingen. Der Aufstand wurde brutal niedergeschlagen, auch Belsat-Redakteure wurden verhaftet. „Auch, wenn es keine reale Hoffnung auf eine Veränderung gibt, muss jemand das tun, was wir tun. Sogar die Sowjetunion ist innerhalb weniger Wochen zerbrochen, mehr oder weniger unerwartet. Die Situation könnte sich also sehr schnell ändern“, sagt Michas. Und der Partisanenkampf geht weiter.