Erstellt am: 27. 4. 2014 - 14:10 Uhr
Extrem laut & unglaublich nah
Durch den Regen rauscht ein einsames Saxophon. Während hier letztes Jahr noch beschrieben stand, wie sehr die Show seines früheren Projekts Hype Williams als körperliches Erlebnis mehr denn als konventionelles Konzert zu erleben war, steht heute Dean Blunt, von dem man lange Zeit gar nicht sicher wusste, wie er aussieht und ob es sein richtiger Name ist (eine Information, die bis heute nicht zu einhundert Prozent bestätigt ist), leibhaftig auf der Bühne, wird sogar von ein paar Scheinwerfern bestrahlt und hat Verstärkung mitgebracht.
David Visnjic
Ein Saxophonist setzt traurige Akzente, die Sängerin und Gitarristin Joanne Robertson nimmt wie auch schon bei einigen Aufnahmen die Rolle von Blunts früherer Projektpartnerin Inga Copeland ein. Vor allem aber wird Dean Blunt in letzter Zeit bei seinen Live-Auftritten von einem Security-Mann begleitet, der bewegungslos im Anzug das gesamte Konzert über neben ihm wacht. Der aufgeklappte Flügel auf der Bühne dient im Lauf des Konzerts augenscheinlich nur dem Anspielen eines einzigen Akkords. Jeder der Akteure verlässt seine Position augenblicklich, wenn er mit seinem Einsatz fertig ist. Im Rauschen der Dunkelheit rund um die Songs, die dadurch gewahrt wird, dass man den Stadtsaal während der Performance nur von der Hinterseite betreten darf, lässt sich teilweise nicht ausmachen, ob sich überhaupt noch jemand auf der Bühne befindet.
I See a Darkness
Der zweite Tag beim Donaufestival: Vessel, Vatican Shadow und Ron Morelli steigen in den Abgrund (Philipp L´Heritier).
Es ist dies wieder nur eine Handvoll Ideen aus den Zauberkisten des Dean Blunt, in denen Tracks, die ein paar Sekunden dauern, ebenso rappeln wie zehnminütige Instrumentalimprovisationen, berauschter Singsang oder synthetische Chöre, und während man ihn sich innerlich augenzwinkernd oder händereibend darüber vorstellen kann, welchen Haken er den Rezipienten da wieder geschlagen hat, verzieht er auf der Bühne keine Miene. Der hypnagogische Schleier seines früheren Pop jedenfalls ist auf dem Album "The Redeemer", das Dean Blunt heute fast zur Gänze zur Aufführung bringt, größtenteils gelüftet worden bzw. ist einer neuen Form der vermeintlichen Authentizität gewichen, in der seine Stimme unverpixelt und unperfekt zwischen Gitarren, Pianos, schleppenden Beats und Nachrichten auf dem Anrufbeantworter eine geliebte Person besingt. Manchmal verkündet die Tonbandstimme auch einfach nur, dass es keine neuen Nachrichten zum Anhören gibt.
David Visnjic
Gegen Ende der Show passiert ein Bruch und die in Verbindung mit Dean Blunt so oft zitierten und am Eingang mit warnenden Zeichen angekündigten Stroboskope setzen ein. Es folgen drei offenbar neue Tracks, die eine neuerliche Hinwendung Blunts zu elektronischeren Sounds wie auch einer Art Sprechgesang andeuten. Vielleicht aber steht er in ein paar Wochen schon wieder ganz wo anders.
Jeff Mills
Während später am Abend in der Halle 2 die Ninos du Brasil eine rohe, organische Energie entfesseln, bei der die Doppelkickdrum, gespielt von zwei euphorischen Menschen, auch mal im Dienste der Unmittelbar- und Tanzwütigkeit seitens der Künstler und des Publikums aus dem Takt laufen darf, vollführt Jeff Mills im Stadtsaal sein Werk mit allerhöchster Präzision. Man munkelt, dass er sich von dem Spitznamen "The Wizard" schon seit Längerem loslösen will, jedesmal, wenn man ihn an seinen Geräten und mit all seiner ernsthaften Kompromisslosigkeit und diesem Gesichtsausdruck erlebt, sieht man die Loblieder um ihn aber erneut bestätigt. Warum genau er sein Set-Up, bestehend aus vier kreisförmig angeordneten CD-Playern, einem Mixer und einer abseits stehenden Roland TR-909, auf dem Boden platzieren hat lassen, ist nicht näher bekannt, es mag aber auch alleine der Tatsache geschuldet sein, dass Jeff Mills in seinem schmalen, schwarzen Anzug der einzige Mensch auf der Welt ist, der noch in der Hocke elegant und erhaben aussieht.
David Visnjic
Verbunden durch die Kopfhörer aus dem Mischpult in der Mitte pirscht er im Kreis um sein Equipment herum, lauscht dort einmal genauer, verfeinert den Sound einer ohnehin schon erstklassigen Clap, schraubt und baut mit feingliedgrigen Fingern minutenlange Beat-Klimaxe in hohem Tempo, schließt die Augen - eine Vorstellung, die aufgrund der Lichtblitze im Saal nicht einwandfrei bezeugt werden kann -, horcht noch einmal tiefer und scheint dann aus einer Art inneren Bestimmung heraus zu wissen, welches Element sich als Nächstes in den pulsierenden Sog einzuordnen hat. Dass Mills heute als Botschafter seines Projekts "The Sleeper Wakes" auf der Bühne steht, in dem er sich der kapitelweisen Vertonung einer von ihm selbst geschriebenen Science-Fiction-Geschichte widmet, ist nun zugegebenermaßen nicht unbedingt zu erkennen. Das macht aber nichts.
Im Sumpf
Auch die Sumpfisten berichten am Sonntag ab 21 Uhr vom Donaufestival:
1994 startete das Wiener Label Mego als Topadresse für das gepflegte Laptopinferno. Seit 2006 betreibt es Peter Rehberg praktisch im Alleingang. Das Donaufestival stellt am 3. Mai eine aktuelle Leistungsschau vor.
Und: Anmerkungen über einige zentrale Aspekte des Pathetischen am Beispiel Jamie Stewart und seines Bandkonzepts Xiu Xiu.
Zwischendurch ist kurz Rauschen und entgegen jeder Konvention eines sogenannten Drops ist die plötzlich einsetzende Kickdrum ein so unvermittelter Schlag in den Magen, dass einem das Bier im Hals stecken bleibt. Durchdrungen und verstärkt ist all dies von dem makellos gemischten Sound des Saales, bei dem ein leises Knirschen sich etliche Takte davor merkbar um die Ecke schleichen kann, bevor es zum Leitmotiv des neuen, modulierten Tracks wird. Gerüchten zufolge hätte Jeff Mills auch ganz und gar nichts dagegen gehabt, sein eh schon dreistündiges Set hier beim Donaufestival auf sechs, sieben oder acht Stunden auszudehen, so viel gibt es weiterhin zu sagen auf dem weiten Feld des Techno Detroitscher Prägung, der heute nach über zwanzig Jahren nachfolgender Technoproduktionen noch immer Richtungen vorgeben kann.
David Visnjic
David Visnjic