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Simon Welebil

Abenteuer im Kopf, drinnen, draußen und im Netz

11. 2. 2014 - 14:47

IPod schlägt Shaun White

Iouri Podladtchikov gewinnt Gold in der Halfpipe und beendet Shaun Whites Siegesserie.

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Die Ausgangslage beim Snowboard-Halfpipe-Bewerb ist so klar, wie in kaum einer anderen Disziplin. Es gibt einen klaren Favoriten, Shaun White. Shaun White hat die Halfpipe-Bewerbe in den letzten Jahren dominiert, nicht nur zwei Olympia-Goldmedaillen zeugen davon, sondern auch sechs Erfolge bei den X-Games hintereinander, zwischen 2008 und 2013. Den Sevenpeat, den siebten aufeinander folgenden Titel, hat Shaun White heuer nicht mehr in Angriff genommen, um sich besser auf die Olympischen Spiele vorbereiten zu können.

Snowboarder Shaun White in der Halfpipe

APA/EPA/JENS BUETTNER

Shaun White

Die Herausforderer

Anstatt das gewohnte Siegerbild bei den X-Games, mit Shaun White ganz oben auf dem Podium, hat vor drei Wochen Danny Davis den Halfpipe-Contest bei den X-Games gewonnen, mit einem sehr stylischen Run, inklusive einem vielumjubelten Switch-Method. Er ist einer derjenigen, denen man zutraut, Shaun White zumindest nervös zu machen.

Doch das ganze US-Halfpipe-Team zählt zu Shaun Whites Herausforderern. Die dominante Halfpipe-Nation bringt immer wieder ausgezeichnete Fahrer hervor. Greg Bretz ist es heuer sogar gelungen, als erster Rider seit fast vier Jahren, Shaun White in einem Halfpipe-Contest zu besiegen und der vierte US-Starter, Taylor Gold, ist auch in ausgezeichneter Form.

Snowboarder Iouri Podlatchikov über Kopf in der Luft

APA/EPA/JENS BUETTNER

Iouri Podlatchikov

Der größte Konkurrent von Shaun White wird aber wohl doch ein alter Bekannter im Contest-Zirkus sein, der in Russland geborene Schweizer Iouri Podladtchikov. Iouri ist einer der fokussiertesten und kompetitivsten Rider und hat Nerven aus Stahl. 2013 hat er als erster Rider einen Cab double cork 1440 gestanden, den er danach ironisch YOLO-Flip getauft hat, und ist auch heuer in überzeugender Form. Letzten Monat hat er die European Open gewonnen, mit Respektabstand, während er sich bei den X-Games sichtlich zurückgehalten hat, um sich nicht in die Karten blicken zu lassen. Auch seinen Schweizer Teamkollegen Christian "Hitch" Haller, sollte man im Blickfeld haben, wenn es um die Medaillen geht.

Starke Rider aus Asien

In den letzten Jahren sind aber auch Rider aus Japan immer stärker geworden. Ayumu Hirano hat letztes Jahr als 14-Jähriger die European Open gewonnen. Auch wenn er da noch nicht die schwierigen Tricks von Iouri Podladtchikov in petto hatte, konnte er vor allem mit der Höhe seiner Tricks überzeugen. Heuer hat er noch einmal einen Sprung nach vorne gemacht und zählt zurecht auch zu den Medaillenkandidaten, genauso wie sein Landsmann Taku Hiraoka, der schön öfter auf den Podien der größten Contests gelandet ist.

Eine Überraschung ist auch dem Chinesen Yiwei Zhang zuzutrauen, der seit letzter Saison regelmäßig in die Top 10 fährt.

