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Irmi Wutscher

Gesellschaftspolitik und Gleichstellung. All Genders welcome.

21. 10. 2014 - 17:41

Fünf Jahre #unibrennt

Vor fünf Jahren, am 22. Oktober 2009, wurde das Wiener Audimax besetzt und es entstand die #unibrennt-Bewegung, die sich auf ganz Österreich und Deutschland ausbreitete. In Organisationsform und Kommunikation war sie bei neuen sozialen Bewegungen ganz vorne dabei.

Es ist der größte Hörsaal Österreichs: Nach einer Demo gegen die Umstellung auf das Bologna-System besetzten Studierende am 22. Oktober 2009 das Audimax der Universität Wien. Die Forderungen wurden schnell ausgeweitet: gegen eine Verschulung der Studienpläne, für mehr Freiheit bei der Gestaltung des Studiums, für die Ausfinanzierung der Unis und gegen Studiengebühren und Zugangsbeschränkungen. Außerdem stellten die BesetzerInnen weitreichende gesellschaftspolitische Ansprüche.

Der besetzte Audimax der Uni Wien

Radio FM4 / Markus Zachbauer

Das besetzte Audimax

Im Rückblick eigentlich bemerkenswert, dass es in Österreich im Jahre 2009 so früh und so öffentlichkeitswirksam eine Protestbewegung gegeben hat. Politikwissenschaftler Thomas Schmidinger, der sich damals als Präsident der IG externe LektorInnen und Freie WissenschafterInnen mit #unibrennt solidarisiert hat, meint: "2009 waren die Rahmenbedingungen für #unibrennt günstig: Die Wirtschaftskrise stand erst am Anfang und global hatte man das Gefühl: Es tut sich etwas. Und auf der Uni selber gab es gerade die Umstellung auf das Bologna-System, das hat jeder Studierende gespürt."

Immerhin ist #unibrennt relativ zeitgleich bzw. sogar vor den vielen großen Protestbewegungen der letzten Jahre entstanden und hat international Aufmerksamkeit erregt. Und das, obwohl oder eben weil die aufsehenerregenden Proteste wie Occupy oder der arabische Frühling erst ein bzw. zwei Jahre später stattfanden.

Gelebte Basisdemokratie im Plenum

Das Zentrum der #unibrennt-Bewegung war das Plenum: Dort wurde alles entschieden, jede Kommunikation nach Außen koordiniert und Arbeitsgruppen zu Unterthemen gebildet. "Die erste Entscheidung des Plenums war die Besetzung des Audimax", sagt Sigrid Maurer, 2009 im ÖH-Vorsitzteam und oft im Audimax anwesend. "Die zweite, zu bleiben. Und die dritte war, glaube ich, schon die Einrichtung einer AG Putztrupp." Denn die ersten Nächte wurden im Audimax neben Diskutieren und politischem Zusammenschließen auch mit wilden Parties verbracht - und die AG Putztrupp oft damit beschäftigt, die Spuren dieser Parties am nächsten Tag wieder zu beseitigen.

Audimax besetzt

markus zachbauer

Das besetzte Audimax

Weil vor allem am Anfang der Besetzung einige Hundert bis einige Tausend bei den Plena anwesend waren, einigte man sich auf spezielle Kommunikation per Handzeichen: zum Beispiel eine Art Wedeln mit den Händen als Zeichen von Zustimmung anstatt Klatschen. Christoph Hubatschke, der von Anfang an bei #unibrennt dabei war, sagt, solche Handzeichen sind schon zuvor bei verschiedenen politischen Bewegungen und in den BaGrus an den Unis verwendet worden. "Es war auch sehr praktisch, weil man bei ein paar Hundert oder Tausend BesucherInnen im Audimax schnell sehen konnte, ob es Zustimmung gibt. Bei vielen Wortmeldungen dauert das Handwedeln auch kürzer als Klatschen. Ein Punkt war für uns auch, dass es barrierefreie Kommunikation ist, da haben wir mit der Vertretung der gehörlosen Studierenden zusammengearbeitet."

