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Zita Bereuter

Gestalten und Gestaltung. Büchereien und andere Sammelsurien.

25. 9. 2014 - 21:01

"Meine Schwester" gewinnt Wortlaut 2014

Mit der surrealen Kurzgeschichte "Meine Schwester" überzeugte Christoph Strolz die Jury.

Zugegeben – gesund ist das nicht: Aufstehen, Kaffee machen, an den Computer setzen, Tschick anzünden und anfangen zu schreiben. Gesund ist das nicht. Aber effizient, was das Schreiben betrifft, erklärt Christoph Strolz. Nach ein bis zwei Stunden macht er sich dann auf den Weg in die Arbeit zu einer Technikfirma.

portrait christoph strolz

Katharina Bernhard

Christoph Strolz, geb. 1979 in Tirol. Besuch einer Fachschule für gewerbliche Holzbildhauerei. Anschließend Produktion soliden Kunsthandwerks und schlechter bildender Kunst. Studienberechtigungsprüfung. Ab 2000 Philosophiestudium in Innsbruck und Wien. Diplom 2006 mit einer wissenschaftshistorischen Arbeit. Lebt in Wien. Arbeitet seit 2007 als Mann für alles und Mädchen fürs Grobe. Schreibt seit Jahren für die Schublade.

Dabei könnte er auch in Tirol sitzen und Heiligenfiguren schnitzen. Schließlich hat der gewerbliche Holz- und Steinbildhauer zwei Jahre "solides Kunsthandwerk und schlechte Bildende Kunst" produziert. Das forderte ihn dann aber zu wenig und er hat erst in Innsbruck, dann in Wien Philosophie studiert.

In Wien beginnt er dann mit dem Schreiben – erst mit Anfang zwanzig. Als Jugendlicher habe er sich geweigert zu lesen, "geschweige denn zu schreiben".
Er schreibe sehr langsam bzw. redigiere sehr lange an einem Text. Das seien fast Rituale, die ihn selbst nerven, meint Christoph.

Deadlines helfen da, etwas abzuschließen.
In den letzten vier Jahren hat er immer bei Wortlaut teilgenommen - vor zwei Jahren hat er es bereits auf die Longlist geschafft.

Die Jury

Irene Diwiak (Gewinnerin von Wortlaut 2013)
Jens Friebe (Musiker und Musikjournalist)
Gerhard Haderer (Karikaturist und Zeichner)
Eva Menasse (Schriftstellerin)
David Wagner (Schriftsteller)

Alle Infos auf
-fm4.ORF.at/wortlaut14

Und heuer hat er die Jury mit seinem surrealen Text überzeugt: Kongenial sei das Thema "haarig" umgesetzt. Der Text zeige eine interessante Verpelzung der Welt. Auf kurzer Strecke eine literarische Verzauberung, die mit der inneren Flauschigkeit ende. Wobei man gar nicht wisse, ob man sich davor ekeln oder das bewundern soll.
Kurz knackig präzise – ein schöner literarischer Text, allerdings hätte sich die Jury mehr gewünscht.

Es gibt bzw. gab längere Versionen, erklärt Christoph. Aber er habe lange gekürzt. "Vielleicht habe ich es übertreiben mit dem Kürzen, schon möglich. Aber ich finde Kürzen eine sehr wichtige Aufgabe. Eine ideale Kurzgeschichte muss man wirklich an den Punkt führen, wo man kein Wort mehr wegnehmen kann, ohne dass der Text wesentliches verliert."

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DER STANDARD

Der Standard

Der Gewinnertext wird im Standard abgedruckt.

Die Kurzgeschichte "Meine Schwester" zum Nachlesen.

"Natürlich geht so etwas nicht von heute auf morgen.
Solche Veränderungen vollziehen sich niemals schlagartig, und auch wenn ich weiß, dass man mit solchen Behauptungen sehr sehr vorsichtig sein muss: So ist die Welt wohl einfach nicht gestrickt. Vielmehr neigt sie zu fast unmerklich schleichenden Prozessen, zu ganz sanftpfotigen Bewegungen auf frisch gefallenem Schnee oder auf weichem, mit Wasser vollgesogenem Moos. Ich meine mich zu erinnern, dass ich es zuerst an meiner Kaffeetasse bemerkt hatte. Als ich sie eines Tages aus dem Geschirrspüler nahm und im
Hängeschrank über der Spüle verstauen wollte, fühlte sie sich ein bisschen eigenartig an. Freilich nicht eigenartig genug, um der Sache augenblicklich auf den Grund gehen zu müssen. Nur eigenartig genug, dass ich mich ein ganz klein wenig bemühen musste.
Sie kennen das vermutlich, wenn man scheinbar einen minimalen Widerstand überwinden muss, um einen flüchtigen, unstimmigen Eindruck zu ignorieren.
Dieser Widerstand begann allmählich größer zu werden. Bis er sich schließlich zu einer solchen Hürde aufgebaut hatte, dass ich, als ich wieder einmal meine Tasse aus dem Geschirrspüler nehmen und im Hängeschrank über der Spüle verstauen wollte, nicht
mehr umhin kam festzustellen: Ja, es ist so, selbst meine Schwester hält mich für ein Arschloch. Und ja, meine Kaffeetasse fühlt sich tatsächlich pelzig an."

