Erstellt am: 13. 5. 2014 - 12:06 Uhr
"Irgendwer hat uns beschissen"
lowfidelity HEAVY INDUSTRIES
Simone Brunner ist freie Journalistin in Wien und Osteuropa.
Noch so ein Tag und ich drehe durch
Aber meine Hände sind wie angebunden!
Irgendwer hat uns irgendwann beschissen
Es ist so öde, dass ich heute wie gestern sterben könnte ...
Sänger Dima schleudert die Parolen von der Bühne, die Menge donnert sie Zeile für Zeile wieder zurück. Die Fäuste sind wie zum Kampf geballt. Körper in Kapuzenpullis und Turnschuhen werden über die Köpfe der Menge hinweggerollt. "Wir träumen nur von Freiheit, aber versklaven uns selbst ... in Gräbern!"
"Der Staat will alles kontrollieren – aber wir lassen das nicht zu!", schreit Dima vor dem nächsten Song. Wieder schnellen die Hände in die Höhe. Die Musiker von Monday Suicide sind noch keine 30, in der Punk-Szene von Belarus sind sie aber schon so etwas wie eine Legende. Den glatzköpfigen Sicherheitsleuten in den Lederjacken sagen die Parolen hingegen weniger zu. Sie werden die Band nach dem Konzert barsch auffordern, den Minsker Club sofort zu verlassen. "Da scheiß ich doch drauf!", sagt Dima, noch schweißüberströmt vom Konzert, später beim Interview. "Wir bleiben, so lange wir wollen!"
Simone Brunner
Dabei hatten Dima und seine Bandkollegen heute Glück. Polizeieinsatz bei einem Konzert? Alles schon vorgekommen. Der Stress mit den Behörden und Geheimdienstlern – das ist Alltag in der unabhängigen Musik-Szene in Belarus. Wenn es nach dem Präsidenten Alexander Lukaschenko geht, dann hat das, was Monday Suicide auf ihren Konzerten beschwören, wenig Platz in der Gesellschaft. Freiheit. Punk. Rebellion. Weg mit dem großen Sicherheitsapparat. Weg mit der Zensur. Und Freiheit für politisch Inhaftierte. Sieben junge Männer aus der Punk-Szene sind derzeit in Belarus inhaftiert, die meisten von ihnen wegen "Rowdytums", der Teilnahme an politischen Protesten. Auf dem Konzert von Monday Suicide werden Flugblätter mit persönlichen Nachrichten aus den Zellen – die "News aus dem Gefängnis" – unter den Gästen verteilt.
Seit 20 Jahren führt Lukaschenko den Staat mit harter Hand. Medien werden zensiert, Oppositionelle verfolgt, Wahlen gefälscht. Über das Land wird oft als die "letzte Diktatur Europas" gesprochen. Musik unterliegt in Belarus einem ausgeklügelten Zensur-System, Konzerte müssen bei den Behörden gemeldet und genehmigt werden. Das Konzert von Monday Suicide konnte überhaupt nur stattfinden, weil die Organisatoren gelogen haben: Die Bands für das Line-Up waren allesamt erfunden.
Seit März 2011 kursiert im Internet eine "schwarze Liste" von Künstlern. Wer auf der Liste steht, hat de facto Auftrittsverbot: Von offizieller Seite wird diese Liste geleugnet und als "Provokation" abgetan. Konzerte dieser Bands werden erst gar nicht von den Behörden genehmigt – oder einfach sabotiert: "Als wir vor einem Jahr einen Auftritt spielen wollten, war eigentlich alles geregelt. Plötzlich hat der Besitzer des Clubs einen Anruf bekommen: Ob er denn in Kauf nehmen würde, seinen Club zu verlieren?", sagt der Sänger Liavon Volski. Das Konzert wurde abgesagt. So üben die Behörden Druck auf unliebsame Bands aus: Vielen Clubs ist das Risiko, Stress mit den Behörden zu bekommen, schlichtweg zu groß. Und den in Ungnade gefallenen Künstlern, die sowieso nicht im staatlichen dominierten TV oder Radio gespielt werden, entzieht das schlichtweg die Existenzgrundlage.
