Erstellt am: 24. 10. 2014 - 12:29 Uhr
Vlog #1: "Zum Erschießen!"
Vlog
Sophie Strohmeiers Viennaletagebuch
Lichterloh sticht mir das Viennaleplakat entgegen, beim Durchblättern von Filmzeitschriften in - of all places - einem winzigen "Zine"-Stand in New York. Jener Stadtteil von Brooklyn, in dem dieser Stand steht, ist heute ein nüchterner Ort. Wien ist es aber noch viel mehr; der Gedanke allein lässt mich frösteln. Unweigerlich muss ich an unibrennt denken, dessen Symbol ja auch eine Flamme war: sind es jetzt wirklich schon fünf Jahre, die seither vergangen sind? Was spüren wir heute noch vom Brand? Und heißt das Viennaleplakat also: es brennt weiter! Nur Mut! Oder ist es ein gemütliches Lagerfeuer für geriatrische alte Männer?
Wohl eher Letzteres.
Viennale
Was soll das überhaupt: ein Plakat mit einer Flamme verlangt nach einer Revolte, verlangt, wie mein Freund A. sagen würde, nach einer Besetzung des Gartenbaukinos durch Studenten, die Hans Hurch an einen Pfahl binden und sich Farbe ins Gesicht schmieren, während das Kino geliebt und gefeiert wird und Zigaretten im Saal geraucht werden.
Stattdessen lobt sich die Viennale selbst: es gibt keinen roten Teppich, denn wir sind ja alle unter Freunden. Im selben Moment werden atemlose Anekdoten über Filmstars preisgegeben, deren Natur irgendwie fast schon zu privat ist. Es ist wie in der US-amerikanischen Bunten "US Weekly": The stars - they’re just like US!
Unter Freunden, ja genau. Wer die aktuellen Ausgaben von Falter und Profil kennt, fühlt sich wie bei einem dieser empfindlichen Familienabendessen, bei dem sich alle gerade verbal die Schädel eingeschlagen haben und danach die gute Stimmung gelobt wird.
Die seltsamen Synergien zwischen Viennale und Filmarchiv
Stefan Grisseman, Profil
Glücklicherweise gibt es den Brief von Eric Pleskow, der sich über die düstere Wahl des Eröffnungsfilms amüsiert und schriftlich Jugendlichkeit und Humor des neunzigjährigen Viennale-Präsidenten dokumentiert.
Hahnenkämpfe
Kulturstadtrat Andreas Mailath-Pokorny, als eine Art Mediator, bittet um Frieden und gedenkt der Verstorbenen: Farocki, Flicker, Glawogger - Glawoggers Fehlen im Viennaleprogramm wird plötzlich umso deutlicher.
AP/Edwin Reichert
Was ist denn überhaupt passiert, dass um Frieden gebeten werden muss? Am Sonntag schreibt Stefan Grissemann vom Profil von den rätselhaften Vorgängen im und rund um das Filmarchiv, Metrokino, Sommerkino, Filmkultur in Drosendorf, NÖ und Viennale.
Am Mittwoch erscheint im Falter ein sogenannter Zornmonolog von Hans Hurch. Darin kritisiert Hurch vor allem den Umgang der Kritiker mit Kulturpolitik - er redet von einer Kulturpolizei, Privatpolizei des Filmmuseums/Alexander Horwaths, Parksheriffs, usw. Auf all das und was Kulturpolitik überhaupt soll, geht Hurch bei seiner Eröffnungsrede noch einmal ein. Hätte ich, gerade einem Transatlantikflug entkommen, am Donnerstag keine Zeitung aufgeschlagen - ich hätte mich gar nimmer so gut ausgekannt.
Hurch kann seine beleidigte Haltung allen gegenüber kaum kaschieren: er habe den heurigen Eröffnungsfilm NICHT ausgesucht, weil er von einer Frau ist! Und er habe ihn auch NICHT ausgesucht, weil er aus Österreich ist! Passt eh, Hans.
Der bekannte Viennale-Ablehner Haneke sitzt im Publikum, seine "Schülerin" Jessica Hausner ist Regisseurin des Eröffnungsfilms, "Amour Fou". Eigentlich war Hausner an der Filmakademie nie eine Schülerin Hanekes, aber jetzt haben beide einen Film mit "Amour" im Titel. Das ist französisch und heißt Liebe. Die französische Revolution kommt in Hausners Film immer wieder in Gesprächen an die Oberfläche und suggeriert eine Bedrohung der Ordnung. Auch der Titel "Amour fou", der als Floskel fast unübersetzbar ist, suggeriert eine Bedrohung der Ordnung. Wo aber bleibt die Bedrohung der Ordnung in diesem Film?
"Liebe"
Interview mit den Ausstatterinnen von "Amour Fou"
Hausner eröffnet die Ansprache vor ihrem Film mit einem Rückblick auf ihre persönliche Viennale. Sie betont dabei, wie wichtig ihr "das Seltsame" im Kino immer gewesen ist; das, was heraussticht. "Seltsam" und "besonders" lassen sich natürlich breit definieren; für einen Menschen, der noch nie einen österreichischen Film gesehen hat, müssen diese Filme wirklich mysteriös erscheinen. Vielleicht nicht ganz wunderbar, aber mysteriös ist schon mal gut, oder?
