Erstellt am: 3. 5. 2014 - 09:45 Uhr
Gitarren über alles
Ich bin mit ihnen sozialisiert worden. Mit ihrem verzerrten Sound, dem fiependen Feedback, den silbern glänzenden Saiten, die einen Sound erzeugen der einem um die Ohren flirrt und surrt, wie Starkstrommasten in der Stille der Nacht. Zu großen Klangwänden können sie sich aufbauen, mächtig Druck erzeugen oder einfach sympathisch im Lo-Fi Gewand dahinscheppern. Man kann in ihrem breiten Getöse untergehen und zu ihren zarten Glöckchenklang tanzen. Sie sind auch heute noch oft Sinnbild des Rock'n'Roll, der Freiheit und der Revolte. Und auch in den folgenden Musikvideos erklingt sie in verschiedenen Facetten, die E-Gitarre.
Human Shout - "Counting From Ten"
Rau, angezerrt und herrlich verspielt zieht einen "Counting From Ten" vom ersten Riff an in seinen Bann. Die Wiener Human Shout zeigen mit diesem Song gleich auf mehreren Ebenen, was sie drauf haben. Gewitztes Songwriting, bei dem innerhalb von drei Minuten öfters der Beat und das Tempo wechseln, eine gesangliche Struktur, die sich nicht am klassischen Strophe/Refrain-Schema abarbeiten muss, ein reifer und gut produzierter Sound und nicht zuletzt eine energische Leichtigkeit des Zusammenspiels, das sind die Trümpfe von Human Shout.
Für das Musikvideo zu "Counting From Ten", dem Titeltrack des Debüts, arbeitet man visuell ebenfalls mit Vielschichtigkeit. Die Vermischung von Projektionen mit Nahaufnahmen erzeugt eine spannende Grundatmosphäre. Geschickt zu der sich stetig rhythmisch wandelnden Nummer geschnitten tauchen wir im Verlauf des Videos tiefer in das Soundmeer von Human Shout. Da darf ein noisiges grand finale natürlich nicht fehlen.
Mopedrock - "faut que tu viennes"
Ganz anders verwenden die großartigen frankophilen Chanson-Pop-Punker Modpedrock!! ihre Gitarren. Meist schrammeln sie legere zum räudig rockigen Oeuvre der Band und unterstützen so ihre liebenswerte Andersartigkeit. Unterstützt von der Trompete Richie Klammers (der auch in der Fuzzman Band spielt) wird hier wie im Fieberrausch der Liebe assoziiert:
ich brauche frische luft
für meinen ausgetrockneten kopf
am ufer des flusses, der fließt
betrinken sich die Antikörper
(Auszug der deutschen Übersetzung von "faut que tu viennes")
Das Video erzeugt wie schon das vorangegangene mit sehr einfachen Mitteln einen großen Effekt und trifft durch seine herrlich absurde Anmutung und die erhebliche Reduktion genau den Nerv des Songs.
The Boys You Know - "The Cult"00
Gitarrenmäßig darf bei The Boys You Know noch mehr geklotzt werden, als auf dem Debüt. Denn wenn das neue Album "Purple Lips" (erscheint auf Wohnzimmer Records am 09. Mai) hält, was die Single "The Cult" verspricht, dann wird das eine richtig fette Gitarren-Platte. Natürlich schimmern immer noch die guten alten 1990er Referenzen durch, allerdings tun sie sich schwer, bei all dem herrlichen verzerrten Noise an die Oberfläche zu kommen.
Dazu verbinden The Boys You Know mit dem Sound des Songs etwas, was in meinen Assoziationen nicht im entferntesten vorkommt. Nämlich das schweißtreibende Trainieren an Gewichten. Doch die Bilder zu "The Cult" sind Gott sei dank weit von abgeranzter Massenfitnessclub-Ästhetik entfernt. Und fit scheinen The Boys You Know allemal zu sein, nicht nur musikalisch.
Pharaohs and Kings - "Twisted Eyes"
Out of the blue hat mich dieser Song erwischt. Für mich als Liebhaber melancholischer Shoegaze-Musik kann das Trio Pharaohs and Kings gar nicht viel Falsch machen. Ihre Gitarren breiten sich dezent im verhallten Raum aus, betten die vorsichtigen Stimmen in eine herrlich erfrischende Klanglandschaft. Unterstützt wird das alles durch ungewöhnliche Rhythmik und dezentes Bass-Spiel.
"Twisted Eyes" setzt mit der in wundervollen Kameraeinstellungen festgehaltenen Geschichte noch eins drauf. Berührend und in herrliches Licht getaucht vermitteln uns Pharaohs and Kings darin das Gefühl von Endlichkeit und dem, was darüber hinaus reichen kann, die Verbindung zweier Menschen.