Erstellt am: 21. 10. 2014 - 20:05 Uhr
Keine Spur von Korridor
Mandelbaum
Neue Zusammenschau der Ereignisse in den kurdisch besiedelten Gebieten Syriens: "Krieg und Revolution in Syrisch-Kurdistan" von Thomas Schmidinger (Mandelbaum Verlag), Zwei Stück gibt es zu gewinnen: schick ein Mail an game.fm4@orf.at.
Weiterhin gibt es keinerlei Entspannung entlang der Frontlinien in Syrien und im Irak, wo die Terrorgruppe "IS" alle angreift, die sich ihrem selbsternannten "Kalifat" nicht unterwerfen wollen. Im nordirakischen Shingal, wo die Dschihadisten schon im August Massaker an der dort lebenden jesidischen Minderheit verübt hatten, haben die IS-Terrormilizen jetzt erneut einen Belagerungsring gezogen. Eine übersichtliche Zusammenschau über die Gruppen, die in dieser Region Widerstand gegen den selbsternannten "Islamischen Staat" leisten, findet sich hier, ein aktuelles Telefoninterview mit dem Chef der Verteidigungseinheit HPŞ hier.
Gegenwärtiger Belagerungsring der IS-Terroristen in #Shingal - alle Landwege sind blockiert
#TwitterKurds #SOS_Sinjar pic.twitter.com/Bmn8HinA5P
— êzîdîPress (@EzidiPress) 21. Oktober 2014
Kobanê weiterhin in Gefahr
In der kurdischen Enklave Kobanê in Nordsyrien sieht es nicht besser aus. Die Stadt an der Grenze zur Türkei wird seit mehr als einem Monat von den IS-Terroristen bombardiert. Wegen zuerst ausgebliebener internationaler Unterstützung und der Weigerung der türkischen Regierung, entlang der Grenze einen humanitären Korridor zu errichten, wie es die eingekesselten Kurden seit Wochen fordern, wurde weltweit protestiert. Position der Türkei: die YPG stehe der kurdischen Arbeiterpartei PKK nahe, die (im Gegensatz zum IS) immer noch auf auf US- und EU-Terrorlisten steht.
NEW MAP #Kobane battle 20 Oct 2014 - Reinforcements arrived (bigger : https://t.co/Ba8UUqizmm) pic.twitter.com/mbZEYZRDWN
— Agathocle deSyracuse (@deSyracuse) 20. Oktober 2014
Als viele bereits davon ausgegangen waren, die Stadt würde demnächst dem IS in die Hände fallen, hat die internationale Anti-IS-Koalition begonnen, die Terroristen aus der Luft zu bombardieren. Waffennachschub und Freiwillige, die sich der Verteidigung gegen den IS anschließen wollen, wurden von der Türkei aber weiterhin nicht über die Grenze gelassen.
#Kobanê refugees are being held in awful conditions 24/7, dirty, no fresh air, one filthy toilet for 95 people. pic.twitter.com/a2mz8BKtd9
— Andrew Gardner (@andrewegardner) 18. Oktober 2014
Auf der türkischen Seite platzen die Notunterkünfte aus allen Nähten. Zehntausende sind in den letzten Wochen über die Grenze geflohen. Mehr als zweihundert von ihnen wurden schon Anfang Oktober nach dem Grenzübertritt von der türkischen Exekutive in Gewahrsam genommen - nachdem sie mehr als einen Tag warten mussten, ehe man sie hinüberließ. Diese Kriegsflüchtlinge wurden ohne rechtliche Grundlage und unter unmenschlichen Bedingungen in eine nahegelegene Sporthalle gesperrt. Laut Amnesty-Berichten wurde zuletzt wurde sogar eine Gruppe gezwungen, nach Kobanê - ins Kriegsgebiet - zurückzukehren.
Aus dem Amnesty International Report zur Situation der in der syrisch-türkischen Grenzstadt Suruç Inhaftierten: A 15 year-old boy who had been amongst them came back to Turkey the next day, having sustained a serious injury to his legs in an apparent IS bomb attack. He has since had one of his legs amputated in a hospital in Suruç.
