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Philipp L'heritier

Ocean of Sound: Rauschen im Rechner, konkrete Beats, Kraut- und Rübenfolk, von Computerwelt nach Funky Town.

4. 10. 2014 - 15:06

Der dünne Mann

Leise Töne und Glitzerpop: Der Freitag beim Waves Festival Wien. Alexis Taylor hält die Welt in Atem.

Waves Vienna 2014

Vorschau
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Freitag
Der dünne Mann: Alexis Taylor hält die Welt in Atem.

Samstag
Ein kleiner Streifzug durch die Stadt: mit Konzerten und viel Gesprächsstoff.

wavesvienna.com

Wir können uns mittlerweile auf Popkonzerte vorbereiten, so wie wir das normalerweise nur vor Besuchen in der Oper tun. Genau wissen, was kommen wird, Setlisten auswendig lernen, den Knüller der Überraschung über Bord schicken. So ist es auch beim Waves Festival eher unwahrscheinlich, dass man blind durch die Stadt stolpert. Man wird sich das vorher schon überlegt haben, was und wen man sich da in etwa wann anschauen wird wollen. Am Freitagabend war zwischen vielen unbekannten Namen und Gesichtern der englische Musiker Alexis Taylor einer der Acts mit relativer Starpower und Wiedererkennungswert.

Richard Taylor

Richard Taylor

Alexis Taylor

Taylors Hauptband Hot Chip gehört zu den besten und erfrischendsten Popgruppen der vergangenen zehn Jahre - selbst wenn mit den letzten Alben der Faktor der Sensation ein wenig verblasst ist. "Hot Chip und sowas" könnte man sich also so in Klammern in Kopf gedacht haben, falls man am Freitag das Konzert von Alexis Taylor im Flex aufgesucht hat. Ein bisschen sich irgendwo dran anhalten, ein bisschen sich verwundern lassen.

Was Alexis Taylor nämlich solo so macht, dürfte nicht allzu bekannt sein. Sein dieses Jahr erschienenes, bezauberndes zweites Soloalbum "Await Barbarians" ist in der öffentlichen Wahrnehmung ziemlich untergegangen und war kein durchschlagender Poperfolg. War auch nie so gedacht. Taylor widmet sich auf "Await Barbarians" nicht bunt spritzenden Dancepop, sondern zeichnet mit dünnstem Stift skizzenhafte Songminiaturen.

Mehr als sparsam instrumentiert, an den zerbrechlichen Sehnsuchtsliedern von Robert Wyatt und Mark Hollis orientiert. Intime Glasmusik für die Momente der Kontemplation im heimeligen Cognac-Zimmer, jedoch, so war eventuell zu befürchten, könnte sich diese ganz und gar ohne Aufregung auskommende Angelegenheit in der Live-Darbietung, nun ja, ein bisschen "langweilig" gestalten. Es ist so schwierig lange die Konzentration zu halten, wenn es nicht ständig hupt und knallt. Das Gegenteil war der Fall. Alexis Taylor weiß um den mangelnden Party-Appeal seiner Musik und fand einen Mittelweg, der nicht Durchschnitt ist.

Kids NCats

Patrick Muennich

Kids N Cats

Der kleine Mann mit der großen, dünnen, weltverändernden Stimme kam in Begleitung einer dreiköpfigen Band: Drummerin und Multiinstrumentalistin Sarah Jones und Alleskönner Rob "Grovesnor" Smoughton, die beide auch Hot Chip bei ihren Konzerten verstärken, sowie ein ebenfalls höchst versatiler junger Mann, der Taylor in dem experimentell ausgerichteten Projekt About Group unterstützt.

Zwar versuchten Taylor und Band freilich gar nicht, das Energie-Level eines Konzerts von Hot Chip zu erreichen, jedoch waren die Songs im Vergleich zum Tonträger deutlich munterer arrangiert und instrumental ausgeschmückt. Eifrig wurde an den Instrumenten rotiert, geschmeidig glitt die Gruppe zwischen Hall-and-Oates-Soul, laszivem Yacht Rock und pastoralen Balladen hin und her. Es gab weiche Gitarrensoli und Mundharmonika.

Villalog

Armin Rudelstorfer

Villalog

Im ersten Drittel schien das Konzert in einem schwammigen Soundbrei zu ertrinken, was derlei subtil agierende Musik natürlich komplett zerstört. Es wurde besser. Als dann irgendwann Taylors Stimme klar in den Raum trat, durfte man sich als Teil eines weihevollen Ereignisses begreifen.

Sicherlich, sollte man nicht allzu gut mit den Songs vertraut gewesen sein, mag die Magie des Alexis Taylor wie ein Sedativum angemutet haben. Große Anstalten, jemanden mitzureißen, macht diese Band nämlich nicht. Nur ein klitzekleines bisschen: Zwischen Taylors Solosongs - ganz großartig: "Closer To The Elderly" und "Am I Not A Soldier?" - war dann doch der eine oder andere Hot-Chip-Song zu hören: "Made in the Dark" und "Now There is Nothing", klarerweise entschlackt und downgeshiftet.

Mirel Wagner

Patrick Muennich

Mirel Wagner

Als Zugabe gab es noch das About-Group-Stück "I Never Lock That Door" und, noch einmal Hot Chip, "Look At Where We Are". Johlen, Ratlosigkeit, ein kleines Beben im Körper. Ein leiser Triumph eines Mannes und einer auf hochsympathische Art wunderbar zusammenspielenden Gruppe von Menschen, denen die Idee und das Wort "Triumph" sicher zuwider sind.

Wie gehabt gab es auch vor, nach und zwischen Alexis Taylor Gelegenheit sich von vielen anderen Konzertdarbietungen bespaßen zu lassen: Den Auftritt der österreichischen Gruppe Kids N Cats beispielsweise, am frühen Abend im Turmzimmer des Hauses der Musik. Eine Band in kompletter Jeans-Montur und Glitzer in der Attitude. Gut arty angepunkter Synthie-Pop, in dem nur vollkommen logisch auch von der Sängerin imitierte Tiergeräusche vorkommen müssen. Albern, lustig, sehr gut. Auf diese Konfettimusik folgte am selben Austragungsort das Gegenteil: Die finnische Songwriterin Mirel Wagner an der Akustikgitarre, im Gepäck ein neues, bei Sub Pop erschienenes, feines Album. Erschütternde Lieder über den Schmerz und den emotionalen Keller, dargebracht von einer einnehmenden Künstlerin. Kalte Wonne.

hidden cameras

Armin Rudelstorfer

The Hidden Cameras

Fast gleichzeitig war im quasi nebenan liegenden Porgy & Bess das Wiener Trio Villalog zu sehen: Krautrock, kosmische Musik, Space Rock, unter großem Getöse aus Elektronik, Synthesizern, Drums und Gitarre gezaubert. Zwischen den Polen Neu! und Hawkwind finden Villalog mehr als genügend eigene Identität. Demnächst erscheint ein neues Album der Band, man möge es hören. Den Headliner im Porgy & Bess, möglicherweise der ganzen Nacht, gaben am Freitag die stets verlässlichen und erfreulichen The Hidden Cameras: Sicher ein Zugeständnis an den Massengeschmack, muss es auch geben, und, dass diese Band noch nie in Österreich aufgetreten wäre, wird auch niemand behaupten wollen. Man will sich nicht schon wieder dauernd beschweren müssen, dass man wieder einmal gar keine Band gekannt hätte.