Erstellt am: 9. 2. 2014 - 10:13 Uhr
Wer wagt, verliert
Die Männer haben gestern bei der olympischen Premiere von Snowboard-Slopestyle eine grandiose Show abgeliefert, bei der Sage Kotsenburg als strahlender, wenn auch etwas überraschender Sieger hervorgegangen ist, die Frauen wollen heute nachlegen.
Anna Gasser aus Kärnten hat am Donnerstag die Qualifikation gewonnen, was sie in den Augen vieler schon zu fixen Medaillenkandidatin macht, ich wäre da vorsichtiger. Anna hat zwar ganz gute Ergebnisse vorzuweisen, etwa einen fünften Platz bei den X-Games vor zwei Wochen, aber bisher hat sie noch keinen großen Contest gewonnen. Das hat sie zwar mit Sage Kotsenburg gemein, bevor er gestern Olympiasieger wurde, aber die Voraussetzungen bei den Frauen sind andere. Es gibt viel weniger Riderinnen, die um den Sieg mitfahren können, und einige von denen, so scheint es, haben sich in der Qualifikation noch zurückgehalten, weil der Druck nicht ganz so groß war.
Simon Welebil / FM4
Sicherheit dominiert
Im Slopestyle Halbfinale, das die 15 Riderinnen fahren mussten, die sich nicht direkt für das Finale qualifizieren konnten, konnte man einen deutlichen Leistungsunterschied sehen. Die Runs, die Sarka Pancochova, Sina Candrian und Silje Norendal gezeigt haben, würde ich als Sicherheitsruns einschätzen, die trotzdem für das Finale gereicht haben. Einzig Amy Fuller hat Risiko genommen und einen Double Flip probiert, wurde dafür aber nicht belohnt.
Was für das Finale die beste Strategie ist, ist schwer einzuschätzen. Bei den Männern am Vortag gab es keine Alternative zu vollem Risiko, das Level war für Sicherheitssprünge zu hoch. Bei den Frauen hingegen könnte auch ein Sicherheitssprung für einen Platz am Podium reichen, sollten die anderen patzen. Anna Gasser hat den Vorteil, dass sie als Qualisiegerin als Letzte starten darf und somit taktisch fahren kann.
Das Finale live
Silje Norendal, die aktuelle X Games Slopestyle-Siegerin eröffnet das Finale. Sie taktiert nicht, sondern geht gleich mit einem Switch 720 über den ersten Kicker, den sie leider nicht stehen kann. Sie fährt trotzdem weiter und geht noch mit einem weiten 540er über den letzten Kicker. Das geht noch besser. Jenny Jones nachher steht alle ihre Tricks und setzt mit 73.00 die erste Wertung. Sina Candrian nach ihr variiert nicht viel. 540s und 720s. Nicht sehr spannend bisher. Dass sich Sarka Pancochova dann an die Spitze setzt war zu erwarten, alles ein bisschen weiter und höher - bedeutet ein bisschen mehr Punkte.
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Fast alle fahren switch auf den ersten Kicker an und machen 540s, damit kann man sich nicht wirklich von den Konkurrentinnen abheben. Elena Koenz probiert's dann als erste mit einem Cab-Underflip, kann ihn leider nicht stehen.
Torah bright dann mit sehr viel Style über die Rails - switch 50-50-Indy-off - danach ein Cab 9 am ersten Kicker - das wär's gewesen, wenn sie den steht. Jamie Anderson dann mit CAb 720 Tailgrab - unglaublich weitem 360 und wieder 720, bei dem sie aber ordentlich in den Schnee greift, trotzdem reicht das zum zweiten Zwischenrang.
Isabel Derungs sollt nach dem Sieg bei den European Open eigentlich viel Selbstvertrauen haben, ihr Lauf ist aber etwas fehlerhaft. Dennoch hebt sie sich mit ihrem BS Rodeo am letzten Kicker vom Rest des Feldes ab.
Anna Gasser als Letzte dann mit einem Missgeschick am Start. Sie rutscht aus dem Starthaus, bevor es eigentlich losgeht, darf aber nochmals rauf. Ist sie nervös? Nein, auf den Rails ist sie souverän, ihr Cab Underflip geht sehr weit, der 720 danach noch weiter. Sie wackelt bei der Landung, muss abbrechen und kann den letzten Kicker nicht mehr springen.
Die Entscheidung
Hier gibt's die Videos vom Finale
Für Silje Norendal wird's nichts mehr mit einer Medaille, eine der Favoritinnen ist somit draußen. Jenny Jones sollte auch nichts mit der Entscheidung zu tun haben, Cab 5 - 360 - 720 - mehr hat sie nicht im Repertoire. Dennoch 87.25 Punkte. Wie kann Jenny Jones denn damit in Führung gehen?
Sina Candrian danach mit einem 1080. Endlich Risiko! Das wird belohnt, dennoch bleibt sie um einen Viertelpunkt hinter Jones.
Schreckmoment dann bei Sarka Pancochova. Sie kann ihren Cab 9 nicht ganz ausdrehen, verkantet dann, schlägt hart mit dem Hinterkopf auf und rutscht wie bewusstlos den Auslauf runter. Doch sie kann aufstehen und runterfahren. Das wird spätestens morgen sehr weh tun.
Jetzt drehen alle Riderinnen auf. Enni Rukajärvi mit zwei 720's, mit denen sie die Führung übernimmt. Die erste Wertung über 90 Punkten. Was kommt da noch? Torah Bright mit einem Cab 9-Versuch am ersten, aber es bleibt beim Versuch - immerhin hat sie in der Halfpipe noch eine Medaillenchance.
Jamie Anderson macht's besser. Auf den Rails kann ihr wohl niemand das Wasser reichen, dann noch eine 720-540-720 Kombination. Mal sehen, wer da jetzt vorne ist - und es ist Jamie Anderson, vielleicht allerdings etwas zu deutlich.
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Isabel Derungs vermasselt es auf den Rails und so kann nur noch Anna Gasser in die Medaillenentscheidung eingreifen. Ich bezweifle, dass sie den Double-Underflip zeigen wird, der immer von ihr gefordert wird, den hat sie noch nie in einem Contest gestanden - normales Risiko würde auch reichen.
Sie beginnt wieder mit dem Cab-Underflip, verhaut dann aber den FS 720. Schade für sie. Wie der Contest verlaufen ist, wäre heute alles drinnen gewesen. Beim ORF-Interview kommt die Enttäuschung klar durch, auch wenn sie noch immer zu lachen versucht.
Resümee
Mit Jamie Anderson hat eine der großen Favoritinnen die Goldmedaille geholt, herausragend war sie, wie das gesamt Podium, allerdings nicht. Sie hat mit der 7-5-7-Kombination eine risikolose Variante gewählt und auch die Runs von Enni Rukajärvi und Jenny Jones werden wohl kaum jemandem lange in Erinnerung bleiben.
Die einzelnen Runs der Riderinnen haben sich nicht groß unterschieden - ich schätze mehr als die Hälfte hat die Kickerline mit einem Cab 540 begonnen. Die einzigen Ausreißer - der 1080 von Sina Candrian, Torah Brights Cab 9, der Double Underflip-Versuch von Aimee Fuller im Semifinale, oder auch Anna Gassers Run mit Underflip und 720 - sind nicht aufgegangen oder wurden nicht belohnt. Sicherheit hat gegenüber Risiko gewonnen.