Abkürzungen
- PYD ("Partiya Yekitîya Demokrat") - "Partei der Demokratischen Union") kurdische Partei in Syrien, der PKK nahe stehend
- YPG ("Yekîneyên Parastina Gel") Kurdische Volksverteidigungstruppen, militärischer Arm der PYD
- PKK ("Partiya Karkerên Kurdistan") Kurdische Arbeiterpartei, verübt im Konflikt mit der Türkei in den Neunziger Jahren blutige Anschläge
Amnesty International-Researcher Andrew Gardner hat sich ein Bild von der Lage gemacht. Seit Freitag versucht Amnesty, mit einer Urgent-Action-Kampagne auf die Situation aufmerksam zu machen. Einer der Flüchtlinge hat mir gestern telefonisch von seiner und der Freilassung der etwa hundert Männer berichtet, die zuletzt noch mit ihm festgehalten worden waren; eine offizielle Bestätigung dazu gibt es noch nicht.
#Syria & #Iraq NEW ZOOMABLE MAP situation on Oct 20, 2014 http://t.co/a85s3S9rQP #Kobanê pic.twitter.com/DE0rXEH7N3
— Agathocle deSyracuse (@deSyracuse) 20. Oktober 2014
(Noch) Wenig Hilfe für Kobanê
Vorgestern nacht haben schließlich US-Flugzeuge über Kobanê Munition und Medikamente abgeworfen, die aus irakischen Kurdenregionen stammen sollen. Der Nachricht vom "Airdrop" folgte jene von einem Einlenken der türkischen Regierung: man werde jetzt doch militärische Verstärkung über den türkischen Landweg die Grenze nach Kobanê passieren lassen. Der türkische Außenminister Mevlüt Cavusoglu erklärte gestern, "Wir werden die kurdischen Kämpfer im Irak über die Türkei nach Kobanê ziehen lassen."
Ersten Berichten zufolge soll das ausschließlich für Peschmerga-Kämpfer aus dem Irak gelten. Die irakischen Kurdengebiete werden anders als Nordsyrien nicht von der PYD (und mehreren kleinen Fraktionen) regiert, sondern sind fest in der Hand von Masud Barzani, der anders als die PYD verhältnismäßig gute Beziehungen zur Türkei pflegt. PYD und Barzani, mit seiner PDK ("Demokratische Partei Kurdistans"/"Partîya Demokrata Kurdistanê") tonangebend im irakischen KRG ("Kurdistan Regional Government"), stehen in zeitweise heftiger Konkurrenz zueinander.
Während die Nachricht vom kommenden Korridor und den Mitgliedern europäischer Motorradgangs, die sich dem Kampf gegen den IS anschließen wollen, um die Welt ging, spitzt sich die Lage in Kobanê erneut zu: Offenbar haben die Terroristen schon wieder Verstärkung herbeordert. Beobachter vor Ort äußern sich zunehmend besorgt.
'Last night, fiercest battle yet in #Kobanê,' ypg spokesman tells me. Seems ISIS putting all its might to capture town b4 peshmergas arrive.
— Jenan Moussa (@jenanmoussa) 21. Oktober 2014
"These fighters are part of the international coalition"
Extensive interview with Idris Nassan: About life in a besieged city and the Turkish-Kurdish peace process hanging in the balance
Interview mit Kobanê-Außenbeauftragtem Idris Nassan
Public Domain
Von einem Korridor könne man derzeit nicht sprechen - überhaupt habe sich am Boden kaum etwas geändert, so der Kobanê-Außenbeauftragte gerade am Telefon. Im Interview nimmt Idris Nassan zu den jüngsten Entwicklungen Stellung.
Everyone said that there were very fierce clashes and attacks of ISIS again?!