Kritik an der Halfpipe

Vor der Qualifikation gab es starke Kritik an der Halfpipe von fast allen Ridern, allen voran Danny Davis und Torah Bright bei den Frauen. Sie sei nicht gut geshaped, zu flach und sehr wellig in der Mitte. Die hohen Temperaturen in Rosa Chutor, bis zu 15° werden gemeldet, setzen der Pipe zusätzlich zu. Die Pipe ist einfach zu weich, sodass die Landungen schwieriger bzw. sogar unvorhersehbar werden. Iouri Podladtchikov war einer der Leidtragenden dieser Temperaturen. Nur knapp ist er überhaupt ins Semifinale gekommen. Shaun White hat sich hingegen direkt für's Finale qualifiziert, mit einem Standard-Run, der ihm eine 95er Wertung eingebracht hat. Auch Danny Davis ist direkt aufgestiegen, ebenso die Schweizer Hitch Haller und David Halblützel und die Japaner Ayumo Hirano und Taku Hiraoka. Die anderen Medaillenanwärter müssen den Umweg über das Semifinale gehen.

Halfpipe in Sotschi mit Pistenarbeitern

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Aus der Ferne sieht die vielkritisierte Pipe ganz gut aus.

Die zweite Chance - das Semifinale

Im Halbfinale scheint Iouri Podladtchikov endlich der Knopf aufzugehen, zwei 900s, ein Double Cork, 87,5 Punkte, das sollte sich eigentlich für's Finale ausgehen. Greg Bretz setzt sich danach an die zweite Stelle. Mit Taylor Gold und Arthur Longo sollten auch die zwei anderen Top-Fahrer aus diesem Semifinale weiterkommen, insofern es keine Überraschungen gibt. Sechs Rider aus dem Semifinale werden sich zu den bereits qualifizierten sechs Finalisten gesellen. Tim Kevin Ravnjak hat als Zwischendritter gute Chancen darauf, allerdings hat er bereits gehörigen Abstand zu Iouri und Greg Bretz.

Taylor Gold und Arthur Longo verhauen ihre ersten Semifinalruns, jetzt heißt's Nerven bewahren für die beiden. Zhang Yiwei dann mit drei Double-Flips hintereinander, allerdings auch mit einem Fehler. Trotzdem landet er vorläufig auf dem sechsten Platz, dem Schleudersitz.

Wir sehen heftige Stürze im Halbfinale, Shi Wancheng landet auf dem Coping, zuvor ist Johann Baisamy schon gestürzt.

Iouri Podladtchikov fühlt sich ziemlich sicher an der Spitze des Halbfinales. Anstatt seinen Score zu toppen zu versuchen, zeigt er dem Publikum, mit wieviel Style er fahren kann und beschränkt sich auf hohe Methods und 540s. Greg Bretz will mehr zeigen, landet nach einem Double aber zu weit in die Pipe, was ihn seinen ganzen Schwung kostet, aber auch er ist ziemlich sicher weiter.

Nathan Johnstone wird nach einem wackligen Run recht hoch bewertet und ist zwischenzeitlich Dritter, doch dieser dritte Rang wird gleich wieder weitergegeben, zunächst an Shi Wangcheng, dann an Kent Callister. Tim Kevin Ravnjak schiebt sich da mitten rein - ganz viele Fahrer jetzt mit 70er Wertungen. Taylor Gold hat definitiv mehr drauf, setzt sich aber bei seinem letzten Trick in den Schnee und ist draußen - die erste Überraschung des Abends, mit Arthur Longo folgt die zweite. Die Nahaufnahmen der Pipe sehen mittlerweile wirklich furchtbar aus, mit sehr tiefen Rillen.

Es wird ernst - das Finale

Snowboarder TAku Hiraoka kopfüber

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Taku Hiraoka

An der Ausgangslage hat sich nicht viel geändert, nahezu alle Medaillenkandidaten sind noch im Rennen. Wer Shaun White schlagen will, muss wohl volles Risiko gehen, während White selber sich das vom letzten Startplatz weg in Ruhe ansehen kann.

Im Finale will jeder nochmal etwas drauflegen, und gleich die ersten drei, nominell die schwächsten Fahrer, können hohe Bewertungen abstauben. Yiwei Zhang bereits mit einer 87er Wertung - vier Doubles in seinem Run, Respekt, aber ich versteh nicht, warum sich die Judges nicht mehr Spiel nach oben lassen. Da sollte noch mehr kommen.

Nicht von Greg Bretz, der stürzt bei seinem zweiten Trick. Dafür von Iouri Podladtchikov. Backside 1260s, Back to Back Double Corks 1080s. Er freut sich über seinen Run, als ob er die Goldmedaille gewonnen hätte, aber die Judges kann er damit noch nicht überzeugen. Er muss sich hinter Yiwei Zhang einreihen - eine fragliche Entscheidung.

