Erstellt am: 20. 1. 2014 - 18:14 Uhr
Vom No Name zum "People's Champion"
Eine Menge dieser Hollywood-Sportfilme, die so oft das Fernsehprogramm am Sonntag Nachmittag bereichern, funktionieren nach dem gleichen Prinzip: Ein schüchterner Außenseiter, der nie die Chance bekommen hat, sich in der Sportart zu beweisen, für die er brennt, kommt durch irgendeinen Zufall zu einem Wettkampfstart und steht am Ende überraschenderweise als Sieger da. In der Realität findet solch eine Handlung selten ihre Entsprechung, aber auch hier gibt es solche "from zero to hero"-stories.
Simon Welebil / FM4
Die European Open im Snowboarden (BEO) in Laax in der Schweiz sind eine der Veranstaltung, die zumindest die Voraussetzungen für solche Heldengeschichten bieten. Als einer der größten und wichtigsten Snowboardcontests setzen sie nämlich noch immer auf das "Open-Prinzip", wo sich prinzipiell jede und jeder für einen Startplatz bewerben kann, um dann mit eingeladen Profis um die Titel zu konkurrieren.
Vom No Name zum "People's Champion"
Der US-Amerikaner Seth Hill hat letztes Jahr diese Chance ergriffen. Um sich die Reise nach Laax überhaupt leisten zu können, hat er sich vom Method Mag als Fotograf akkreditieren lassen. Während des Contests hat er Fotos von den RiderInnen geschossen und als er selber an die Reihe gekommen ist, hat er die Kamera an einen Kollegen weitergereicht. Was nach Stress klingt, sah Seth Hill mehr als willkommene Abwechslung. Durch das Fotografieren hatte er keine Zeit, zwischen seinen Runs nervös zu werden. Seth Hill hat diese Strategie letztes Jahr nicht nur seinen bisher größten Erfolg eingebracht, den sechsen Platz bei einem der größten Snowboardcontests, von Moderator Henry Jackson wurde er auch zum "People's Champion" gekürt, ein Spitzname, der ihn seither auf allen Contests begleitet.
Simon Welebil / FM4
Dieses Jahr musste sich Seth Hill die BEO nicht mehr mit Fotografieren finanzieren. Sein Erfolg im vergangenen Jahr hat ihm eine Einladung eingebracht. Heuer haben andere RiderInnen versucht, es ihm nachzumachen und zum Champion aus dem Volk, zum Champion der Herzen zu werden. Die besondere Situation in dieser Saison ist ihnen dabei entgegengekommen. Denn viele der Top-RiderInnen haben den European Open wegen der laufenden Qualifikation für die Olympischen Spiele abgesagt, daher wurden einige Startplätze frei.
Simon Welebil / FM4
An der Seite der Profis
Einer, der diese Chance genutzt hat, war der Laaxer Local Matthias Wattinger. Matthias verbringt den ganzen Tag im Snowpark am Crap Sogn Gion, in Laax, allerdings nicht, um über die Schanzen zu springen, sondern um dafür zu sorgen, dass diese stets in perfektem Zustand sind, denn Matthias arbeitet im Snowpark als Shaper. Nur zum Spaß, wollte er beim Contest mitmachen und einmal sehen, was die Judges von seinen Sprüngen halten würden. Dass er plötzlich auf der anderen Seite der Absperrung war, änderte aber nichts an seinem normalen Tagesablauf: Um 06:30 mit der Gondel rauffahren, um die Slopestyle Strecke vom Schnee zu befreien, nach einer kurzen Pause um 09:00 abermals schaufeln, um die Schanzen für den Contest der Frauen zu präparieren, das selbe zwei Stunden später dann für die Männer und damit seinen eigenen Run.
Lukas Pilz
Den "eigenen" Park zu fahren, sei natürlich geil gewesen, sagt Matthias Wattinger, vor allem aber hat er es genossen, einmal gleichberechtigt neben den Profis am Start zu stehen, deren Videos er sich jeden Tag reinzieht und von ihnen Glückwünsche und Schulterklopfer zu erhalten. Bei seinem ersten Contestantritt überhaupt ist Matthias dann auch gleich ins Semifinale gekommen, wo ihm dann aber die Grenzen aufgezeigt wurden. Eine Karriere als Snowboardpro hat er aber ohnehin nicht angestrebt.