Viele statt ChefsprecherIn

Die strikte basisdemokratische Ausrichtung der Bewegung setze sich auch in ihrer Medienstrategie fort: Es gab zwar eine AG Presse, aber keine designierten SprecherInnen. Es konnte sich jedeR einfach melden und für Interviews zur Verfügung stellen. Auch für Fernseh-Talkformate - unter anderem gab es ein "ORF im Zentrum" und einen "Club 2" zum Thema - wurde immer einE andereR geschickt – mit wechselndem Erfolg. Überhaupt hatte die Medien ein Problem damit, dass es nicht ein Gesicht der Bewegung gab, das immer auftrat und Wiedererkennungswert hatte.

Wissenschaftsminister Johannes Hahn und protestierende Studierende bei der Eröffnung eines neuen Gebäudes der Wiener BOKU

APA/ROBERT JAEGER

Protest beim damaligen Wissenschaftsminister Johannes Hahn.

"Diese Strategie ist bis heute eine der umstrittensten Fragen bei #unibrennt!" sagt Christoph Hubatschke. "Ich persönlich finde, es war wichtig, um zu vermeiden, dass irgendwer oder irgendeine Gruppe so eine Bewegung vereinnahmt. Ein Nachteil ist natürlich, dass es schwerer ist in medialen Kontexten präsent zu sein. In Talkshows oder ähnliches wurde immer jemand anderes vom Plenum entsandt. Die Qualität von dem, was die gesagt haben, war dann immer unterschiedlich. Oft sagten die auch vor laufender Kamera: 'Das weiß ich nicht, das muss ich mit dem Plenum klären'. Das ist halt nicht das, was die Medien hören wollen. Als Folge wurde dann nur mehr die ÖH eingeladen und Sigrid Maurer musste im Fernsehen erklären, was diese Bewegung eigentlich will." Eine Einsicht, die Maurer teilt: sie habe #unibrennt oft für die Medien "übersetzen" müssen.

Die Folge war auch, dass die Bewegung von den Medien immer mehr auf die Unipolitik-Themen reduziert worden ist - bzw. den #unibrennt-AktivistInnen vorgeworfen wurde, sie würden "zu viel" verlangen: Mehr Freiheit bei der Fächerwahl UND globale Solidarität? Das ließ sich in einer Nachrichtensendung nicht unterbringen.

Twitter in Österreich erst bekannt gemacht

Denn vor allem in Sachen Social Media und Kommunikation in Netz hat #unibrennt - eher unbeabsichtigt - in Österreich neue Standards geschaffen. Mit Livestreams von Plena, mit einer eigenen Homepage und vor allem mit der intensiven Nutzung von Twitter, das damit als soziales Medium in Österreich erst so richtig angekommen ist. "So wie viele hab auch ich Twitter damals zum ersten Mal ausprobiert", erinnert sich Christoph Hubatschke. "Es hat sich schnell als geeignetes Tool für schnelle Kommunikation und spontane Organisation herausgestellt. Und das hat sich sehr schnell verbreitet." 2010 bekommt #unibrennt dann den Prix Ars Electronica in der Kategorie "Digital Communities".

"Es war irre dynamisch", erinnert sich auch Sigrid Maurer. "Da hat jemand geschrieben 'Wir brauchen jemanden zum Zwiebelschneiden' und zehn Minuten später sind Leute in der VoKü aufgetaucht!" An der größten Bildungsdemonstration nahmen damals zwischen 10.000 und 50.000 Menschen teil. "Die ÖH selber hätte das sicher nicht so zustande gebracht, nicht mit dieser Dynamik und Begeisterung", so Maurer.

Die Organisation via Twitter ist vielen Protestbewegungen in Österreich bis heute geblieben: Auf allen großen Demos wird mittlerweile das Geschehen getwittert. Mit dem Nachteil, dass auch die Polizei recht genau mitlesen kann, was wann wo passiert. Das war auch bei #unibrennt nicht anders: Damals war der Verfassungsschutz regelmäßig im Audimax, erinnert sich Sigrid Maurer. Und auch bei größeren Protestmaßnahmen, wie im Burgtheater oder vor dem Wissenschaftsministerium ist relativ schnell die Polizei recht hart eingeschritten.

