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Robert Glashüttner

Videospielkultur, digital geprägte Lebenswelten.

6. 11. 2014 - 17:06

Extraleben: Gamergate und die Politik

Die leidige Online-Aufregung "Gamergate" dient in erster Linie dazu, politische Polarisierung zuzuspitzen. Der FM4 Gamestalk analysiert die Dynamik hinter einer fragwürdigen Bewegung.

FM4 Extraleben

Thema "Gamergate"
Conny Lee, Rainer Sigl und Robert Glashüttner sprechen am 6.11. im Computerspielkränzchen FM4 Extraleben über Wesen und Struktur zu Gamergate. Von 21 bis 22 Uhr in der FM4 Homebase und danach 7 Tage on Demand.

Über drei Monate dauert Gamergate nun schon an (FM4 hat berichtet) und bei vielen ist der anfängliche Eifer in überlegten Pragmatismus umgeschlagen. Es ist offensichtlich, dass hier zwei entgegengesetzte Pole in ihren eigenen Echokammern kommunizieren. Eine gegenseitige Annäherung ist nicht abzusehen, die Verlockung der zwei konträren Lager zu groß.

Kurz zur Erinnerung: Einige Menschen - vor allem Männer - sind seit vergangenem Sommer zornig, dass Videospiele seit ein paar Jahren in der Öffentlichkeit anders verhandelt werden als früher, also mehr als kulturelle Artefakte wahrgenommen werden und weniger als reine Produkte. Aggressive Feminist/innen würden ihnen "ihre" Videospiele - also die mit Gewalt und aufreizenden Outfits für weibliche Spielcharaktere - unterbinden wollen. Diese von ihnen so titulierten "Social Justice Warriors" hätten Interesse daran, den Gamern ihre Spielzeuge wegzunehmen und würden ihnen sogar ihre jahrelange gehegte Identität als Computerspieler unterbinden wollen.

Umgekehrt lassen viele Menschen kein gutes Haar an allem, was unter dem Schlagwort "Gamergate" daherkommt - auch dann, wenn eventuell mal ein ehrliches Anliegen und keine Belästigung oder kein Hass dahinter steckt. Leider tut sich die Gamergate-Bewegung vornehmlich durch konzertierte Harassment-Kampagnen hervor, die sich großteils an liberale, junge, weibliche Gamedesignerinnen oder Kritikerinnen richtet.

Wie konnte es überhaupt so weit kommen?

Wenn Communitys wie Reddit oder 4chan Kommentare oder ganze Threads löschen (müssen), in denen gehetzt oder zum Teil mitsamt den Adressdaten der potenziellen Opfer offen zu Gewalt aufgerufen wird, wird das schnell als "Zensur" missverstanden.

Gamergate sei etwas zutiefst US-amerikanisches, meinte ein Freund neulich, und er hat recht. Freedom of Speech, das wird in den USA in einer sehr liberalen, uneingeschränkten Weise gelebt und ist Teil der nationalen, gesellschaftlichen Identität. Einschränkungen von Meinungsfreiheit durch - Gott behüte! - den Staat, wie man sie in Europa kennt, die sich gegen Intoleranz, Faschismus und Hass richtet, sind in den USA keine gängige Praxis. Die Demokratie müsse das aushalten, sie sei uneingeschränkt. Was nicht explizit gegen das Gesetz verstoße, dürfe sein - egal, wie haarsträubend, verhetzend und demagogisch es auch sein mag. In dieses Klima würden nun die "Feminazis" kommen und den ehemals noch von allen verarschten männlichen Gamer-Nerds ihre Spiele wegnehmen wollen. "Die wollen uns vorschreiben, wie wir zu denken und zu handeln haben? Nicht im Land der großen Freiheit!"

