Erstellt am: 1. 9. 2014 - 16:18 Uhr
Heißer Herbst für die EU-Freihandelsabkommen
Im Schatten der außenpolitischen Krisen sinde die Ausschüsse des EU-Parlaments heute nach der Sommerpause erstmals wieder zusammengetreten. Neben den Krisenherden stehen die wirtschaftlichen Schwierigkeiten Europas ganz oben auf der Brüsseler Agenda. Die Hoffnung auf positive Impulse für die Stimmung der Wirtschaft durch die Freihandelsabkommen TTIP, TISA und CETA hat sich bis jetzt nicht erfüllt.
Ob das fertig verhandelte Freihandelsabkommen CETA mit Kanada wie geplant am 25. September unterzeichnet wird, steht zudem plötzlich wieder infrage, nachdem bekannt wurde, dass CETA auch ein umfangreiches Kapitel zum heftig umstrittenen Investorenschutz (ISDS) enthält. Eine knapp noch vor der Sommerpause eilig verfasste EU-Verordnung zum Investorenschutz tritt am 17. September in Kraft.
Dieses EU-Regelwerk mit Schwerpunkt auf der finanziellen Unterstützung von Mitgliedsstaaten, die von ausländischen Konzernen im Rahmen dieser ISDS-Paragrafen geklagt werden, fachte die Kritik erst richtig an. Wie die aktuellen Stellungnahmen von Abgeordneten aus verschiedenen Fraktionen zeigen, hat die Kontroverse um den Investorenschutz noch großes Steigerungspotenzial für den Herbst.
Die ISDS-Konsultation der Kommission
Die sechste Runde der Freihandelsgespräche Mitte Juli war von politischem Aktionismus im Umfeld geprägt. Die Tonart bei TTIP-Gegnern wie Befürwortern hat sich deutlich verschärft.
Eine Welle von Kritik daran, dass ISDS-Artikel ausländischen Konzernen de facto ein Mitspracherecht bei der Gesetzgebung europäischer Staaten einräumen würden, hatte die Kommission im Frühjahr veranlasst, diesen Abschnitt vorläufig aus den TTIP-Verhandlungen mit den USA auszunehmen. Die daraufhin ausgeschriebene öffentliche Konsultation hatte mehr als 100.000 Eingaben bis Mitte Juli zu Folge.
Diese rekordverdächtige Beteiligung wurde von Noch-Handelskommissar Karel de Gucht als "gesteuerte Aktion" und "Angriff auf die Kommission" abqualifiziert. Fast ein Viertel dieser "Angriffe" kam dabei aus Österreich, das mit 33.753 Eingaben nur von Großbritannien (52.008) übertroffen wurde.

EU-Kommission
Mit der nun erfolgten Präsentation eines solchen EU-Regelwerks für Klagen im Rahmen eines Investorschutzabkommens, ohne dass die Ergebnisse der öffentlichen EU-Konsultation zu eben diesem Thema überhaupt bekanntgegeben wurden, erfolgte erneut ein negatives Signal an die Öffentlichkeit.
Die Front der Kritiker
Zur Kritik aus den Reihen von Grünen, Sozialdemokraten, Linken und Teilen der liberalen MEPs war das Wasser auf die Propagandamühlen der zahlreichen neu ins Parlament gewählten Populisten, Rechtsextremen und anderer EU-Gegner. Deren parlamentarische Bedeutung ist zwar begrenzt, da die weitaus meisten dieser MEPs keiner Fraktion angehören, ihre politische Wirkung in den Mitgliedsstaaten ist jedoch keineswegs zu unterschätzen.
Mit Marine Le Pen meldete sich dann auch die prominenteste Abgeordnete des rechtsextremen Lagers umgehend zu Wort, sekundiert von den "5-Sterne"-Populisten aus Italien. Das bestätigt die allgemeine Einschätzung, dass der an sich zersplitterte rechte Rand der Parlamentarier gemeinsam gegen internationale Abkommen stimmen dürfte.
Das CETA-Abkommen mit Kanada
Da half es wenig, dass de Gucht diese Verordnung als rein proaktive Maßnahme für den Fall bezeichnete, dass ein solches Abkommen mit Paragrafen zum Investorschutz künftig unterzeichnet werde. Laut Zeitplan könnte das bereits eine Woche nach Inkrafttreten der Verordnung am 17. September passieren, denn da wird CETA voraussichtlich von den Verhandlern unterzeichnet.

