Erstellt am: 27. 4. 2014 - 14:10 Uhr
I See a Darkness
Die Fenster der Minoritenkirche scheinen nur mit aller Mühe zu halten. Schon am Nachmittag bebt und zittert das Gebäude vor dunkler Soundgewalt. Für seinen zweiten Tag hat das Donaufestival nicht wenige Acts geladen, die bevorzugt im Finsteren bohren. Die die Verhältnisse zwischen Techno und Noise ausloten. Den Bass als körperliche Erfahrung neu definieren wollen.
David Visnjic
Erschütternder Höhepunkt ist schon um 17 Uhr der Auftritt von Vessel: Der junge Produzent aus Bristol arbeitet an der endgültigen Zersetzung der allerletzten Reste von Dub und Dubstep, dazu erklingen schwer verhallte Todesglocken, tief nach unten gepitchte Flötenmotive oder Peitschengeräusche. Vessel entstammt dem insgesamt sehr empfehlenswerten Kollektiv Young Echo, das in Bristol neben der befreundeten und artverwandten Crew Livity Sound dafür hauptverantwortlich ist, elektronische Tanzmusik immer weiter Richtung Abstraktion zu treiben und teils mit voller Absicht jeder Funktionalität zu entbinden.
Extrem laut & unglaublich nah
Zwei Headliner am zweiten Tag des Donaufestivals: Dean Blunt und Jeff Mills (Katharina Seidler).
2012 hat Vessel auf Tri Angle Records ein hervorragendes Album mit dem sprechenden Titel "Order of Noise" veröffentlicht, noch dieses Jahr soll ebendort ein zweites folgen. Gerade hat der junge Mann als Bestandteil des Trios - mit dem ebenfalls nicht mit geringer Bedeutung besetzten Namen - Killing Sound eine ebenso großartige EP released, die verschwörerisch die Knotenpunkte zwischen spröder Depressions-Elektronik und minimalistischen Reggae-Riddims umkreist. Erschienen ist die EP bei Blackest Ever Black. Selten wurde ein Label treffender benannt.
In diesem eng gesteckten Koordinatensystem bewegt sich Vessels Auftritt beim Donaufestival. Immer wieder ertönt eine betont dumpfe Bassdrum im 4/4-Takt und setzt die Minoritenkirche an diesem Nachmittag in Wahlverwandschaft zum Bunker Berghain. Eher hinsichtlich des Sounds, keine Angst, nicht in Bezug auf das Benehmen der Besucher. Es ist laut, es ist schwarz. Ein mulmig machender Abstieg in den Schlund der Hölle.
David Visnjic
In der Halle 2 hält der amerikanische Produzent und Tausendsassa Dominick Fernow ein kleines Showcase seines Labels Hospital Productions ab. Unter dem Namen Prurient hat Fernow bislang gefühlte 100 Tapes, CD-Roms, Alben und sonstige Tonträger mit einer menschenfeindlichen Mischung aus extremem Krach, Terror-Elektronik und Schmerzensgeschrei vollgemacht, mit seinem Projekt Vatican Shadow, mit dem er beim Donaufestival auftritt, führt er seine Idee von Noise Richtung Techno.
Auf diesem aktuell gern beackerten Feld darf Vatican Shadow als Vorreiter gelten. Dazu bemüht er in Visuals und Plattendesign eine militaristische Bildsprache, die ihn gemeinsam mit Soundästhetik und der Tendenz zu überbordendem Output eindeutig als großen Verehrer des viel zu früh verstorbenen englischen Produzenten Muslimgauze ausweist.
Live ist Vatican Shadow eine Erleuchtung. In geiler Apathie schlägt uns die Bassdrum, scharfe Störgeräusche funken dazwischen, dazu gibt Fernow den wild gestikulierenden, mit sich selbst tanzenden, an der Bühnenvorderkante das Publikum anstachelnden und einen ungerechten Gott anrufenden General. Die im Bühnenhintergrund projizierten Bilder zeigen Flugzeugbaupläne und Maschinengewehre. Raven bis der Arzt tot ist.
David Visnjic
David Visnjic
Das darauf folgende Duo Ninos Du Brazil, ebenfalls Hospital Records, verbindet aufgebrachtes Geklapper und Samba-Rhythmus an zwei Mini-Drums-Sets mit, ja, wieder, Getöse und Lärm aus dem Laptop. Soll wohl die oftmals gerne vorgefertigten Assoziationen zu "brasilianisch" codierter Musik ein wenig in Frage stellen. Es funktioniert: Im Publikum wird da und dort wie auf Befehl der Fußgängerzonen-Ausdruckstanz ausgepackt.
Ein spätes Highlight: Während drüben im Stadtsaal noch Großmeister Jeff Mills am Werk ist, beginnt Ron Morelli sein DJ-Set in einer bis auf ein paar wenige vereinzelt Herumstehende leeren Halle 2. Der New Yorker DJ und Produzent hat es auch überhaupt nicht eilig, Publikum auf seine Seite zu ziehen. Gut die ersten 15 Minuten seines Auftritts sind nicht wesentlich mehr als ein beatloses Zischen und Fauchen. Ab und zu hört man Schab- und Kratzgeräusche, da und dort scheint irgendwo in Zeitlupe ein einsames Becken umzufallen. Schnelle Befriedigung gibt es hier nicht.
David Visnjic
Im Sumpf
Auch die Sumpfisten berichten am Sonntag ab 21 Uhr vom Donaufestival:
1994 startete das Wiener Label Mego als Topadresse für das gepflegte Laptopinferno. Seit 2006 betreibt es Peter Rehberg praktisch im Alleingang. Das Donaufestival stellt am 3. Mai eine aktuelle Leistungsschau vor.
Und: Anmerkungen über einige zentrale Aspekte des Pathetischen am Beispiel Jamie Stewart und seines Bandkonzepts Xiu Xiu.
Hauptsächlich ist Ron Morelli momentan als Boss des gerade im Zenith der Coolness stehenden Labels L.I.E.S. in aller Munde. Auf den Platten von L.I.E.S. treffen sich Noise, Industrial, Schrottplatz-Techno und abgefuckter New Yorker Hipster-Lederjacken-Schick. Zum Donaufestival ist Morelli jedoch nicht in Mission seines eigenen Labels, sondern als Teil der Posse von Hospital Productions gekommen: Für seinen Homie Dominick Fernow hat er 2013 ein gut kaputtes Minialbum namens "Spit" veröffentlicht. "Spit" - und so klingt das dann auch. Hingerotzte Elektronik-Skizzen, kaum fertig gedachtes rudimentäres Gebrumme und Gewummer, ein stumpfer Beat. Sehr gut.
So gestaltet sich Morellis Set dann auch weiter. Er scheint an diesem Abend die Hospital- und nicht die L.I.E.S.-Plattentasche mitzuhaben. So etwas wie ein Beat setzt zum ersten Mal nach gut einer halben Stunde ein, wenn zuviel getanzt wird, gibt's vom gestrengen Educator Morelli zwischendurch eine karge Gamelan-Nummer auf die Ohren. Oder ein Stück, in dem fünf Minuten lang nichts anderes als eine Art Telefon-Tuten in Warteschleife läuft. Nach einer Stunde dreht Morelli schließlich dann auf und bestraft das doch noch erschienene Publikum mit Techno und Acid. Großartiges Set. Schön, wenn gewagt und nicht immer bloß dem Mund einer herbeimaginierten Zuhörerschaft zugedient wird.