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Andreas Gstettner-Brugger

Vertieft sich gern in elektronische Popmusik, Indiegeschrammel, gute Bücher und österreichische Musik.

2. 9. 2014 - 06:00

Glück in Serie

In "Geschenkt" wird ein liebenswürdig-abgetakelter Journalist gezwungenermaßen zum humanistischen Detektiv, der einem Serienwohltäter auf der Spur ist. Daniel Glattauers neuer Roman ist ein großes Geschenk.

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Daniel Glattauer auf FM4:

Gerold Plassek arbeitet als Schreiberling für eine Gratiszeitung. Eines jener bedruckten Blätter, die nach kurzem Erwärmen in den Händen der Fahrgäste ihr Leben meist auf dem Fußboden von Straßenbahnen oder U-Bahnstationen fristen. Gerolds Dasein ist bescheiden. Als geschiedener Vater einer Teenager-Tochter spricht er gerne alkoholischen Getränken zu, durchzecht die Nächte mit seinen Kumpels im Stammbeisel und beginnt daher seinen "Tag" frühestens dann, wenn die meisten Menschen von der Mittagspause zurückkommen.

Doch sein ruhiger, alkoholgetränkter Lebensfluss wird plötzlich unterbrochen.

Mein Schicksal war regelmäßig eine Spur zu hoch für mich. Okay, wenn es wenigstens jemals oben geblieben wäre. Aber nein, irgendwann kam jedes meiner höheren Schicksale zu mir herunter und sagte "Guten Tag". In diesem Fall in Form meines vierzehnjährigen Sohnes.

Er heißt Manuel, ist aus einem alten Flirt heraus geboren und bringt Gerolds Leben komplett durcheinander. Denn mit seinem Auftauchen beginnt auch eine anonyme Spendenserie, die sich immer auf Gerolds "bunte Meldungen zum Tag" beziehen. Mit jedem weißen Kuvert, das 10.00 Euro und den Zeitungsartikel von Gerold Plassek enthält, steigt nicht nur beim bescheidenen Journalist die Spannung, wer wohl hinter dieser wohltätigen Spendenserie steckt.

Portrait des Österreichischen Autors Daniel Glattauer

Ingo Pertramer / Deuticke Verlag

Mit cleverem Witz für den Humanismus

Daniel Glattauer, der mit über vier Millionen verkauften Büchern zu einem der erfolgreichsten Gegenwartsschriftsteller Österreichs zählt, weiß, wie man einen page turner schreibt. In klarer, präziser und knapper Sprache formt er lebensnahe Charaktere, die man sofort zu kennen glaubt. Seine Dialoge sprühen vor Witz und Schlagfertigkeit, die monologisch erzählte Gedankenwelt des sympathischen Losers und Romanhelden Gerold Plassek bietet trotz einfacher Sprache eine scharfzüngige Doppelbödigkeit.

Schließlich war Daniel Glattauer selbst Journalist und scheint für "Geschenkt" aus einem Fundus an Erlebnissen dieser Zeit zu schöpfen. So positioniert sich der Wiener Autor ganz klar gegen die mit hetzerischen Schlagzeilen arbeitenden und Panik-machenden Boulevard-Gratisblätter. Jedoch nicht mit erhobenen Zeigefinger. Durch die Worte seines gemütlich dahinschludernden Protagonisten, der es dem ersten Eindruck zum Trotz faustdick hinter den Ohren hat, übt Daniel Glattauer subtil und mit viel Selbstironie Kritik an der Medienlandschaft und ihren zweifelhaften Systemerhaltern.

Buchcover "Geschenkt" von Daniel Glattauer

Zsolany & Deutike

Die Inspiration für "Geschenkt" holte sich Daniel Glattauer bei dem "Wunder von Braunschweig", einer wahren Begebenheit. Vor zwei Jahren spendete ein anonymer Wohltäter verschiedensten bedürftigen Menschen und Organisationen der niedersächsischen Stadt 10.000 Euro. Ein gefundenes Fressen für die Medien, die nicht nur im positiven Sinne von einem Wunder berichteten, sondern ihren Jargon eher dem einer Verbrecherjagd anglichen. So versuchen auch in Glattauers Buch die Gratisblätter den "Serienwohltäter" zu "überführen", ihn zu "stellen". Dieser Spiegel macht transparent, das wir noch immer in einer Gesellschaft leben, die davon ausgeht, im Leben nichts geschenkt zu bekommen. Und wenn, dann muss dahinter ein perfider Plan zur persönlichen Bereicherung oder Anerkennung stecken.

Daniel Glattauer auf Lesereise:

  • 15.9. Oberbank Donau-Forum, Linz
  • 21.10. Schloss Porcia, Spittal an der Drau
  • 28.10. Kunst im Keller (KiK), Ried im Innkreis
  • 29.10. Burg Perchtoldsdorf, Festsaal
  • 03.11. Treibhaus, Innsbruck
  • 11.11. Literaturhaus, Graz
  • 13.11. ORF-Bühne, Messe Wien, Halle D
  • 16.11. Stadtsaal, Wien
  • 03.12. Universität Salzburg

Neben dieser gesellschaftspolitischen Ebene ist "Geschenkt" auch ein Buch über eine sich langsam und zaghaft entwickelnde Vater-Sohn-Beziehung. Daniel Glattauer verstrickt seine Figuren mit verständnisvoller Behutsamkeit in die üblichen Familienmuster, voller emotionaler Loyalitäten, bewusster und unbewusster Abhängigkeiten und zeigt gleichzeitig das große Potential, das in solchen Blutsverwandtschaften liegen kann.

"Geschenkt" liest sich auf allen Ebenen wie ein Plädoyer für Menschlichkeit, Toleranz und das Aktivieren unserer Hilfsbereitschaft gegenüber Schwächeren. Es geht ums bedingungslose Geben, eine scheinbar recht einfache Geste, und deren komplexe Auswirkungen in unserem gegenwärtigen Gesellschaftssystem. Neben der spannenden Dramaturgie schafft es die positive Grundstimmung des Buches, uns zum Nachdenken zu bringen. Über die eigene von negativen Nachrichten geprägte Konditionierung und darüber, was wir tun können, um uns und andere glücklich zu machen und ob wir es in unserer Zeit eigentlich aushalten können, glücklich zu sein. Freilich werden manche an der Oberfläche der scheinbar klischeehaften Gut-Welt hängen bleiben, um daraus ihre Kritik zu speisen. Wer sich aber ganz auf die Geschichte des neuen Daniel-Glattauer-Werks einlässt, der wird nicht nur mit großem Lesespaß, sondern auch mit beseelten und vor allem schönen Momenten beschenkt.

Daniel Glattauer im Interview
Über die Wichtigkeit der Musik, das Potential von Familien und das große Glück zu schenken:

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