Erstellt am: 21. 5. 2014 - 18:08 Uhr
"Eine Verbotsdebatte geht am Kern vorbei"
Unrast Verlag
Seit einigen Jahren sind sie in Österreich aktiv, die "Identitären", eine junge, rechte Organisation, die einerseits darauf pocht "0% Rassistisch" zu sein und andererseits gegen die "Islamisierung" Österreichs protestiert, die mit Memes spielt, linke Symbolik kopiert und "Flashmobs" veranstaltet.
Mit dem "Handbuch zur Jugendbewegung der Neuen Rechten in Europa" versuchen Kathrin Glösel, Natascha Strobl und Julian Bruns die Identitären einzuordnen.
Wir haben Natascha Strobl, eine der AutorInnen, Ex-VSSTÖ-Chefin und Mit-Initiatorin der "Offensive gegen Rechts" in FM4 Connected zum Interview gebeten.
Veronika Weidinger: Seit einigen Jahren sind die Identitären in Österreich aktiv. Das ist eine junge, rechte Organisation, die einerseits darauf pocht, zu 0% rassistisch zu sein und andererseits gegen die Islamisierung Österreichs protestiert. Am vergangenen Wochenende sind die Identitären in Wien aufmarschiert. In den letzten Tagen ging es ja überall viel um die Gegendemo und den Polizeieinsatz, aber wer war denn da von Seiten der Identitären auf der Straße?
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Natascha Strobl: Was sie selbst angeben, und das sieht man auch auf den Bildern, waren Identitäre aus Österreich, Deutschland, Italien, Tschechien, Frankreich und der Schweiz da. Das sind teilweise andere Identitäre Gruppen, die sich auch so nennen, also "Identitäre Beweguny XY". Aber da waren auch Leute von Blocco Studentesco, das ist der Jugendableger von CasaPound, einer sehr starken neofaschistischen Organisation in Italien, die durchaus auch schon mit Gewaltdelikten aufgefallen ist, auch mit zwei Morden, die 2011 in ihrem Umfeld passiert sind.
Colette Schmidt, die Journalistin, die die Identitären und die Demonstrationen für den Standard beobachtet hat, meint, dass auch Burschenschafter und Männer, die früher in Neonazikreisen unterwegs waren, bei der Demo waren. Habt ihr das auch festgestellt?
Absolut. In Österreich bestehen die Identitären zu einem guten Teil aus Burschenschaftern bzw. aus Menschen, die aus handfesten Neonazi-Strukturen kommen. Da wäre zum Beispiel Martin Sellner zu nennen, er ist der Chef der Identitären in Wien und inszeniert sich als "Posterboy" der Identitären. Der kommt - mittlerweile sagt er das auch selbst - aus dem Nationalen Widerstand, hat sich im Küssel-Umfeld bewegt. Da gibt es Fotos davon, wie er beim Nowotny-Gedenken in der Nähe vom Küssel steht, er war in Dresden mit dabei, das sind ehemalige Neonazi-Kader.
Von Seiten der Identitären wird aber ganz klar gesagt: "Wir distanzieren und von jeder NS-Ideologie". Wie verläuft hier die Grenze?
Das ist insofern ein guter Trick, das zu sagen, bzw. können sie das auch tatsächlich behaupten, weil die Identitären in der sogenannten Neuen Rechten eingebettet sind. Die Neue Rechte pflegt einen Rechtsextremismus fernab des Nationalsozialismus. Sie beziehen sich auf die sogenannte "Konservative Revolution", das waren intellektuelle Denker der Weimarer Republik, die teilweise mit dem Nationalsozialmus kooperiert haben, teilweise war ihnen der aber zu pöbelhaft und sie wollten einen elitäreren Rechtsextremismus haben. Das ändert aber nichts an der Tatsache, dass sie rechtsextrem sind, dass sie antidemokratisch waren und sind, dass sie gegen das Parlament sind und gegen Gleichheit. Dass sie nicht den direkten Rückgriff auf den Nationalsozialismus machen, ändert nichts an dieser Ideologie.
Am Samstag sind die Identitären zum ersten Mal in Österreich auf der Straße präsent gewesen. Vielleicht zur Symbolik, die bei dieser Demonstration auch eingesetzt wurde: Ganz wichtig ist da ja diese Lambda-Fahne. Worauf bezieht sich denn das?
Die Symbolik ist einerseits dieses Schwarz-Gelb, diese starken Farben, andererseits dieses Lambda-Symbol. In einer heroischen Selbstinszenierung ist das der Rückgriff auf die Spartaner, die sich zu dreihundert gegen die Perser gewehrt haben. Sie versuchen sich da selbst zu historisieren, das Symbol kommt aber in Wirklichkeit natürlich aus dem Film 300. Ja, sie haben das einfach aus der Popkultur entwendet.