Tasse

luftschacht

Gerhard Haderer zeichnete die pelzige Tasse für das Buchcover

Die Idee zu "Meine Schwester" basiert auf der Grundstimmung einer Flauschigkeit im Inneren. Das wollte er einerseits immer schon mal beschreiben.
Dann habe er einen philosophischen Text von Hursthouse über arationale Handlungen gelesen. Darin führt sie "an etwas pelzigem lecken" als Beispiel für eine arationale Handlung an. Dieses Bild hat Christoph nicht nur sehr gut gefallen, sondern war auch der Startschuss, diese Flauschigkeit wortwörtlich zu nehmen und durchzuexerzieren.

Der erste Platz bekommt:

  • Euro 1000 (Zur Verfügung gestellt von Paperblanks.)
  • Veröffentlichung im Wortlaut-Buch, das im Herbst im Luftschacht Verlag erscheinen wird
  • DER STANDARD Goodie Bag
  • Ein Jahresabo der Literaturzeitung Volltext
  • FM4 Goodies der Saison
  • Ein Notizbuch von Paperblanks
logo paperblanks

Alle drei Preisgelder werden von Paperblanks zur Verfügung gestellt.

"Ich sitze am Fenster, schaue nach draußen. Wolken ziehen vorüber. Blätter wiegen sich im Wind. Am Balkon des Nachbarn hängen Blumenkisten: Überdüngte Geranien, welkes Basilikum, verdorrter Thymian – irgendetwas beunruhigt mich. Ich kann mich nach wie vor recht frei bewegen. Wenn ich mir den Fuß an einem behaarten Tischbein stoße, so tut es
nur einen Tick weniger weh. Sich zu rasieren ist nur einen Hauch absurder geworden. Die Luft wirkt manchmal etwas schwerer. Alles ist ein wenig kratzfester. Wasser perlt ein wenig anders ab. Die Sonne scheint wie eh und je. Was genau mich also beunruhigt, will ich am liebsten gar nicht wissen. Es ist nicht der Umstand, dass die Haare an den Dingen immer
dichter und länger werden. So dicht und lang, dass ich immer einen leichten Widerstand wahrnehme, sobald ich mich bewege. So lang und dicht, dass sich selbst in den breiteren Räumen meiner Wohnung die unsichtbaren Haare, die links und rechts fast waagrecht aus den Wänden sprießen, sich in der Mitte des Raumes schon leicht berühren. Denn was mich beunruhigt ist nichts Äußerliches. Ich habe nicht den Eindruck, dass mich irgendwas, das mir die eigene Haut zuverlässig vom Leib hält, noch wirklich beunruhigen kann. Vielleicht, versuche ich mir einzureden, sind nur ein paar Haare durch meine Nase, den Mund, die Ohren, die Augenhöhlen, den After oder die Harnröhre in mich hineingewachsen. Noch weigere ich mich zu glauben, dass das meine eigenen Haare sind, die mich innen zuwuchern werden, die sich nach innen gestülpt und sich gleichsam gegen mich gewandt haben und mich langsam immer weiter ausfüllen werden, solange bis ich innen vollkommen flauschig bin."

Man will sich der Jury anschließen – ein schöner literarischer Text, von dem man sich mehr wünscht!

buchcover wortlautbuch haarige tasse

luftschacht

Buchpräsentation und Wortlautparty

Christoph Strolz wird "Meine Schwester" (hier der ganze Text) am Freitag, 26. September im Phil lesen.

Außerdem liest der Zweitplatzierte Lukas Lengersdorff "Samson" und der Drittplatzierte Paul Klambauer "Homo Homini Zombie".
Claudia Czesch wird moderieren.
John Megill für den guten Sound sorgen.
Und ihr seid herzlich eingeladen!
Beginn ist um 20:00 Uhr.
Der Eintritt ist frei!

Und ab Freitag im Handel: "haarig". Die besten zehn Texte. Mit einem Vorwort von David Wagner. Erschienen im Luftschachtverlag.