Ein Schild hängt an einer Tür: Schlafen gehen! Wir brauchen euch alle noch länger!

Martin Juen

Mit der Zeit flaute die #unibrennt-Welle ab. Es fanden sich nicht mehr viele Studierende im Audimax ein, der große gemeinsame Schwung war verloren gegangen. Die Bewegung hatte sich zum Beispiel immer wieder an internen Fragen aufgehängt, etwa wie man mit sexuellen Übergriffen oder Sexismus uns Rassimus in den eigenen Reihen umgehen sollte.

Am 21. Dezember 2009, kurz vor den Weihnachtsferien, wurde das Audimax nach 60 Tagen Besetzung polizeilich geräumt. Zu diesem Zeitpunkt waren rund 15 Studierende und an die 80 Obdachlose in der Uni. Über die Weihnachtsferien blieb das Audimax verschlossen. Nach den Ferien Anfang Jänner sahen sich die Studierenden an der Hauptuni dann Securities gegenüber - die eine neuerliche Besetzungen des Hörsaals verhindern sollten.

Das Audimax der Uni Wien wird von der Polizei geräumt

Johanna Jaufer

Das Audimax wird von der Polizei geräumt.

5 Jahre danach

Thomas Schmidinger meint, auf der Uni habe sich seit #unibrennt nichts Großes geändert: Die finanzielle Situation der Unis ist weiter prekär. Der nach den Uniprotesten eingerichtete Hochschulplan hat wenig geändert. Das Bolognasystem ist mittlerweile umgesetzt, es gibt eine neue Generation von Studierenden an den Unis, die das Studieren gar nicht anders kennen oder sich mit den Gegebenheiten arrangiert haben. "Aber wer weiß wie es wäre, wenn es #unibrennt nicht gegeben hätte? Solche Bewegungen sind ja auch oft dafür gut, dass sie Schlimmeres verhindern."

5 Jahre #unibrennt Aktionswoche:

22.10.2014 ab 19 Uhr
Podiumsdiskussion "5 Jahre nach #unibrennt - Bildungspolitik quo vadis?" mit Vorsitz der ÖH, Kurt Grünewald (damaliger Bildungssprecher d. Grünen), EinE von vielen (#unibrennt AktivistIn), Heribert Wulz (stv. Sektionschef bmwfw)

24. - 25. 10. 2014
#unibrennt5-Kongress mir BarCamp und Panels zu Themen digitaler Widerstand, Unipolitik, Prekarisierung von JungakademikerInnen oder Feminismus.

Christoph Hubatschke von #unibrennt meint: "Die Bewegung hat viele Leute zusammengebracht, außerdem die Politisierung einer ganzen Generation von Studierenden erreicht." Auch Sigrid Maurer sieht das so: "Da haben sich ganz viele auf einmal über Sachen Gedanken gemacht, die sonst nie mit Unipolitik in Berührung gekommen wären." Und in kleiner Form sind die Proteste auch immer wieder aufgeflammt – zum Beispiel, als der Bachelor internationale Entwicklung abgeschafft wurde und Studierende kurzfristig das Rektorat der Uni Wien besetzten.

Wo ist der Protest 2014?

Große Protestbewegungen haben sich in Österreich seitdem nicht mehr formiert. "Die Wirtschaftskrise, die damals eine augenblickliche Krise war, ist mittlerweile zu einer dauerhaften Krise geworden" meint Thomas Schmidinger. Aber auch wenn es so scheint, als ob sich in Europa gerade eine Art Müdigkeit breit macht, weltweit kann man nicht davon sprechen: "Ich habe nicht das Gefühl, dass es mit den sozialen Bewegungen vorbei ist." sagt Christoph Hubatschke von #unibrennt. "Ich habe eher das Gefühl, dass es vor 2009 eher ruhig war, dass es aber seit 2009 überall auf der Welt immer neue soziale Bewegungen mit diesen neuen Organisationsformen gibt." Gerade gibt es ja zum Beispiel große Studierendenproteste in Chile und Mexiko, aber auch in Hongkong.