Es scheint, als wäre das überhaupt ein Kennzeichen der Identitären, dass sie sich an Symbolen bedienen, die man eigentlich gar nicht unbedingt dem rechten Sektor zuschreiben würde. Kann man das so sagen?
Absolut. Und sie machen das, auch das muss man sagen, sehr geschickt. Sie verwenden alles was ihnen in die Finger kommt. Das hat fast schon einen postmodernen Charakter, so anything goes. Von Harry Potter bis Eric Cartman, von Avatar bis zu verschiedenen Internet-Memes, da wird alles verwendet um die eigene Ideologie zu transportieren. Sie haben auch keine Berührungsängste mit vermeintlich linken Symbolen, Che Guevara zum Beispiel, das ist alles für sie drinnen.
Auf den Bildern von der Demonstration sieht man auf den ersten Blick in der ersten Reihe ganz junge Menschen, auch viele Frauen. Der Eindruck ist, das ist eine junge Bewegung die da unterwegs ist, keine alten Herren?
Das ist auch so eine Strategie, dass man eben Frauen in die erste Reihe stellt. Das haben teilweise auch schon die Autonomen Nationalen gemacht, um ein militantes Auftreten abzuschwächen, indem man junge Frauen in die ersten drei Reihen gibt. Die Identitären haben einen jungen AktivistInnen-Pool, das sieht man auch bei ihren Auftritten, das wird sich so zwischen 20 und 30, 35 Jahren bewegen. Es gibt Leute, von denen klar ist dass sie dabei sind, eben sehr viele Burschenschafter. Der Obmann der Identitären, Alexander Markovics, ist auch bei einer Burschenschaft, mit besten Kontakten zur FPÖ. Andere Leute kommen - wie gesagt - aus einem aktionistischen, neonazistischen Umfeld. Die Frauen die dabei sind, das ist ganz spannend, da gibt es welche die waren früher in einem sozialdemokratischen Umfeld aktiv, und so setzt sich das dann zusammen. Es gibt Leute aus einem konservativen Spektrum, Leute vom CV, also vom Cartellverband. Normalerweise gibt es zumindest offenkundig ja Berührungsängste zwischen deutschnationalen Burschenschaften und CV, bei den Identitären kommt das aber alles zusammen. Sie haben auch Veranstaltungen beim ehemaligen Wiener Akademikerbund abgehalten. Das war früher die Akademiker-Vereinigung der Wiener ÖVP. Die sind dann ausgeschlossen worden, weil sie das Verbotsgesetz in Frage gestellt haben, haben aber weiter Bestand gehabt in den Räumlichkeiten der Schlösselgasse. Es sind Leute von der JES dabei, falls die wer noch vom ÖH-Stimmzettel kennt, das ist eine monarchistische paneuropa/Habsburg-Fraktion. Auch solche Leute sind zumindest im positiven Umfeld der Identitären zu finden. Es kommt hier also das ganze Spektrum von jungen, gebildeten, konservativen bis rechtsextremen zusammen.
In manchen Kommentaren heißt es, diese Kundgebung am Samstag war ein großer Erfolg für die Identitären, alle haben von der Zusammenstößen zwischen Polizei und Gegendemo gesprochen, die Identitären stehen da als jene, die sozusagen unauffällig durch die Stadt marschiert sind. Was wollen die Identitären eigentlich. Wenn du sagst, da sind Leute von CV bis Burschenschaften dabei, auch Leute aus einem sozialdemokratischen Hintergrund,... was soll das werden? Ein Partei?
Also zuerst muss man sagen, dass sie das natürlich als Erfolg abfeiern. Wir sehen das nicht so, weil sie nicht die Route gehen konnten, die sie eigentlich wollten und auch weil die Gegendemonstration viel, viel größer war. Dass wir über Polizeigewalt reden müssen, und nicht darüber, dass Rechtsextreme an einem Samstag am hellichten Tag über die Straßen ziehen, ist leider ein Verdienst dieser Eskalation von Polizeiseite. Und zu den Identitären und was sie wollen: Sie wollen keine Partei werden. Die Neue Rechte hat den Anspruch, eben nicht im Parteienumfeld zu agieren, auch wenn sie eine enge Anbindung haben und Leute auch immer wieder rüberrutschen. Der eigene Anspruch ist es, wie sie es nennen, "Metapolitik" zu betreiben. Das heißt, im vorpolitischen Raum aktiv sein und eine Diskursverschiebung nach rechts zu machen. Das überhöht jetzt die Rolle der Identitären ein bisschen, wenn man das so sagt. Aber wenn man sieht, dass sie eben in einem Umfeld der Neuen Rechten eingebettet sind, das auch sehr stark den Moment auf der eigenen Seite hat, wenn man sich zum Beispiel die Montagsdemonstrationen in Deutschland anschaut, wo ein Jürgen Elsässer dabei ist, der genau aus diesem Spektrum kommt, wenn man sich anschaut, dass ein Tilo Sarrazin sehr gute Kontakt in diese Szene hat, dass die alle auf verschiedenen Events, Konferenzen, Tagungen immer wieder zusammentreffen, dann sieht man, dass hier sehr viel an Vernetzungsarbeit passiert. Und die Identitären sind genau von diesem "Das-wird-man-ja-wohl-noch-sagen-dürfen"-Spektrum der junge, aktionistische Arm. Und so muss man die Identitären auch sehen. Für sich gesehen darf man sie jetzt nicht wahnsinnig überhöhen, natürlich auch nicht unterschätzen, aber man muss sehen in welchem Spektrum sie wirken. Das Gefährliche ist, dass hier eine Verschiebung passiert, dass Wörter benutzt werden die klar konnotiert sind, dass es wieder en vogue wird, gegen Minderheiten zu hetzen, gegen Homosexuelle, gegen arme Menschen und so weiter. Das ist das was die Neue Rechte will, dieses unsagbare wieder sagbar zu machen.