Today it's somehow calm - no fierce clashes - but last night, yes: there were fierce clashes at the Eastern and South-Eastern side of Kobanê. They also sent two VBIED cars trying to make progress to the city center and towards the border gate. But YPG responded them strongly and stopped their progress. Also, there were airstrikes - even today, [there were] two airstrikes: one in the Eastern side of Kobanê and the other one in the Eastern countryside. Now, [there are] just simple clashes - [there is] some kind of cleaning operation by YPG against ISIS terrorist fighters.
So they couldn't gain new territory ?
No, no. They tried hard, but they failed.
I am here w/ Kurdish man from #Kobanê. He comes everyday to watch fighting in town. His best friend became ISIS fighter, 'that hurts most' >
— Jenan Moussa (@jenanmoussa) 21. Oktober 2014
Do you know for how long this [the airdropped supplies] will be sufficient?
The ammunition and weaponry will be helpful for the YPG, but they will not be enough to push ISIS back sharply or to defeat them on the ground of Kobanê. We need more weaponry, we need more ammunition.
About the corridor - we have been plastered with reports saying that there is going to be a corridor. Yesterday, the Turkish administration also confirmed on it. Have any volunteers already reached Kobanê?
Until now, no humanitarian corridor to Turkey [was established]. It's some kind of propaganda again.
Helfen
ORF & NACHBAR IN NOT: Winterhilfe für Flüchtlinge aus Syrien und dem Nordirak
Kurdischer Roter Halbmond: Hier kann man für die Flüchtlingshilfe für Shingal/Kobanê spenden
Just maybe some small groups of people crossed [the border]. Civilian people from Kobanê who want[ed] to return to Kobanê. This is no humanitarian corridor. A humanitarian corridor means that there must be relief aid, [that] there must be some weaponry, some ammunition to cross, and also fighters who want to fight in Kobanê must [be able to] cross easily. I think that until now [there is] only propaganda [about that] in mass media, by the Turkish government.
RT @DavidFurstNYT: International Photo of the Day - (Lefteris Pitarakis/Associated Press. #Kobani, Syria) - pic.twitter.com/a0WoEEuz5g #Kobanê
— Janine Louloudi (@janinel83) 20. Oktober 2014
Has there been any communication between you and the Anti-IS-coalition about who is going to be able to enter?
Nothing. We haven't received any news, we haven't [been] informed about Peshmerga or any other fighters coming to Kobanê. It is again just some kind of Propaganda by the Turkish government. They say that they are going to allow for Peshmerga fighters to cross to Kobanê, and also maybe the KRG leaders declare that they are going to send Peshmerga. But we as the democratic autonomous administration in Kobanê declared clearly that we haven't been informed until know and we haven't any information about that.
And you would want to be informed beforehand, I guess.
Of course.
Der Kampf um Kobanê auf FM4
- "They are trying to control your dreams": Idris Nassan ist Außenbeauftragter des belagerten Kobanê und berichtet von den Kämpfen gegen die IS-Terroristen.
- "There are no weapons to stop this": Interview with Mutlu Çiviroğlu, pt. I
- "Es droht ein Massaker"- Der Kobanê-Verteidigungschef im Telefoninterview
- "Assads größter diplomatischer Triumph" - Interview with Mutlu Çiviroğlu, pt. II
- "Notfalls lachen": Ein IT-Spezialist in einem Pfefferonifeld und was das mit dem Kampf um Kobanê zu zun hat
- "Kampf um Kobanê: Regionale Lage und inner-kurdische Konflikte
Were you surprised by the fierce attacks last night? Do you think it's them trying to push into Kobanê before more help arrives?
They are trying hard to conquer Kobanê every minute and everytime. But they fail, this is what I can tell you.
bbc
About the situation of the people who want to get out of Kobanê - do you have any information if it has become easier for wounded people to get out, because there have been so many reports about people who died at the border because they had to wait too long.
Yes, many people died at the border - I mean wounded people who are waiting for long hours to cross to Turkey. Sometimes, they let them go [in] easily, other times they keep them waiting. It depends on their mood. So, there is no humanitarian corridor.