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Philipp L'heritier

Ocean of Sound: Rauschen im Rechner, konkrete Beats, Kraut- und Rübenfolk, von Computerwelt nach Funky Town.

24. 10. 2014 - 16:18

Das ewige Summen, die glühende Gitarre

Das oft gegebene Versprechen vom "abenteuerlich durchmischten Programm" - beim Elevate Festival in Graz wird es eingelöst. Der Donnerstag funkelte mit Schwierigem, Nervösem, Krachigem, Partytauglichem, Wunderbarem.

Elevate 2014

Das Festival für Musik, Kunst & politischen Diskurs

23.-26. Oktober 2014, Graz

Alles dazu auch auf fm4.orf.at/elevate2014 und 2014.elevate.at.

Es gibt nicht nur Bassdrum. Fast schon müßig zu erwähnen, dass das Elevate Festival Graz auch dieses Jahr wieder außerordentlich gut programmiert ist. Schon der Donnerstag, der Eröffnungstag, konnte im Grazer Schloßberg wieder mit durchaus gewagten Acts, die nicht unbedingt auf Party gebürstet sein müssen, bezirzen. Es gab überraschend viel Gitarre zu hören. Damit das die Feinde des Techno auch einmal wissen.

Im Tunnel, traditionell der zweite Floor beim Elevate, trat da zum Beispiel am frühen Abend eine junge Frau namens Noveller auf. Kennt wieder kein Mensch. Deswegen geht man zum Elevate Festival, um zu hören und zu schauen, neue Welten zu erfahren, zu lernen und trotzdem großen Spaß zu haben. Die Musikerin aus New York entwirft an ihrer Gitarre Drones und Mantras, die mal süß summen, mal krachig brummmen.

Noveller

lupispuma

Noveller

Viel mehr muss nicht geschehen. In der Livedarbietung bekommt Noveller jedoch zurückhaltende Unterstützung von Alexis Fleisig – eventuell halbwegs bekannt von der herrlichen, ewig unterschätzen Noise-Pop/Post-Hardcore-Band Girls Agains Boys – an behutsamer Elektronik. Ein seltsamer Sog, eine, wieder einmal, rätselhafte Hypnose.

Danach galt es im Tunnel eine wahrhafte Legende zu bestaunen, die bei ihrem Auftritt ganz ohne den Dünkel der eigenen Historizität auskam: Der New Yorker Komponist und vor allen Dingen als Gitarrist notorische Musiker Rhys Chatham. Der altehrwürdige Brückenbauer von Steve Reich nach Sonic Youth, Bindeglied zwischen Minimal Music, No Wave, Punk, Noise, Drone und Neuer Musik. Neue Musik. Der Mann hat schon überall gespielt, in versifften Kellerlöchern, in der Galerie, in den bestuhlten Palästen der Hochkultur. E und U, eh klar, egal. Schön, Rhys Chatham in solch intimem Rahmen ohne Prätenziösitäten zu sehen.

Rhys Chatham

lupispuma

Rhys Chatham

Chatham kam, alleine, ohne Gitarrenarmada im Rücken, und blies zunächst die Trompete. Sonst nichts. Ein Vergnügen, diesem schelmischen, ergrauten Mann zuzusehen, der von der Alterswürde dann doch nicht allzu viel wissen zu wollen schien. Chatham loopte seine Trompete, überlagerte mehrere Schichten, spielte gegen sich selbst an. Irgendwann schnappte er sich einen Stuhl und griff zur Gitarre. Vor ihm lagen auf einem Tisch diverse Pedale und Effektgeräte, die Chatham akribisch befingerte.

Chathams Gitarrenmeditationen, sein Spiel mit Hall, Phasenverschiebungen und Überlagerungen waren nicht streng, hart oder akademisch bedeutsam, sondern lustvoll, gut gelaunt, gar beschwingt. Zwischendurch stand Rhys Chatham auf, und drohte mit beschwörender Hand Richtung Himmel, wie der alte Mann, der mit der Wolke schimpft. Vermeintlich schwierige Musik, hochkonzentriert und flauschig dargebracht.

Lauermann Mimu

lupispuma

Lukas Lauermann und Mimu Merz

Auf der Hauptbühne im Dom im Berg folgte derweil auf den ebenfalls wundersamen wie wunderbaren gemeinsamen Auftritt des vielseitigen Cellisten Lukas Lauermann und der Allround-Kunst-Erfinderin Mimu Merz (ihr Album "Elegies in Thoughtful Neon" sei hier noch einmal empfohlen) ein Höhepunkt unter Höhepunkten: Der, ja, New Yorker Musiker, Producer und Videokünstler Torn Hawk.

Torn Hawk segelt mit seinen Produktionen für heiße Labels wie L.I.E.S., Not Not Fun oder No Pain in Pop scharf an den eigentlich mittlerweile schon gut befahrenen Kreuzungen zwischen Noise und räudigem Techno. An Elektronik und Gitarre biegt er seine Stücke dann auch gerne Richtung verwaschener 80s-Ästhetik, New Age, chilligem Wave, Esoterik und Softrockschwulst. Inklusive Solo. Aktuell forscht Torn Hawk zudem Im Universum verstärkt nach kosmischer Musik der Berliner Schule der 70er-Jahre und atmosphärischem, trance-haften Krautrock im Allgemeinen.

Torn Hawk

lupispuma

Torn Hawk
Elektro Guzzi

lupispuma

Elektro Guzzi

Sehr super war das, verstörend, aufreizend, einlullend, schäbig, kaputt, sakral und verfault. Ein nervöses Kitzeln, ein ewiges Jucken. Dazu zeigte Torn Hawk selbstgefertigte Videocollagen, billige Computergrafiken, die Zukunft von Vorgestern, Pornografisches, Material wie aus dem Shoppingkanal, Neon-Trash. Wieder einmal ein hyperdicht gestapelter Kommentar zu Konsum, Kapital und Pop, die visuelle Umsetzung der Gebrauchsmusik-Versuchsanordnungen von James Ferraro und Oneotrix Poin Never. Hässlich wie das Leben, so sollen diese Clips auch einige Menschen im Publikum ernsthaft verärgert haben.

Dem Dancefloor wurde dann freilich aber doch noch gehuldigt. Elektro Guzzi, wie immer ganz die Garanten für die stilvolle Ekstase, Tin Man oder Clara Moto wissen wie es geht. Danach war Schweiß. An einem Donnerstag beim Elevate Festival darf man sehen, dass es funktionieren kann. Es ist möglich, es besteht Hoffnung.