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Erich Möchel

Netzpolitik, Datenschutz - und Spaß am Gerät.

17. 7. 2014 - 19:30

Turbulenzen um sechste TTIP-Verhandlungsrunde

Die sechste Runde der Freihandelsgespräche war von politischem Aktionismus im Umfeld geprägt. Die Tonart bei Gegnern wie Befürwortern hat sich hörbar verschärft.

Die politische Atempause für die Verhandlungen über das transatlantische Freihandelsabkommen TTIP ist vorüber. Bereits in der ersten Plenartagung zeigten die neugewählten EU-Parlamentarier sofort Flagge gegenüber der Kommission. Mit großer Mehrheit wurde vor allem Noch-Handelskommissar Karel de Gucht am Donnerstag in Straßburg aufgefordert, den Parlamentarieren endlich Einblick in den tatsächlichen Stand der Verhandlungen zu geben.

Deren sechste Runde war am Dienstag parallel zu den konstituierenden Sitzungen des EU-Parlaments gestartet, als einer der ersten Punkte auf der Agenda des Parlaments stand der Bericht de Guchts über den Stand der aktuellen TTIP-Verhandlungen. Im Plenum wurde der Handelskommissar von einem Schilderwald mit Parolen gegen des Abkommen begrüßt. Anders als etwa im Nationalrat, wo diese "Taferlpolitik" seit den Zeiten Jörg Haiders periodisch wiederkehrt, war derlei Aktionismus im EU-Parlament bis dato völlig unüblich.

Motto: "Wir hören zu"

Auch in den folgenden Wortmeldungen von liberalen, grünen und sozialdemokratischen Abgeordneten hielt man sich nicht - wie üblich - mit Höflichkeiten auf, sondern verlangte einmütig volle Transparenz über den Verhandlungsstand. Dieser zentralen Forderung versuchen die Verhandler seit dem Frühjahr mit sogenannten "Stakeholder"-Sitzungen nachzukommen, bisher mit äußerst mäßigem Erfolg.

Ein solches Treffen war unter dem Motto "Wir hören zu" für Mittwoch in Washington angesetzt. Was die beiden Chefunterhändler Ignacio Garcia Bercero (EU) und Dan Mullaney (USA) dort zu hören bekamen, waren Sprechchöre einer Gruppe von Aktivisten, die von den Ordnern einzeln aus dem Saal getragen werden mussten. Wenn die Verhandler gehofft hatten, dass die EU-Parlamentsneuwahl wenigstens den Sommer über etwas Entspannung bringen würde, so war davon nichts zu bemerken, im Gegenteil.

Dan Mullaney und Ignacio Garcia Bercero, die Chefunterhändler

CC EU-TTIP-Team

Dan Mullaney (Mitte) und Ignacio Garcia Bercero (rechts)

"Feinde des Abkommens"

Vielmehr hat sich der Ton verschärft und zwar nicht nur von den Kritikern, auch seitens der Verhandlungspartner ist das unüberhörbar. Im Interview mit dem Nachrichtendienst Euractiv benutzte Anthony Gardner, seit Februar neuer Botschafter der USA in Brüssel, für einen Diplomaten ungewöhnlich drastische Begriffe. Gardner bezeichnete Kritiker konsequent als "Feinde des Abkommens", die allesamt noch nie die Website des US-Handelsministeriums oder jene der EU-Kommission zu TTIP besucht hätten. Dort seien die Verhandlungen ausführlich dokumentiert.

Anders als TTIP, mit dem TISA eng verknüpft ist, war die Existenz der im Februar 2013 gestarteten TISA-Verhandlungen ein Jahr lang weitgehend unbekannt. Ende Juni wurde ein Kapitel dieses Abkommens geleakt, das eine weitgehende Deregulation der Finanzsektoren in den insgesamt 23 TISA-Mitgliedern betrifft.

