Erstellt am: 3. 10. 2014 - 14:13 Uhr
Gitarre, doch nicht tot
Waves Vienna 2014
Vorschau
Empfehlungen fürs Waves Vienna: Showcase Festival heißt wie immer: Bands entdecken. Ein paar Tipps für das Waves Vienna!
Waves Vienna: NewcomerInnen und große Namen: Bekannte Namen des Alternative-Pop und viele NewcomerInnen spielen im Rahmen des Waves Festivals an verschiedenen Locations in Wien. Hier ein paar Tipps.
Donnerstag
Gitarre, doch nicht tot: Wie schön es kracht: Der Donnerstag beim Waves Vienna.
Freitag
Der dünne Mann: Alexis Taylor hält die Welt in Atem.
Samstag
Ein kleiner Streifzug durch die Stadt: mit Konzerten und viel Gesprächsstoff.
Wir wollen uns einmal nicht zu fein sein, eine Ansage, die am frühen Donnerstag Abend ein junger englischer Mann von der Bühne des Flex herab – auf Deutsch – machte, rückwirkend als Motto zu begreifen. "Das nächste Lied ist sehr alt. Wir spielen es nicht oft, aber es heißt "Into the Night"", sprach Ben Gregory, Sänger und Gitarrist der Band mit dem eventuell schwierigen Namen Blaenavon.
Davon, vom Ein- und Abtauchen in die Nacht und ihre Verlockungen, handelt nicht zu geringen Teilen bekanntlich die Popmusik – wir mögen dem vorgegebenen Weg folgen. Es ist also wieder Waves Festival in der Stadt namens Wien, zum vierten Mal, und das ist gut. Viele, viele Acts, von denen bis heute kaum ein Mensch - zu Unrecht - je gehört hat, gibt es zu erleben und es gilt die Reservoirs mit neuem coolen Wissen zu füllen.
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Patrick Muennich
Hinsichtlich der diversen Austragungsorte hat sich das Waves Vienna vom zweiten in den ersten Wiener Bezirk verschoben, Fluc und Pratersauna sind beispielsweise als Locations weggefallen, dafür sind unter anderem das Porgy & Bess, das brut, das Heuer am Karlplatz und ein seltsam verwinkelter Katakombenkomplex namens Elysium, der bislang in der österreichischen Subkultur noch keine entscheidenden Markierungen hinterlassen hat können, hinzugekommen. Die Alte Post in der Dominikanerbastei gibt die solide Festivalzentrale.
Am Donaukanal ist einzig das Flex, steht noch, als Fixum und verlässliche Startrampe in die Nacht verblieben. Vorbei ist es also mit dem schönen Schaukeln in morschen Schiffen mit rudimentär hineingedübelten Bühnen. Veränderung hält das Leben frisch. So war der Donnerstag im Flex schon recht feinschmecklerisch, mit Hang zum Exzess und zur Räudigkeit, gebucht. Ein Abend im Zeichen der guten alten Gitarre, sie kann noch cool sein, es muss nicht immer fiepsen und elektronisch blitzen.
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Patrick Muennich
Das Trio Blaenavon aus dem Städtchen Hampshire ist eine Band mit Aussicht, keiner der drei Musiker dürfte das 20. Lebensalter schon erreicht haben. An der Standardbesetzung Gitarre, Schlagzeug, Bass und Stimme knödeln sich Blaenavon einen meist zerbrechlichen, geschmeidigen Art-Pop zusammen, der in den 80ern vielleicht in der Nachbarschaft von Bands wie Scritti Politti oder Orange Juice, in der Gegenwart in jener der Wild Beasts zu Hause wäre. Dann aber eben bloß noch nicht so kunstfertig ausformuliert, sondern da und dort immer wieder deutlich von der ungestümen Jugend befeuert und Richtung Krach kippend. Die EP "Koso" ist empfehlenswert, in der Live-Darbietung versprühen Blaenavon bisweilen noch den Charme des Unfertigen und Schülerbandhaftigkeit, was der Angelegenheit nicht groß schadet. Irgendwo da drin in Blaenavon wohnt eine sehr gute Band.