Die tief sitzende Angst vieler Männer, ihre kulturelle Identität und damit ihre gesellschaftliche Potenz zu verlieren, hat zu einem intensiven culture war geführt, bei dem Missverständnisse an der Tagesordnung sind. Interessant ist dabei die Tatsache, dass es mittlerweile kaum noch um die Spiele und deren Inhalte geht, sondern fast nur noch um die jeweilige Ideologie der Person, die an der Diskussion teilnimmt. Bist du für oder gegen uns? In dem großartigen Artikel "Gamergate and the politicization of absolutely everything" berichtet Autor Ezra Klein von der Zuspitzung der Ideologien der beiden großen politischen Lager in den USA, also den Demokraten und den Republikanern. Gamergate ist ein gefundenes Fressen um hier auf die jeweiligen politischen Werte aufmerksam zu machen. Alle reden über Gamergate, also ist es der ideale Zeitpunkt, um politisch hineinzugrätschen, damit man weiß, wofür man das nächste Mal seinen Stimme abgeben sollte.

Gamergate happens to be about video games but it could be about anything. Video games are the excuse for this fight, not the cause of it.

Die liberale und die konservative Feministin

"Darf ich auch Feminist sein?", fragt der schlitzohrige Comedian Stephen Colbert seinen Gast Anita Sarkeesian, die feministische Popkritikerin, die mehrfach bedroht, gestalkt und von unter dem Gamergate operierenden Irren von ihrem Zuhause vertrieben worden ist. "Sind Sie der Meinung, dass Frauen und Männer die gleichen Rechte haben sollen und dass wir dafür kämpfen sollen?" lautet Sarkeezians Gretchenfrage, die Colbert doppelt mit "Sure" beantwortet. "Then you are a feminist."

Doch auch die konservativen Gamergate-Freund/innen haben "ihre" Feministin. Christina Hoff Sommers versucht zu beschwichtigen, vergleicht die Hasskampagnen der geschassten Gamergatler mit der Medienwirkungsforschung der 2000er Jahre, bei der - nach einer jahrelangen, mühseligen öffentlichen Diskussion - letztlich klar wurde, dass Computerspiele mit Gewaltinhalten Gamer nicht zu Mördern mache. Warum sollte das mit Sexinhalten anders sein? Männer sehen einfach gerne sexy angezogene Frauen und Frauenfiguren, das sei doch nichts Schlimmes, deswegen sei man doch nicht gleich ein Sexist. Mag sein, aber darum geht es doch schon längst nicht mehr.



Ein Punkt in Hoff Sommers Video gibt aber schon zu denken: Jahrzehntelang hat sich die Mainstream-Gesellschaft über sogenannte Computerspielnerds lustig gemacht. Entweder waren sie Lachnummern oder potenziell gefährlich, weil von sozialer Ausgrenzung geprägt und gewalttätigen Inhalten indoktriniert. Die Gamespresse hat kurz nach der Jahrtausendwende darauf reagiert, sie hat sich umgeformt. Die erste Computerspieler/innen-Generation ist damals erwachsen und meinungsbildend geworden. Games wurden nun nicht mehr nur als Produkt gesehen, sondern als Teil einer reichhaltigen Popkulturwelt und entsprechend medial verhandelt. Die Verteidigung von Computerspielkultur gegen die vorurteilsbehafteten Lächerlichmacher - meist Konservative - stand an der Tagesordnung. Die Fachpresse wurde dadurch liberaler, offener, kulturdurchflutet.

Danke an Rainer Sigl für die Recherche an diesem Artikel. Er hat vor kurzem auf VideoGameTourism.at auch eine Geschichte über die Propaganda-Bilder von Gamergate veröffentlicht.

Doch nun fühlen sich die "Gamer" von ihren ehemaligen Beschützern von der Presse verraten. Denn die logische Konsequenz einer progressiven Sicht auf Videospielkultur endet selbstverständlich nicht nach der Gewaltdiskussion. Feminismus, Genderdiskussionen, Serious Games und vieles mehr gehören zu einem pluralistischen Medium eben auch dazu. Schon blöd, wenn hier manche selbstgerechten Spieler/innen nicht konsequent genug denken.

Ein Extraleben über Gamergate

Conny Lee, Rainer Sigl und Robert Glashüttner sprechen heute im Computerspielkränzchen FM4 Extraleben über Wesen und Struktur zu Gamergate. Von 21 bis 22 Uhr in der FM4 Homebase und danach 7 Tage on Demand.