Standort: fm4.ORF.at / Meldung: "Horrormusik, Seelenmusik"

Philipp L'heritier

Ocean of Sound: Rauschen im Rechner, konkrete Beats, Kraut- und Rübenfolk, von Computerwelt nach Funky Town.

26. 10. 2014 - 15:24

Horrormusik, Seelenmusik

Der Samstag beim Elevate Festival: Bestrafung, Erlösung, Liebe.

Der letzte Tag beim diesjährigen Elevate Festival zeigte wieder einmal, dass seltsame musikalische Nebeneinanderstellungen dem Leben frischen Saft geben. Durchmischung, Konfrontation, Ergänzung, Schock. Oben im Dungeon durfte man wieder in Dunkelheit eintauchen. Der aus Bristol stammende Produzent Seb Gainsborough war mit seinem unheilvollen Projekt Vessel angereist, im Gepäck ein brandneues und, keine Übertreibung, fantastisches Album.

"Punish, Honey" nennt sich die Platte und führt also die Freude am Schmerz schon im Titel. Härte und Süße, Strenge, Peitsche und Wonne. Oder auch als sadomasochistische Losung gleich als Aufforderung zu lesen: "Bestrafe mich, Liebling!". Wäre ein guter Titel für einen Song von Rammstein, Vessel baut freilich subtiler und weniger plakativ.

Vessel

Lupi Spuma

Vessel
Vessel

Lupi Spuma

Auf seinem bei Tri Angle erschienenen Debütalbum mit dem auch schon sprechenden Namen "Order of Noise" hat er vor zwei Jahren Dub, Dubstep und Techno auseinandergefräst bzw. ins Säurebad geschmissen. Die scharfkantigen Überbleibsel karg angerichtet und immer wieder mit Noise überlagert. Eine brutale, schöne Platte, minimal und noch an der äußersten Kante des Dancefloors torkelnd.

Auf "Punish, Honey" ist nun von Tanzmusik nicht mehr viel übrig geblieben, zwar gibt es immer noch, da und dort, repetitive Beats, aber eher an Industrial geschult, an Fabrikshalle, an Throbbing Gristle und Coil, an Stahlwerk, weniger an Berghain.

Für dieses Album hat Vessel ausdrücklich erforscht was eine "Englishness" in der Musik bedeuten könnte: Einerseits wirkt hier Soundsystem Culture in Form stets präsenten Echos von Dub durch, gleichzeitig ist "Punish, Honey" eine moderne Folk-Platte, eine zerfetzte, ein neuer Soundtrack für "The Wicker Man".

Vessel hat neue akustische Instrumente erfunden und gebaut, Percussions aus Sperrmüll, Geisterflöten aus zersägten Fahrrädern, morsche Saiteninstrumente, die in selbst erdachten Notationen singen. Aus der Ferne wehen Spieluhrmelodien und Jahrmarktsounds herüber, Ringelspielgebimmel, Glockenspiele, Dudelsackgedudel. Eine beunruhigende Horrormusik, die die Anspannung aufs Höchste treibt.

Homeboy

Lupi Spuma

Homeboy
Homeboy

Lupi Spuma

In der Live-Darbietung wird es dann aber deutlich tanzbarer als auf Platte, eine Verzahnung der Ansätze der beiden Alben, und vollelektronisch, leider ohne Spinett und Laute. Industrial und derber Techno, schrilles Pfeifen und Fauchen, Dubstep, der kurz davor steht komplett auseinanderzufallen, Jungle-Einschübe. Dass Jungle wieder groß kommen dürfte, hört man ja seit einiger Zeit an allen Ecken und Enden, beim Elevate bekam diese Vermutung aus den unterschiedlichsten Sets Feuer.

Bei allem Lärm und bei aller Härte war aus Vessels Set aber eben auch immer die Feinstofflichkeit und Akribie dieser Musik herauszuhören, funkelten kleine Soundeinfälle, tönten hinter den Beats unmerklich wundersame Musiken aus einem unbekannten Mittelalter durch den Raum, den wir Dungeon nennen.

Im Tunnel war derweil der englische Produzent Tessela mit einem recht umwerfenden DJ-Set zu hören. Seine eigenen Produktionen, vor allem zwei Releases für R & S, sind meist recht skeletöse Angelegenheiten, in denen immer viel Platz bleibt für Leere und Stille. Einzig ein paar trockene Snaresounds, ein Scheppern, ein Umfallen des Geschirrschranks. Pause. Break. Dann doch: Jungle, Lasergun-Geräusche, Synthie.

Absurde Versuchsanordnungen, die man gehört haben möchte. Auch hier: In der Clubsituation, wenn er Menschen Platten anderer Produzenten vorspielt, ist Tessela nicht so sehr auf Abstraktion gepolt. Dennoch: ein abenteuerlicher Ritt zwischen Breakbeat-Musiken, ja, Jungle, altem englischen 'ardcore, und Techno. Mit oft überraschenden, harten Schnitten und Falltüren.

Motor City Drum Ensemble

Lupi Spuma

Motor City Drum Ensemble
Crowd

Lupi Spuma

Der Dom im Berg stand am Samstag im Zeichen der sexuellen Weichheit, der göttlichen Läuterungsmusik namens House. Der kroatische Produzent Homeboy hat sein Plattenlabel House is Ok genannt und hat damit natürlich recht. Live strickt Homeboy an Drummachines, Synthesizer, Effektgeräten einen luftigen House mit großer Nähe zum Pop, beschwingt, farbenfroh, bestens gelaunt. Der gut gefüllte Dom dankte es ihm.

Der deutsche DJ Motor City Drum Ensemble transportierte danach an den Plattenspielern die erbauliche Botschaft, dass auch an einem Samstagabend ein großer Floor ohne deftiges Geballere und Knalleffekte zur ekstatischen Feierei geführt werden kann. House war zwar das knetmassegleiche Fundament, der herrlich duftende Klebstoff, der das Set zusammenhielt, jedoch glitt Motor City Drum Ensemble großzügig Richtung Soul, nach Philadelphia mit allen Violinen und Fanfaren, Richtung Jazz und Afrobeat. Ein weihevolles, selig machendes Set, zu dem man sich mühelos selbst einreden konnte, dass die Musik, an einem Abend wie diesem, vielleicht doch die heilende Kraft des Universums sein könnte.