Die EU-Parlamentarier hatten allerdings die Offenlegung des Verhandlungsmandats gefordert. Ansonsten spielte Gardner, der vor seiner Diplomatenkarriere Direktor eines Equity-Fonds gewesen war, das Ausmaß der Kritik herunter. Bei seinem Besuch in Italien habe er nicht nur volle Unterstützungen der Regierung sondern auch von Wirtschaftsverbänden erlebt, sagte Gardner, wie auch von allen anderen Regierung Unterstützung zugesagt worden sei. Die Opponenten seien hingegen "nur einige Leute, einige NGOs in einigen, aber nicht allen Staaten".

Vertreter der US_Handelskammer vor TTIP Hearing

CC EU-TTIP-Team

Neil McMillan von der US-Handelskammer AmCham: "Die Aufnahme der Investorschutzklausel in das TTIP-Abkommen ist auch eine wichtige Botschaft an die Volkswirtschaften der Schwellenländer."

150.000 Stellungnahmen zu TTIP

Am Mittwoch gab das TTIP-Verhandlungsteam der EU-Kommission dann über Twitter bekannt, dass 150.000 Stellungnahmen zum Investorschutzabkommen abgegeben worden seien. Dieses am heftigsten umstrittene TTIP-Kapitel wurde seitens der Kommission im März aus den Verhandlungen ausgeklammert, die darauf eingeleitete Konsultation musste wegen des hohen Zuspruchs um weitere drei Monate verlängert werden. Die bis 13. Juli eingelangten 150.000 Stellungnahmen sind ein geschichtlicher Rekord, noch nie davor hatte eine Konsultation auch nur annähernd ein solch breites Echo hervorgerufen.

Bis diese Eingaben abgearbeitet seien, würde es wohl November werden, hieß es dazu von der Kommission. Der neugewählte Präsident der EU-Kommission Jean-Claude Juncker hatte sich bereits in seiner Antrittsrede wohlweislich gegen eine solche Klausel im Abkommen ausgesprochen. Obwohl es zwischen einzelnen EU-Staaten und den USA bereits solche Abkommen auf bilateraler Basis gibt und Investoren auch jederzeit ein Verfahren vor der Welthandelsorganisation WTO anstrengen können, ist im Rahmen des TTIP bis jetzt ein eigenes, weiteres Gremium vorgesehen.

Skeptische Mienen der TTIP-Verhandler beim Vortrag des Vorsitzenden der US-Gewerkjschaft Teamsters

CC EU-TTIP-Team

Skeptische Mienen der TTIP-Verhandler beim Vortrag des Vorsitzenden der US-Gewerkschaft Teamsters

"NATO für die Wirtschaft"

Das zwischen Europa und den USA verhandelte TTIP, das pazifische Gegenstück TPP sowie das beiden übergeordnete TISA-Abkommen zur Öffnung der Dienstleistungssektoren sind zwar als Reaktion auf die festgefahrenen Freihandelsgespräche im Rahmen der WTO zu sehen. Diese drei Abkommen stellen jedoch nicht einfach Fortsetzungen ein- und desselben Freihandelsprozesses dar, sondern gehen darüber weit hinaus.

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Das Interview mit US-Botschafter Anthony Gardner in voller Länge auf dem Nachrichtenportal Euractiv.

Das machte auch der US-Botschafter in Brüssel während dieser ereignisreichen Woche noch einmal klar.
Anthony Gardner betonte den "geostrategischen Charakter" dieser Abkommen. Ein Blick auf den Nahen Osten oder Russlands Agieren in der Ukraine zeige die Notwendigkeit, bestehende transatlantische Allianzen auszuweiten, um ein "Äquivalent auf Wirtschaftsebene zur NATO" zu schaffen. Die USA und die Europäer müssten die Regeln für den Welthandel festlegen, "bevor es andere tun", so Gardner, TTIP sei also "nicht nur wichtig sondern lebenswichtig" fügte er noch hinzu.

Proteste bei TTIP-Debriefing

CC ATTAC

Solche Bilder von den Protesten im Saal gab es in der von EU-Verhandlern angebotenen Fotostrecke nicht. Das Bild stammt aus einem Video, das von Attac und anderen Gegnern veröffentlicht wurde.

