Erstellt am: 23. 6. 2014 - 19:14 Uhr
TISA-Abkommen steht hierarchisch über TTIP
Politik und Gesellschaft auf FM4
Am Montag ist die nächste Verhandlungsrunde des internationalen Abkommens über Dienstleistungen (TISA) in Genf gestartet. Anders als das von Beginn an umstrittene Freihandelsabkommen TTIP, mit dem TISA eng verknüpft ist, war die Existenz der im Februar 2013 gestarteten TISA-Verhandlungen ein Jahr lang weitgehend unbekannt. Am Freitag wurde nun ein Kapitel dieses Abkommens auf der Enthüllungsplattform Wikileaks veröffentlicht, das eine weitgehende Deregulation der Finanzsektoren in den insgesamt 23 TISA-Mitgliedern betrifft.
Von TISA stammt auch die Einbeziehung der Wasserversorgung in die umfassenden Privatisierungspläne, die sich in TTIP findet. Die aktuelle Antwort der EU-Kommission auf eine Anfrage von ORF.at erwähnt allerdings TISA mit keinem Wort. Aller Geheimhaltung zum Trotz wird immer deutlicher, dass TISA ein übergeordnetes Abkommen ist. Ein guter Teil der bis jetzt bekannten TTIP-Verhandlungstexte bestehen aus den bisherigen Ergebnissen von TISA, da die Handelsware eben Dienstleistungen sind, die sämtlich zur Disposition stehen.
Dementi der Kommission
In der Antwort der Kommission wurde betont, dass Wasserversorgung nicht "Gegenstand der Verhandlungen für ein Transatlantisches Partnerschaftsabkommen" sei. Dienstleistungen wie öffentliche Bildung, öffentliche Gesundheit oder Wasserversorgung lägen "nicht auf dem Verhandlungstisch."
Wie das vor einer Woche geleakte TTIP-Dokument zeigt, haben die EU-Verhandler dort Vorbehalte ("reservations") gegen eine Deregulation des Energie- und Wassersektors angemeldet. "Die wichtigsten Verpflichtungen bei Dienstleistungen" seien "die Marktzugangsverpflichtung und die Inländerbehandlungsverpflichtung." Ausländischen Serviceanbietern dürfen damit weder quantitative Beschränkungen auferlegt werden, noch dürfen sie benachteiligt werden.
"Öffentliche Dienstleistungen auf nationaler oder lokaler Ebene" könnten sowohl von einem "öffentlichen Monopol" als auch "exklusiv von einem privaten Dienstleister erbracht werden", heißt es im EU-Positionspapier. Die mögliche Privatisierung der Wasserversorgung gehört neben der Gesundsheitsvorsorge zu den primären Befürchtungen der Kritiker.
Wasser und Datenschutz
Da TISA wie TTIP aber dazu geschaffen wurden, um genau solche Zugangsbarrieren in allen Wirtschaftsbereichen möglichst vollständig zu beseitigen, liegt die Wasserversorgung dennoch mit auf dem Verhandlungstisch. Beide Bereiche sind nun einmal nicht exkludiert und sogar das von der EU-Kommission in Folge des NSA-Spionageskandals explizit ausgeschlossene Thema "Datenschutz" ist in TISA wieder enthalten. Grenzüberschreitende Dienstleistungen - besonders im Finanzbereich - implizieren ja, dass auch die Daten Grenzen ungehindert passieren.
Nach Abschluss des TISA-Vertrags wäre es für Europa nicht mehr möglich, den Transfer personenbezogener Daten in die USA mit Verweis auf EU-Datenschutzregelungen einzuschränken. Das frisch geleakte TISA-Dokument enthält zudem eine generelle Klausel, dass einmal privatisierte Dienstleistungen der öffentlichen Hand nicht rückgängig gemacht werden können, auch wenn sie nicht funktioniert haben.

Australian Government
Finanzdienstleistungen
Die Kommission wiederum fordert von den USA bis dato vergeblich, auch Finanzdienstleistungen im Rahmen von TTIP zu verhandeln. Auf die Frage von ORF.at, warum dies der Kommission so wichtig sei und welche Argumente der USA dagegen sprächen, antwortete die Kommission wie folgt: "Das übergeordnete Ziel der EU ist, einen institutionellen Rahmen zu schaffen, der sicher stellt, dass die Regulierungen beider Seiten zusammenwirken (....) das sollte zukünftigen Krisen vorbeugen".
Das von Wikileaks publizierte TISA-Dokument stammt von April 2014. Es handelt sich um einen konsoldierten Annex zu Finanzdienstleistungen
Die USA seien jedoch der Meinung, dass "Mechanismen außerhalb von TTIP besser geeignet wären", wie etwa der "Rat für Finanzstabilität" oder der "Dialog über Regulierungsangelegenheiten". Dabei handelt es sich um informelle, internationale Gremien zur Überwachung der weltweiten Finanzsysteme auf ihre Stabilität. Dass Finanzdienstleistungen im offensichtlich TTIP übergeordneten TISA-Abkommen geregelt werden, davon ist wiederum kein Wort.