Durch die Quali ins Finale
Andere, die die Mühen der Qualifikation auf sich genommen haben, träumen sehr wohl davon, vom Snowboarden leben zu können. Der erst 16-jährige Alois Lindmoser, der noch in die Schihandelsschule in Schladming geht, hat in Laax den ersten Schritt dazu gemacht. Er hat die Abwesenheit der ganz großen Namen genutzt und ist mit beeindruckend soliden und weiten Sprüngen bis ins Slopestyle-Finale gekommen. Um den Sieg konnte er zwar nicht mehr mitreden, aber mit dem hervorragenden 13. Platz nimmt er viele Weltcuppunkte mit, die ihm noch die eine oder andere Contesteinladung einbringen werden.
Simon Welebil / FM4
Das Video vom Slopestyle-Finale der BEO.
Auch der Sieger im Slopestyle-Contest bei den Männern musste den harten Weg durch die Qualifikation gehen, meisterte den aber souverän. Brage Richenberg aus Norwegen hat schon öfter gezeigt, dass er gut snowboarden kann, etwa mit einem 3. Platz beim Pleasure Jam im November. In Laax setzte er zum Durchmarsch an. Nicht nur nach der Qualifikation stand er auf Platz 1, er konnte auch das Semifinale und das Finale für sich entscheiden, obwohl es zum Schluss noch ganz schön eng wurde zwischen ihm und seinem Landsmann Aleksander Østreng. Das Podium im Slopestyle der Männer komplettierte mit Mons Røisland ein weiterer Norweger. Kurioserweise wird keiner der drei in knapp drei Wochen bei den Olympischen Spielen in Sotschi antreteten. Vier andere Rider, unter ihnen Ståle Sandbech und Torstein Horgmo werden noch besser eingeschätzt, was das unglaubliche Potential der Norweger im Slopestyle beweist.
Die Schweiz und das Gold
In den anderen drei Bewerben bei den BEO gab es keine wirklichen Überraschungen. In Ermangelung schlagkräftiger internationaler Konkurrenz und unter Ausnutzung ihres Heimvorteils haben sich jeweils SchweizerInnen durchgesetzt. Isabel Derungs hat den Slopestyle der Frauen für sich entschieden, in dem mit Elena Könz als Dritte eine weitere Schweizerin auf dem Podium landen konnte. Im Halfpipe-Contest der Frauen waren die Schweizerinnen noch weniger gastfreundlich und haben alle Medaillen im Land behalten. Ursina Haller leitete den Schweizer Dreifacherfolg vor Verena Rohrer und Carla Somaini an.
Das Video vom Halfpipe-Finale.
Bei den Männern gibt es in der Halfpipe ohnehin nur einen wahren Champion für die BEO: Iouri Podlatchikov. Der Schweizer mit russischen Wurzeln setzte sich so souverän durch, dass er schon vor seinem letzten Run als Sieger feststand. So konnte er sich einen "Victory-Run" mit ausschließlich hohen Grabs leisten, die den tausenden ZuschauerInnen, die den Halfpipe-Tag als Höhepunkt der BEO sehen, lauter "Aaaahs" und "Ooooohs" entlockte. Im Interview im Zielbereich konnte man Iouri die Genugtuung anmerken, hier wieder gewonnen zu haben, nachdem er letztes Jahr mit einem für ihn als Unrecht empfundenen zweiten Platz Vorlieb nehmen musste.
Hinter Iouri Podlatchikov landete auch bei den Männern mit Hitch Haller ein zweiter Schweizer auf dem Podium. Dem Publikum gefällt das Ergebnis, so knapp vor den Olympischen Spielen. Doch die Schweizer Dominanz hier in Laax ist trügerisch. Denn in Sotschi könnten sowohl bei den Männern als auch bei den Frauen statt drei SchweizerInnen auch drei AmerikanerInnen auf dem Siegerpodest stehen. Shaun White und Kelly Clark lassen grüßen.