Erstellt am: 27. 4. 2013 - 15:53 Uhr
Drei Farben: Schwarz
Man soll bitte etwas über die Soundqualität im Sinne von Klarheit, Loudness und Abgemixheit des Klanges aus den Boxen am Donaufestival sagen - sie ist fantastisch. Wie die Synthiekreisel von Drokk sich über die Zuhörerköpfe drehen, wie das Gekreische von Bosse-De-Nage durch Mark und Bein fährt und vor allem: wie der Bass einem immer wieder und vor allem im Stadtsaal und vor allem bei Hype Williams den Kehlkopf zudrückt, ist eine reine Freude und macht die Dröhnung, die man sich in dieser Freitagnacht in Krems abholt, zu einer noch volleren. Dröhnen, Brummen und Stroboskopblitze sind jedenfalls die zentralen Begriffe des zweiten Donaufestivaltages.
Drokk
Die Band Drokk ist bekanntlich ein Liebhaberprojekt von Portishead-Mastermind Geoff Barrow (man spricht ihn "Jeff" aus, vielleicht mag man sich das einmal hinter die Ohren schreiben) und widmet sich der Vertonung der fiktiven 400-Millionen-Stadt Mega City One aus der britischen Comicreihe "Judge Dredd". Geplant war das wunderbare, bisher erschienene Werk des Duos, das Barrow zusammen mit dem Komponisten Ben Salisbury ins Leben gerufen hat, ursprünglich als Soundtrack zur gleichnamigen Comicverfilmung, die dann allerdings aus verschiedenen Gründen doch mit einem anderen Score erschien. Mega City One muss man sich als einen der düstersten Orte der Nicht-Welt vorstellen, und in dementsprechenden Farben bemalen Drokk den smogverhangenen Himmel über der Stadt. In ewigen Kreisbewegungen wälzt sich ein riesiges Rad über den Horizont, und wenn das Sirenengeheul der Bewohner anhebt, wird es von Rauch und Dampf niedergepresst.
Christian Wind
Nach einem Konzert in einem Londoner Comicladen ist dies heute der erst zweite gemeinsame Drokk-Auftritt überhaupt. Salisbury und Barrow im J Dilla T-Shirt spielen auf dem vielleicht größten Oberheim-Synthesizer der Welt, der in Wirklichkeit aus drei einzelnen Maschinen besteht und per Spezialtransport hinter ihnen her durch Europa gebracht wurde, und werden von einem dritten Musiker an weiteren elektronischen Klangerzeugern unterstützt. Ein Druck auf der Brust, vielleicht auch ein Sonnenaufgang in einer fernen Zukunft.
Jahrmarkt der Pataphysik
Herr David Pfister nimmt sich des Pataphysik-Schwerpunkts an:
Ein hundsköpfiger Pavian dient der kalifornischen Band Bosse-De-Nage als Namenspatron. Die Figur des Affen Bosse-De-Nage hat der französische Schriftsteller Alfred Jarry erfunden. Er ist einer der Protagonisten im Philosophie- und Wissenschaftskonzept von Alfred Jarry – der Pataphysik. Und damit sind wir auch schon im von Fritz Ostermayer kuratierten Pataphysik-Jahrmarkt innerhalb des Donaufestivals.
Die Patapysik kann man als Parodie auf die modernen Wissenschaften verstehen, sie taucht in vielen Avantgarde-Spielarten des 20. Jahrhundert auf. Von Dada bis Fluxus. Wichtiger Aspekt ist die Erhebung der Scharlatanerie. Das gefällt dem Neo-Leiter der Schule für Dichtung, Fritz Ostermayer. Im Rahmen seines pataphysischen Schwerpunkts beim Donaufestival gab es beispielsweise die Dental-Performance "Jesus' Blood" mit dem Zahnarztmaschinenorchester. Echte Zahnärzte plombierten und mundhygienten die Protagonisten auf der Bühne, die angehalten wurden, während der Behandlung unablässig den Song "Jesus Blood Never Failed Me Yet" zu singen. Ein Balanceakt zwischen Humor und blankem Horror. Für ZuschauerInnen wie auch für die DarstellerInnen.
Christian Wind
Christian Wind
Und jetzt wieder zum pataphysischen Finale, zur Band Bosse-De-Nage. Die erklärten Pataphysiker agieren in der Tradition des Indie-Black-Metal und sind in einer Reihe mit Formationen wie Liturgy oder Wolves In The Throne Room zu sehen. Als Indie-Black-Metal mit einem alternativen statt einem konservativen politischen Hintergrund. "Melodische Eleganz verschmilzt mit der kalten Wut des Black Metal", meint der Ostermayer. Die echte Black-Metal-FreundIn wird sich angewidert abwenden von Bosse-De-Nage. Und so gesehen haben die intellektuellen Hochstapler aus dem sonnigen Kalifornien ihr Ziel erreicht. Und wenn man den ganzen theoretischen Krempel wegwischt, bleibt eine episch-atmosphärische Ahnung von Black Metal mit balladesken Pausen, vorgetragen in Indiekids-Kleidung.
Tod der Kinderdisco
Auch Darren Cunningham alias Actress ist prinzipiell und heute wieder einmal im Besonderen auf dem Bestrafungs-Kurs unterwegs. Die Fabrik, in der er auf gigantische metallene Rohre schlägt und deren Maschinen unbarmherzig zwischen avantgardistischem Techno, Bass Music, Electronica und progressivem Sounddesign pumpen und fauchen, muss auch irgendwo in der Mega City One stehen. Auf seinen bisherigen drei sehr guten Alben auch nicht gerade zimperlich, erkennt Actress das Donaufestival als den richtigen Rahmen, um seinen wildesten Rhythmusdekonstruktionen freien Lauf zu lassen und löst die Spannung, die auch eine permanente Anspannung ist, erst gegen Ende seines Sets mit geraderen Technobeats auf.
Christian Wind
Die letzten verbliebenen Dämonen, die einem am heutigen Abend noch nicht anderswo ausgetrieben wurden, lässt man sich um Mitternacht von Hype Williams im Stadtsaal wegbrennen. Hype Williams sind eines der kuriosesten und gewollt-geheimnisvollsten Projekte der Elektronikszene. Seinen Namen hat das Duo, das auch und beispielsweise auf dem Label Hyperdub einzeln und gemeinsam unter den Namen Dean Blunt und Inga Copeland operiert, von einem britischen Videoclipregisseur gestohlen, seine musikalische Inspiration scheint es direkt aus der Hustensaftflasche zu trinken. Vielleicht ist auch dies eine Verkörperung von Pataphysik, eine Andeutung von Pop aus einer besseren Welt, die nie fertig ausformuliert wird, ein kurzer Blick auf rauchverhangene Sphären, in denen der Boden aus Bass und die Flüsse aus Codein sind. Funkelnde Melodiemomente hinter Rauchschwaden, das Zucken des Stroboskops und unter allem ein Kern und eine Essenz, die physisch erfahrbar und praktisch berühbar wird: ein Herz aus Bass, ein unendliches Wummern, das einem durch den Holzboden des Stadtsaals direkt in die Eingeweide fährt und das Schlucken unmöglich macht. Es ist eine körperliche Erfahrung, näher kann man dem Rausch durch Musik kaum kommen.
Christian Wind