Wie das von Wikileaks veröffentliche Dokument zeigt, sind die EU neben den USA die hauptsächlichen Proponenten des TISA-Abkommens, das nicht nur in puncto Geheimhaltung noch deutlich über TTIP hinausgeht. Das TISA-Abkommen soll nach dem Willen der Betreiber noch fünf Jahre nach Abschluss der Verhandlungen strikter Geheimhaltung unterliegen. Anders als TTIP, das vom Beginn im Juli 2013 von einer Welle an Aussendungen, öffentlichen Veranstaltungen und offiziellen Tweets begleitet wird, gab es zum Start von TISA gerade eine einzige Aussendung im Februar 2013.
TTIP + TPP = TISA
Auch bei TPP herrscht dieselbe Geheimhaltungspolitik wie beі den anderen Abkommen. Mehreren anderen US-Senatoren wurde der Zugang zum Text verweigert, während Interessensverbände wie die Motion Pictures Assiociation of America (MPAA) jederzeit Zugang zu den aktuellen Verhandlungstexten hat.
Auf Twitter und anderen sozialen Medien ist TISA offiziellerseits überhaupt nicht präsent, für TTIP trommeln hingegen US-Botschaften wie EU-Vertretungen und eine Reihe transatlantischer Thinktanks für das Abkommen. Dabei bezieht sich TISA von der IT bis zum Transportwesen auf den gesamten Dienstleistungssektor, der gut Drei-Viertel des EU-weiten Bruttogesamtprodukts beträgt. TISA ist also schon allein wegen dieses Umfangs als übergeordnetes Abkommen anzusehen und erst, wenn man Anzahl und Zusammensetzung der beteiligten Staaten nähert betrachtet.
Die mittlerweile 23 daran beteiligten Staaten - die Europäische Union verhandelt dabei für alle Mitglieder - umfassen neben den USA und der EU auch alle an der "Trans Pazific Partnership" beteiligten Länder. Die machen zusammen knapp 70 Prozent des weltweiten Handels mit Dienstleistungen aus. TISA ist also auch in dieser Hinsicht das weitaus umfassendere Abkommen, zumal die USA parallel zu TTIP auch TPP verhandeln. Hier haben die Verhandlungen schon weit früher begonnen.
Wie TPP gewachsen ist
Um 2008 hatten die USA erstmals Interesse daran gezeigt, einem seit 2006 in Kraft befindlichen Rumpfabkommen von vier so unterschiedlichen Staaten wie Neuseeland, Singapur, Brunei und Chile beizutreten. In den folgenden Jahren kamen weitere Staaten wie Australien, Kanada, Vietnam und Malaysia hinzu. Bis 2013 war die Zahl der an TPP Beteiligten schon auf zwölf angewachsen, bis auf ein, zwei Ausnahmen ergeben TTIP und TPP zusammen die an TISA beteiligten Staaten.
Insgesamt wurden für TPP bereits mehr als zwanzig Verhandlungsrunden absolviert, erst im Mai waren die zuständigen Minister der TPP-Staaten in der Hauptstadt von Vietnam Ho-Chi-Minh-Stadt zusammengetroffen. Ebenso wie für TTIP ist der nächste Verhandlungstermin von TPP für Mitte Juli angesetzt, während über TISA gerade aktuell verhandelt wird.
Reminiszenzen an ACTA
Aus den wenigen bisher bekannt gewordenen Passagen geht hervor, dass TPP auffällige Ähnlichkeiten mit dem spektakulär gescheiterten ACTA-Abkommen aufweist. Ein wichtiger Teil von TPP bezieht sich nämlich auf Maßnahmen zum "Schutz geistigen Eigentums", die auch im Zentrum von ACTA standen. Warum "Intellectual Property" bei TTIP nur eine kleine Nebenrolle spielt, erklärt ein Blick auf die Weltkarte.
Mit der überwältigenden Mehrheit gegen das Anti-Piraterie-Abkommen ACTA hatte das Parlament der Kommission im Juli 2012 die Quittung für die jahrelange Geheimhaltungspolitik rund um ACTA überreicht.
Während TTIP zwischen EU-Europa - inklusive Norwegen und der Türkei - ausgehandelt wird, sind in TPP eine Reihe von Ländern wie Vietnam, Malaysia oder Pakistan vertreten. Anders als in der Europäischen Union, wo "geistige Eigentumsrechte" einen mit den USA vergleichbaren Status haben, sind die betreffenden Gesetze in den erwähnten Staaten noch längst nicht harmonisiert.
Aufgrund seiner Wichtigkeit ist der Geheimiskram bei TISA noch eine um eine Stufe rigider als bei TTIP. Auch nach der heute begonnenen Verhandlungsrunde ist daher kaum mit der Veröffentlichung von Stellungnahmen zu rechnen.
Ausblick
Was TTIP angeht, so wurde dessen am heftigsten kritisierter Teil vorläufig ausgenommen. Zum Kapitel Investorschutz wurde seitens der Kommission eine öffentliche Konsultation eingeleitet, für die noch bis 7. Juli Stellungnahmen abgegeben werden können.