TTIP gegen die BRICs

Mit "anderen" sind die sogenannten BRICS-Staaten gemeint, nämlich Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika, die größten fünf Volkswirtschaften unter den Schwellenländern. Diese weder an TISA noch an TPP beteiligten fünf Staaten hatten sich bei ihrem Gipfeltreffen im brasilianischen Fortaleza am Dienstag auf die Gründung eigener Finanzinstitutionen abseits von Weltbank und Internationalem Währungsfonds (IWF) geeinigt.

Der Vertrag von Fortaleza sieht 50 Milliarden Dollar (36,5 Mrd. Euro) vor, die in eine eigene Entwicklungsbank fließen und mittelfristig verdoppelt werden sollen. Ebensoviele Mittel sehen die BRICS' für einen Währungsreservefonds in gleicher Höhe vor. Bereits 2012 war mit den Verhandlungen zu diesem Vertragswerk begonnen worden, der Start von TISA im Frühjahr und TTIP im Juli 2013 ist also direkt in diesem Zusammenhang zu sehen.

EU-weite Bürgerinitiative gegen TTIP

Ebenfalls am Dienstag wurde vornehmlich von Umwelt- und Konsumentenschutzverbänden und Gewerkschaften eine EU-Bürgerinitiative gegen TTIP gestartet. Diese seit dem Vertrag von Lissabon bestehende Möglichkeit zur Bürgerbeteiligung an politischen Entscheidungen in der Union ist allerdings mit relativ großen Hürden versehen. Zum einen muss eine Million Unterschriften aus mindestens sieben EU-Mitgliedsstaaten gesammelt werden. Dazu gilt es noch nationale Mindestschwellen zu übertreffen, die im Verhältnis zur Bevölkerungszahl stehen. In Deutschland braucht es dafür mehr als 70.000 Unterschriften, werden die nicht erreicht, verfallen alle Stimmen.

"Öffentliche Dienstleistungen auf nationaler oder lokaler Ebene" könnten sowohl von einem "öffentlichen Monopol" als auch "exklusiv von einem privaten Dienstleister erbracht werden", heißt es im EU-Positionspapier. Die mögliche Privatisierung der Wasserversorgung gehört neben der Gesundheitsvorsorge zu den primären Befürchtungen der Kritiker.

Wie auch auf nationaler Ebene bei Volksbegehren üblich, besteht auch für die Union nur ein Anhörungsrecht. Ein großes Hearing im EU-Parlament würde jedoch zweifellos von noch mehr negativem Echo rund um das Abkommen begleitet. Dafür gibt es bereits einen Präzedenzfall. Das Endergebnis der ersten, erfolgreichen EU-Bürgerinitiative gegen Wasserprivatisierung war, dass der zuständige Kommissar Michel Barnier im Jänner 2014 die Wasserversorgung aus der EU-Konzessionsrichtlinie streichen ließ. Im Dienstleistungsabkommen TISA ist die Privatisierung der Wasserwerke allerdings wieder Gegenstand der Verhandlungen, deren Ergebnisse dann wieder in TTIP einfließen sollen.

Neu im Handelsauschuss

Die Begrüßung des zuständigen Handelskommissars mit einer Taferlaktion durch Abgeordneten der Linken wird voraussichtlich nicht die letzte aktionistische Geste rund um das Abkommen bleiben. Im neu formierten Handelsausschuss sitzen zwei "Grillini" der "Fünf Ѕterne"-Bewegung des Komikers Beppe Grillo.

An Populisten ist weiters die "United Kingdom Independence Party" dort vertreten, die bereits bei der konstituierenden Sitzung des Parlaments durch demonstratives Sitzenbleiben beim Abspielen der Europahymne aufgefallen ist. Weiters finden sich dort Marine Le Pen von der rechtsextremen Front National, die Lega Nord, wie auch die FPÖ mit dem neugewählten Abgeordneten Franz Obermayr im Handelsausschuss sitzt. Die Gründung einer eigenen Rechtsaußenfraktion von Front National, Lega Nord, FPÖ und anderen war im Juni nur knapp gescheitert.

Ausblick

Die sechste Runde der TTIP-Verhandlungen geht am Freitag zu Ende, der nächste Termin ist noch nicht festgesetzt, Beobachter gehen von Mitte September aus.