Gestern sagte der Wiener Bürgermeister, er findet, die Identitären sollten verboten werden. Wie steht denn die "Offensive gegen Rechtes" dazu, bzw. wie stehst du denn dazu?
Einerseits finde ich es super, dass jetzt auch Wortmeldungen von Seiten der Politik kommen, auch von Seiten der Stadtregierung. Das ist großartig und da freue ich mich auch sehr, dass da versucht wird, ein entschiedenes Zeichen zu setzen. Als "Offensive gegen Rechts" haben wir das noch nicht diskutiert, deshalb kann und möchte ich jetzt auch nicht für das Bündnis antworten. Ich persönlich glaube, dass eine Verbotsdebatte am Kern vorbeigeht. Wenn wir sehen, dass das eine Gruppierung ist, die sich auch stark aus einem konservativen Spektrum zusammensetzt, dann ist das eben nicht eine isolierte Gruppe, die irgendwo am rechtsextremen Rand steht. Man glaubt immer, dass es da irgendwo eine Mitte gibt und dann sind da zwei Ränder, einer linksextrem, einer rechtsextrem. So ist das nicht. Diese Gruppe, diese Neuen Rechten, die agieren ganz stark an dieser vermeintlichen Mitte, die weder neutral ist noch sich dagegen wehrt. Das sind Leute, die sind an Universitäten, die schreiben, geben Zeitungen heraus, die sind ganz stark in dieser vermeintlichen Elite drinnen. Zu glauben, dass das nur ein paar Leute an irgendeinem Rand sind, die diese Diskurse betreiben, das ist falsch. Und deswegen geht eine Verbots-Diskussion meines Erachtens am Problem vorbei.
Beim Verfassungsschutz heißt es dazu, solange keine Straftaten vorliegen, kann man auch gar nicht aktiv werden, und kann man die Identitären auch nicht verbieten. Was wäre denn deiner Meinung nach für eine Gesellschaft wichtig, um mit dieser Bewegung oder Gruppierung umzugehen?
Einerseits ist es einfach ganz wichtig, Antifaschismus zu unterstützen und nicht zu kriminalisieren. Was wir erleben ist eine Kriminalisierung von Antifaschismus, schon seit dem WKR-Ball. Wir haben noch immer einen Genossen, der seit vier Monaten in U-Haft sitzt, auf sehr sehr schwammiger Basis. Wir erleben jetzt auch wieder, dass Leute kriminalisiert werden, die sich gegen rechtsextreme Tendenzen wehren. Und ein weiterer wichtiger Schritt wäre, dass man Diskurse, die Ungleichheit bedienen, die eine Gruppe von Menschen aufgrund ihrer bloßen Existenz abwerten, dass man denen nicht nachgeben darf. Das betrifft sexuelle Orientierung, das betrifft sozialen Status, das betrifft Herkunft, das betrifft alles. Und das ist das Wichtige, dass man diesem Diskurs nicht Vorschub leistet.
Ich habe gelesen, dass du aufgrund deines Engagements gegen die Identitären und aufgrund deiner kritischen Beschäftigung mit dieser Gruppierung schon Morddrohungen erhalten hast. Wie geht's dir persönlich damit?
Es ist natürlich nicht lustig, Morddrohungen zu bekommen. Mir wurde auch schon das Fenster eingeschossen, mit einer Softgun oder was auch immer. Das ist wie gesagt nicht lustig, aber davon lass ich mich auch nicht einschüchtern. Denn das ist ja was diese Aktionen bewirken wollen, dass ich mich nicht weiter engagiere, dass ich klein beigebe. Und das tu ich nicht.