Hausners "Amour Fou" lässt uns sofort wissen: Hier handelt es sich nicht einfach um einen Historienfilm. Hier handelt es sich nämlich um einen besonderen, seltsamen Historienfilm. Hier handelt es sich um Gottes Willen nicht um einen Mainstream-Historienfilm! Vor allem handelt es sich nicht um "Pride and Prejudice" (das lese ich in einem Interview mit den Ausstattern - aber welchen der zahlreichen "Pride und Prejudice"-Filme genau wollte man eigentlich vermeiden?)
Viennale
"Amour Fou" wird fast ausschließlich aus der Perspektive Henriette Vogels erzählt. Henriette führt das Leben einer Frau und Mutter ihrer Zeit: ruhig und brav. Bei einer Soirée lernt sie Henrich von Kleist kennen, der sie fasziniert. Etwas verändert sich für Henriette bei der Betrachtung des Dichters: Sie beginnt sich selbst und die herrschende Ordnung zu hinterfragen und gerät dabei ein bisschen aus den Fugen. Dann bittet Kleist sie auch noch, nachdem die Frau seiner Wahl abgesprungen ist, Partnerin in seinem Doppelselbstmord zu sein. Er sagt es so, wie Menschen normalerweise Liebesanträge machen; gleichzeitig macht er Henriette klar, dass sie nicht Objekt seiner Begierde ist. Ein ungeschicktes Hin-und-Her beginnt. Aber wie der Untergang der Titanic, der auf jeden Fall kommen muss, so ist es dann mit dem Doppelselbstmord bei "Amour Fou".
Viennale
Amour fad?
Ich würde hier gerne über den "eh gut"-Film sprechen. Ge-coined, wenn auch nicht offiziell, hat diesen Terminus Pia Reiser. Ich definiere den "eh gut"-Film als einen, an dem wirklich nichts auszusetzen ist, egal wie man ihn auch wendet - und trotzdem, irgendwie fühlt sich irgendetwas nicht richtig an. "Amour Fou" ist ein feiner Film, und genau das ist sein Problem.
Die zärtlich porträtierte, etwas linkische Annäherung der Hauptfiguren an den Selbstmord - eh sehr gut. Wirklich bezaubernde Hauptdarsteller. Thema: Doppelselbstmord; tja, was soll man dazu noch sagen. Es gibt ein paar nüchterne Momente, die natürlich NICHT an "Pride and Prejudice" (2006) erinnern - also an den von Joe Wright, der bekanntlich "Jane Austen" mit "Brontë" verwechselt hat. Eine gewisse Trockenheit von Hausners Film, etwas Luftleeres und Kammerspielartiges, sein klein-bisschen schwarzer Humor, von dem es ruhig mehr hätte geben können, erinnern mich dann aber doch an... naja egal. Auch ein wenig erinnert mich der Film an Dreyer, ohne dass er je ein offensichtliches Zitat in die Richtung wirft, vor allem anderen aber: an Hausners Nicht-Lehrer Haneke.
Die Bilder wirken bis auf den Millimeter perfekt komponiert, mit Rücksicht auf eine fast witzige Asymmetrie. Alles eingefangen von einer kalten, überscharfen Digitalkamera - als Bruch, vermeintlich. Viel Inspiration holte sich Hausner bekanntlich aus der Kunstgeschichte. Das geschieht nicht nur bei Tableaus - sie geht so weit ins Detail, die Figuren bei Gesprächen wie Silhouetten von der Seite zu Filmen.
Ein Historienfilm, der so nah an den ruhelosen Stillstand berühmter Gemälde angepasst ist, kann nicht anders, als doch in seinen Ambitionen ein bisschen an "Barry Lyndon" (1975) von Stanley Kubrick und seiner Nachbildung der Hogarthgemälde zu erinnern. Wenn auch weniger humorvoll, so umgibt Hausners Film doch ein wenig die Aura dieser Ungeschicklichkeit, die die Figuren von Kubricks Film umflort. Umso mehr aber sticht die digitale Bildqualität hervor - bewusst, möchte man meinen. Was will dieses Statement? Ist es eine Art Bühnenbildlosigkeit, die gewollt wird, wie in den amerikanischen Theaterstücken von Thornton Wilder? Oder ist es doch Dogma?
Und wieviel bringt es uns heute, während einer doch erschreckend biederen Viennale-Eröffnung, sich über die Biederkeit einer Gesellschaft vor 200 Jahren lustig zu machen?
Lieber sollten wir uns Fassbinders wunderschönen, todernsten und damit todaktuellen "Effi Briest" (1974) noch mal anschauen.
Arthaus
Und was ist das mit dem Titel: offensichtlich will Hausner hier einen Bruch, um bewusst unsentimental zu sein. "Zum erschießen!", brüllt eine Randfigur zu Beginn des Films. Das ist irgendwie humorvoll. Ein Film mit dem schwerwiegendem Titel "Amour Fou" könnte durchaus mehr davon vertragen.
... und nun geht’s los
Heute, im Jetlagmodus, erhoffe ich mir fünf Filme. Jetzt gleich "Dolares de Arena" und die Doku "Ming of Harlem", dann die spannenden Fragen: ob ich mich wirklich in einen späteren Godard trau? Oder vielleicht doch noch mal wieder "How Green Was My Valley"?
Wird "Bande des filles" einfach nur so ein weiterer Milieufilm?
Und wieviel Jane Bowles werde ich tatsächlich in Dolares de Arena finden? Und werde ich, trotz Übermüdung, die William S. Burroughs-Doku schaffen?
Was erwartet die Leserschaft heute? Und bin ich, was "Amour Fou" und den österreichischen Film betrifft, ein zu großer Grantscheam?