APA/EPA/JULIEN WARNAND
Damit ist dieser Freihandelsvertrag, den die ARD-Tagesschau Anfang August im Volltext veröffentlicht hatte, aber längst noch nicht in Kraft. Er muss erst einmal eine Mehrheit im EU-Parlament finden und dann noch durch die Parlamente der Mitgliedsstaaten ratifiziert werden.
Weitere Abkommen
Anders als TTIP, mit dem TISA eng verknüpft ist, war die Existenz der im Februar 2013 gestarteten TISA-Verhandlungen ein Jahr lang weitgehend unbekannt. Ende Juni wurde ein Kapitel dieses Abkommens über Dienstleistungen geleakt, das eine weitgehende Deregulation der Finanzsektoren in den insgesamt 23 TISA-Mitgliedern betrifft.
Während es offiziell aus Brüssel stets hieß, die USA oder Kanada hätten auf einem solchen Investorschutzverfahren bestanden, geht aus Kommissar de Guchts Aussendung klar hervor, dass die EU-Verhandler selbst auf einem solchen ISDS-Verfahren bestehen. De Gucht verweist nämlich auf weitere laufende Verhandlungen zu Handelsabkommen mit Indien, Thailand, Vietnam, Japan, Marokko und Singapur, die ebenfalls einen Investorschutz enthielten. Thailand wird nach einem Putsch von Militärs regiert, in Vietnam ist immer noch die kommunistische Partei an der Regierung. Die Rechtslage dort ist also nicht mit der in Kanada oder den USA zu vergleichen.
Was in CETA (nicht) enthalten ist
Auch die Annahme, dass die Abschnitte über "geistiges Eigentum" in all diesen Freihandelsabkommen das gescheiterte "Antipiraterie"-Abkommens ACTA quasi fortschrieben, trifft wenigens bei CETA nicht zu. Das geht aus den aktuellen Analysen des kanadischen Rechtsprofessors Michael Geist ganz eindeutig hervor.
Laut diesem ausgewiesenen Kenner der Materie stammten die überbordenden Maßnahmen zum Schutz "geistiger Eigentumsrechte" von der EU, sie fanden sich allerdings nur in einer älteren Version des betreffenden Abschnitts, der bereits 2009 von Wikileaks veröffentlicht worden war. In der nun vorliegenden Endversion ist eine ganze Reihe jener Maßnahmen nicht mehr enthalten. Die seitens der EU-Verhandler geforderte Ausweitung der Gültigungsdauer des Copyrights auf 70 Jahre flog ebenso aus dem Text, wie die vorgesehene strafrechtlichen Sanktionen bei bestimmten Verstößen gegen das Urheberrecht.
EU wollte ACTA fortschreiben
Neben diesen sind auch andere Kernelemente des gescheiterten ACTA im aktuellen CETA-Abkommen der EU mit Kanada nicht mehr enthalten. All das geht alleine auf die Kanadier zurück, die ab 2010 ihre Gesetze zum Schutz der Urheberrechte behutsam an die aktuelle technische Entwicklung angepasst hatten. Während in Europa etwa mit der Ausweitung der Gültigkeit der Urheberrechte von 50 auf 70 Jahre versucht wurde, das Rad der Zeit zurückzudrehen, passierte in Kanada das Gegenteil.
Im Copyright Act von 2012 wurden die Regeln für nicht-kommerzielle Nutzung urheberrechtsgeschützter Werke generell liberalisiert, anders als in Europa dürfen zum Beispiel sogenannte "verwaiste Werke" verschollener Urheber relativ einfach wieder publiziert werden. Die lange Verhandlungsdauer des CETA-Vertrags von sechs Jahren geht also wenigstens zum Teil auf die europäischen Versuche der Europäer zurück, Kernelemente von ACTA in CETA durchzusetzen.
Laut Michael Geist wurde das CETA-Abkommen dann auch von Kanada verzögert, weil man angesichts der europäischen Pharmariesen weitere Patentklagen nach dem Muster von Eli Lilly befürchtete.
US-Pharmakonzern klagt Kanada
Die mehr als dreißig Seiten umfassende Regelung des Investorschutzes in CETA ist ebenfalls eher europäischen als kanadischen Ursprungs. Gegen Kanada läuft nämlich seit 2013 eine 500 Millionen Dollar schwere Schadenersatzklage des Pharmakonzerns Eli Lilly wegen der Aberkennung zweier Patente auf chemische Wirkstoffe in Kanada. Diese Aberkennung liegt gut zwanzig Jahre zurück und Eli Lilly hatte seine Klagen vor kanadischen Gerichten dann quer durch alle Instanzen verloren.
Die aktuelle Klage des Pharmakonzerns basiert hingegen auf dem "North American Free Trade Agreement" (NAFTA) und sie erfolgt vor einem Schiedsgericht. Dieses nordamerikanische Freihandelsabkommen der USA mit Mexiko und Kanada wurde bereits 1994 unterzeichnet, die transatlantische Version als TAFTA kam in den folgenden knapp zwanzig Jahren nie zustande. Erst 2013 kehrte sie dann unter Bezeichnung TTIP zurück.

EU-Kommission
TTIP kommt im November wieder
Die verbreitete Annahme, dass CETA eine Art Blaupause für die "Transatlantic Investment Partnership" darstelle, kann daher so nicht stimmen. Die Artikel zum Investorschutz in TTIP dürften weit eher den Interessen von Großkonzernen entgegenkommen, in den Copyright-Abschnitten sollten wiederum weit mehr ACTA-Elemente enthalten sein, als in CETA zu finden sind.
Die letzte TTIP-Verhandlungsrunde im Juli ist ergebnislos zu Ende gegangen, bis jetzt wurde noch kein Datum für Runde sieben bekanntgegeben. Beobachter des TTIP-Prozesses gehen übereinstimmend davon aus, dass die Verhandler erst nach dem 5. November wieder zusammentreffen werden. TTIP soll nämlich unbedingt aus dem laufenden US-Wahlkampf herausgehalten werden, da es nämlich nicht nur in Europa, sondern auch auf der andere Seite des Atlantiks erhebliche Widerstände gibt. Die EU-Kommission wird die Ergebnisse ihrer öffentlichen Konsultation ebenfalls erst nach den US-Wahlen veröffentlichen.