Mit seinen kinnlangen Haar und der dunkel getönten Sonnenbrille wirkt Liavon Volski wie die belarussische Ausgabe des U2-Sängers Bono. Er wurde schon zwei Mal auf die "schwarze Liste" gesetzt. "Das erste Mal, das war von 2005 bis 2008, da war ich schon sehr frustriert. Aber jetzt nehme ich es gelassen." Vor der Eishockey-Weltmeisterschaft haben die Behörden die Daumenschrauben etwas gelockert und Volski konnte einige Male in kleinen Minsker Clubs auftreten. Seine belarussischen Singer-Songwriter-Lieder haben eine ganze Generation nach der Wende geprägt. Sie strotzen nur so vor politischer Symbolik: Auf den Wiesen blühen "weiße und rote Blumen" – eine Anspielung auf die verbotene weiß-rot-weiße Fahne von Belarus. Lukaschenko hatte nach seinem Amtsantritt Mitte der Neunziger Jahre die alte Sowjet-Fahne wieder eingeführt. Volski singt auf Belarussisch – eine Sprache, die sich unter Lukaschenko zu einem Symbol der Opposition gewandelt hat. Zwischen den Songs skandiert er "Es lebe Belarus!" – ein Satz, der zur Losung der belarussischen Protestbewegung geworden ist. Und Protest bedeutet in Belarus: Raus aus der pro-russischen Isolation, mehr Demokratie, mehr Europa.
Simone Brunner
Viele Musiker wurden durch die restriktive Kulturpolitik erst so richtig politisiert. So wie Ljapis Trubetskoj, die sich von einer Klamauk-Band zu den schärfsten Gegnern des Regimes von Lukaschenko gewandelt haben – und exponierte Anhänger der Maidan-Bewegung in Kiew sind. Nachdem der Sänger Sergej Michalok bei einem Konzert in Russland jüngst "Es lebe die Ukraine!" – den Schlachtruf der Maidan-Bewegung – skandierte, hat ein Vertreter der russischen Duma eine Klage bei der Staatsanwaltschaft eingebracht. In Belarus sind sie seit drei Jahren kein einziges Mal mehr aufgetreten. In ihrer Heimat sind sie verboten, aber Helden mit einer treuen Fangemeinde, die ihnen zu Auftritten in den Nachbarländern nachreist. Als sie zuletzt ein Konzert im litauischen Vilnius spielten, stauten sich die Autos am belarussisch-litauischen Grenzübergang. Zuletzt verkündeten sie, die Band im Herbst dieses Jahres aufzulösen.
Warum ist gerade die Musik das Medium der Rebellion? "Wir mögen die Politik nicht, wir mögen die Polizei nicht", sagt Wladimir, ein 26-jähriger Musiker aus Minsk. "All diese Dinge kann man bei uns nicht öffentlich sagen, deswegen suchen wir eine poetische Form dafür. Die muss aber trotzdem straight und verständlich sein. Das ist eben Punk!" Das, was die Musiker auf der Bühne sagen und singen, kann nicht kontrolliert werden. Das macht sie zu einem Risiko. Liavon Volski verdreht die Augen: "Das ist eben die Mentalität der Kolchose." In der Sowjetunion gehörten die Kulturschaffenden zu einer besonders scharf verfolgten Gruppe. Die Musik wurde von den sowjetischen Theoretikern misstrauisch beäugt. Klare Propagandalieder und die "Internationale" ausgenommen. Abstrakte Töne ohne eine klare Message – das roch förmlich nach Dekadenz, Bourgeoisie und l’art pour l’art.
Der "Geist der Kolchose" wird an einem anderen Ort in Minsk auf ganz andere Art wiederbelebt. Die winzige Zwei-Zimmer-Wohnung im Plattenbau ist gerammelt voll. Es ist keine wilde Punk-Party, die Gäste haben Kekse und Schokoladenroulade mitgebracht und schlürfen Tee. Der bärtige Sänger schlägt in die Gitarrensaiten. In seinen Songs trinken Gagarin und Armstrong Bruderschaft, und ein armer Fischer namens Alexander Lukaschenko wünscht sich eine Billion Dollar. Die Gäste prusten vor Lachen. "Das ist bei uns so eine Tradition aus der Sowjetunion – Konzerte in den eigenen vier Wänden. Dann müssen wir auch nicht immer so politisch korrekt sein", sagt Gast Aleksej mit einem Augenzwinkern. Da darf dann schon mal ein derber Witz über den Diktator gemacht werden. Es ist eine Art Pop-Biedermeier mit Schokoladestreusel.
"In Belarus ist alles Persönliche auch schon politisch, hat einen politischen Kontext. Egal, ob du Musik hörst, mit den Öffis fährst oder Sex hast", sagt Wladimir, der Minsker Punk. "Überall gibt es eine Grenze, die du nicht überschreiten darfst." Musik war für ihn immer schon eine Form von Freiheit, von Subkultur, am Mainstream vorbei. Für Belarus gilt das vielleicht noch ein bisschen mehr – ob beim Schokokuchen im Plattenbau oder im verrauchten Punkbeisl.