Ziemlich fertig klingt und klang hingegen schon die Gruppe, die am Donnerstag Abend im Flex auf Blaenavon folgen sollte. Fertig – kann man interpretieren. Das irische Quartett Girl Band macht abgesehen vom halblustigen Namen sehr viel richtig, wobei "richtig machen" sicher nicht hoch auf der Agenda dieser Band steht. Girl Band, das sind – wait for it – vier Herren, die in ihrer übellaunigen Musik Groove gegen Noise ausspielen.
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Armin Rudelstorfer
Kurze, erratische Lärmattacken, ebenfalls an der klassischen Gitarrenband-Besetzung plus Sänger ohne Instrument, zwischen The Jesus Lizard, Shellac und Melt-Banana, die dann auch gerne ohne Interesse an der Welt oder Flow unvermittelt abreißen, versus frühe, monoton mantrahaft scheppernde LCD-Soundsystem-Stücke minus Elektronik. Dazu entlässt der Mann am Mikrofon giftigen, nöligen Sprechsingsang, den ihm James Murphy und Mark E. Smith in schlechten Träumen eingeflüstert haben. Sehr großartig war das, um zu begreifen, wie ihr Konzert zu interpretieren sei, trug der Frontmann von Girl Band ein T-Shirt, auf dem zu lesen war: "I Melt Your Brains?". Anbiederung an das Publikum gab es bei Girl Band keine, eine der ganz wenigen Bühnenansagen war eine Beschwerde darüber, dass sich im der Band zur Verfügung gestellten Wasser Kohlensäure befände. Mehr ungesunde Arroganz in den Rock'n'Roll.
Der Lärm lebte weiter: Das deutsche Trio Die Nerven machte wieder einmal verlässlich seinem Namen im besten Sinne Ehre. Ätzend geiler Deutschpunk voller Teenage Angst, Bepisstheit und Aura. Die Nerven brachen ihr Konzert vorzeitig, allerdings auch nicht viel zu früh, ab, da der Drummer zwei Fußmaschinen hintereinander kaputtgespielt hatte. Der Gitarrist, der sich während des Konzerts als nicht sonderlich zufrieden mit dem Sound gezeigt hatte, übte sich hernach in der standesgemäßen Zerstörung seines Instruments. Spitzenband.
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Patrick Muennich
Es geschah einiges. Im bis an den Rand gefüllten Porgy & Bess war der Popstar der Nacht anzutreffen: Die englische R'n'B-Hoffnung Kwabs. Auf Platte gelingen dem jungen Mann durchaus bewegende Verschmelzungen von Soul und Elektronik, unter anderem auch in Zusammenarbeit mit dem allseits bekannten Kapuzenmystiker SOHN, die Live-Performance begab sich zu sehr auf Terrain von ausgestellter amtlicher Handwerkerschaft, Jazzhaftigkeit und Virtuosentum. Mit Band wurde hier Soul als Arbeit vorgeführt. Supersouverän, solide, gut gemacht, das Leben fühlend. Wahrscheinlich wird Kwabs gewusst haben, dass er gerade auf der Bühne des Porgy & Bess stand. Perfekt gearbeitetes Sänger-Sein ohne Geheimnis. Die Zeichen stehen klar auf Success.
Man konnte nun beispielsweise im brut österreichische Acts besichtigen, den schön verschlafen-zerzausten Indierock, Schlagseite Pavement, von The Boys You Know beispielsweise, oder auch in der Festivalzentrale bemerken, dass der Lorbeer, der dem jungen finnischen Rapper Noah Kin allerorts gestreut wird, ein richtiger ist. Dass einige der vielen Locations am Donnerstag durch nicht gar so berauschendes Publikumsaufkommen auffallen mussten, liegt daran, dass die Menschen bequem sind und nicht wissen wollen, was leiwand ist.