Erstellt am: 18. 10. 2014 - 15:36 Uhr
Es herbstelt
Aus dem Leben der Lo-Fi-Boheme
Geschichten aus der deutschen Hauptstadt von Christiane Rösinger
Das außergewöhnlich schöne Oktoberwetter hatte uns irgendwie vorgegaukelt, es wäre alles nicht so schlimm und das Leben ein immerwährender Spätsommer. Aber als Fan der Jahreszeiten muss man natürlich auch den nebligen Herbst und kalten Winter akzeptieren. Aber wie? Bald kommt die Zeitumstellung und dann fängt es um fünf Uhr nachmittags schon an zu dunkeln! Es ist nass, es ist trüb, es wird immer kälter, die politische Weltlage ist angespannt. Man sorgt sich um Ebola und den IS, der Dax ist am Fallen und Baumeister Bob wurde künstlich verjüngt.
Auch in Berlin herrscht schlechte Stimmung
Die hiesige SPD sucht immer noch einen neuen Bürgermeister, nachdem unser alter Wowi seinen Rücktritt zum 11. Dezember verkündet hatte. Die drei Kandidaten stellen sich nun ständig überall vor, denn die SPD-Mitgliederversammlung entscheidet, wer Bürgermeister von Berlin wird. Aber auch in der Bürgermeisterfrage scheint sich das alte Sprichwort "Es kommt nichts Besseres nach!" zu bewahrheiten.

APA/EPA/MAURIZIO¦GAMBARINI
Auch das leidige Thema rund um den "nicht fertig werden wollenden Flughafen" schlägt ganz Berlin auf's Gemüt. Man ist immer noch nicht so weit, einen Termin für die Eröffnung nennen zu können und spricht jetzt von einem "Terminband", das bald bekannt gegeben wird. Was ist bloß ein "Terminband"? Ein nach hinten offenes Zeitfenster? Und wird dieses neue unsinnige Wort in den Sprachgebrauch eingehen?
- A: "Hast du die nächsten Tage mal Zeit?"
- B: "Ich muss erst mal sehen, ob es ein Terminband gibt!"
Die Kreuzbergerin macht dieser Tage weniger die unendliche Weiterverschiebung der Flughafeneröffnung traurig, als die neuesten Nachrichten zum "Festsaal Kreuzberg". Der beliebte Konzertort war im Sommer 2013 abgebrannt und sollte am alten Platz wieder aufgebaut werden. Das Betreiberteam setzte alle Hebel in Bewegung, via Crowdfunding kamen mehr als 32.000 Euro zusammen und ein Großteil der Summe floss in Gutachten und Architektenhonorare zur Planung des Wiederaufbaus. Doch nun hat es sich der Grundstückseigner anders überlegt und will statt eines Konzert- und Tanzclubs lieber ein fünfstöckiges Bürogebäude, sein "Palais", dort errichten.
"Sämtliche Fraktionen des Abgeordnetenhauses haben den Eigentümer in einem Schreiben aufgefordert, den Festsaal als Teil der Kreuzberger Kulturlandschaft zu erhalten", heißt es. Das habe ihn zwar beeindruckt, aber nicht von seinem Vorhaben abgebracht. Alles umsonst.
Auch vergebens, zumindest für die betroffenen Refugees, waren wohl die Proteste im Sommer an der Schule in der Ohlauer Straße. Nach verschiedenen Kompromissen und Einigungspapieren und Versprechungen, die vom Senat nicht eingehalten wurden, nach der tagelangen Abriegelung mehrerer Straßenblöcke mit riesigem Polizeiaufgebot hat man jetzt festgestellt: Die Flüchtlinge können nicht dort bleiben, es ist zu teuer. Über zwei Millionen Euro werden die Ohlauer-Flüchtlinge den Bezirk bis Jahresende kosten. Und wohl deshalb ist Kreuzberg pleite, eine Haushaltssperre wurde im September beschlossen.
Die hohen Kosten, 30.000 Euro pro Monat, entstehen durch 16 private Sicherheitsleute, die den Zugang zur Schule kontrollieren, um neue Besetzungen zu vermeiden, sowie durch Aufräumarbeiten und Müllbeseitigung.

Christiane Rösinger
Natürlich ist es unsinnig Millionen auszugeben, damit vierzig Leute in einer Schule wohnen können. Und letztendlich haben die Flüchtlinge auch dort keine Chance mehr, die unmenschliche deutsche Asylpolitik kann nicht von Kreuzberg aus geändert werden. Durch die Haushaltsperre wird es wohl zu einer Entsolidarisierung kommen. Die durchschnittliche Kreuzbergerin, die sich durchaus für ein Bleiberecht der Flüchtlinge einsetzt, wird auch sauer, wenn die längst überfällige Toilettensanierung in den Kreuzberger Schulen wegen der Haushaltssperre wieder verschoben wird. Und den Flüchtlingen bleibt als Perspektive nichts als unterzutauchen und als "Illegale" weiter zu vegetieren, wenn sie nicht abgeschoben werden wollen.
Indessen kommen aus Syrien und dem Irak immer neue Flüchtlinge nach Berlin. Weil man vom Andrang überfordert ist hat man zwischenzeitlich einfach die zentrale Anlaufstelle für Asylbewerber wegen Überfüllung geschlossen. Berlin im Herbst - also kein Grund zur Euphorie.