Danny Davis dann mit einem Run for Gold, aber irgendwie verkantet er ganz unten im Flachen, damit hat er nur mehr eine letzte Chance. Die muss auch Hitch Haller nutzen, denn ihm geht in seinem Run der Speed aus.

Auyumo Hirano hat dann die Höhe, die Hitch Haller abgeht. Die ersten Tricks gehen dann fast fünf Meter über das Coping, selbst ganz unten kann er noch Double Corks landen. Das wird von den Judges belohnt, mit einem Score von 90,25. Ist das schon eine Herausforderung für Shaun White?

Ja. Shaun White kann sich keinen Sicherheitsrun leisten. Wie immer ist er am höchsten in der Pipe, aber er macht ungewohnte Fehler. Bereits in der oberen Hälfte kann er einen Double Cork nicht landen, fährt aber weiter und versucht unten noch einmal einen Double McTwist, bei dem er aber mitten auf dem Coping landet. Shaun White ist in dieser Pipe nicht fehlerlos, soviel ist zumindest klar. Kommt in Sotschi die Wachablöse?

Shaun White landet am Coping

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Shaun White am Coping

Wer fährt noch aufs Podium?

Greg Bretz, der einzige, der Shaun White in den letzten Jahren geschlagen hat, schafft es nicht mehr auf das Podium. Er konnte keinen seiner Finaltricks landen.

Mal sehen, was Iouri Podladtchikov noch in Reserve hat - den YOLO-Flip, das war ja klar. Er behält die Nerven. Hoch, technisch, sicher. Das muss der erste Platz sein. Ja, 94,75 Punkte. Die russische Shapecrew gibt ihm Hugs. Podlatchikov ist der Held des Publikums.

Nach Iouri setzt auch sein Schweizer Kollege David Halblützl einen perfekten Lauf in den Schnee und setzt sich auf die Bronze-Position. Doch Danny Davis und Shaun White kommen noch.

Danny Davis wieder mit viel Style, einem BS 360 Stylefish zu Beginn und seinem einzigartigen Switch Method, verhaut sich's aber wieder bei seinem letzten Trick - Hitch Haller macht's ihm leider nach.

Taku Hiraoka dann auch sehr hoch, mit einem BS 540 am Anfang und mit Back-to-Back 1080 Double Corks am Ende. Vorerst Zweiter. Knapp wird's da vorne.

Ayumo Hirano auch großartig. Kaum zu glauben, wie hoch der 15-jährige aus der Pipe rauskommt. Seine Landungen ohne Wackler. Um Iouri zu schlagen, fehlen ihm aber wahrscheinlich die technischen Tricks. Neuer Zweiter. Damit hat er eine Medaille sicher.

Nur mehr Shaun White kann das Podium beeinflussen. Da lastet viel Druck auf ihm. Diesmal steht er alles, aber nicht sauber. Einmal ist er mit dem Hintern am Boden, dann erwischt er einen Grab nicht richtig und ganz unten kommt er mit der Hand in den Schnee.

Shaun White umarmt Iouri Podlatchikov

APA/EPA/JENS BUETTNER

Die Wachablöse

Die Wachablöse hat stattgefunden. Shaun White wird nur Vierter und Iouri Podlatchikov holt Gold.

Strahlender Sieger

Bei Interviews mit Iouri Podladtchikov hat man in den letzten Jahren immer den Eindruck bekommen, er wäre verhärmt, weil er sich mit Niederlagen nicht abfinden konnte. Als er 2013 bei den European Open Ayumo Hirano den Vortritt lassen musste, hat er die Leistung der Judges kritisiert, nicht die eigene, und auch in dieser Saison hat er seine Runs oft als unterbewertet empfunden. Er wollte nicht der ewige Zweite sein, sondern ganz oben stehen und heute hat er es geschafft. Mit dem Sieg über Shaun White ist er endlich aus dessen Schatten getreten. Viele in der Snowboardszene werden jetzt mit ihm jubeln.